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Die neue Kampagne der Corona-Kritiker

Die meisten Gegner versorgen sich mit Argumenten aus dem Internet. Doch jetzt setzen einige auf ein völlig anderes Medium - das hat Kalkül.

Von Markus van Appeldorn
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Professor Peter Dierich gehört in der Region zu den prominentesten Kritikern der Corona-Maßnahmen.
Professor Peter Dierich gehört in der Region zu den prominentesten Kritikern der Corona-Maßnahmen. ©  Archivfoto: Rafael Sampedro

Verschwörungs-Theorien und Bürgerwut - kaum ein Medium vermag solche Phänomene gerade in Corona-Zeiten stärker zu befeuern als das Internet. Ein unendlicher virtueller Raum für Dichtung und Wahrheit. Wer will, kann sich im Netz für jede Haltung zu Corona und die dagegen getroffenen Maßnahmen mit Argumenten rüsten. Wer in die Suchmaschine Google als Suchbegriff "Corona Deutschland" eingibt, erhält 1,1 Milliarden Treffer. Doch in jüngster Zeit setzen Corona-Gegner vermehrt auf ein scheinbar ganz altertümliches Medium: Papier. Immer öfter landen Flyer oder andere Drucksachen in Briefkästen im Raum Löbau-Zittau. Und die Urheber verfolgen damit eine ganz bestimmte Strategie.

Mit seiner Aktionsgruppe "Freiheit & Grundrechte Zittau" ist Professor Peter Dierich im Landkreis einer der Corona-Kritiker der ersten Stunde. Wöchentlich aktualisiert der Mathematiker und emeritierte Gründungsrektor der Hochschule Görlitz-Zittau seine Sammlung "12 Fakten zu Corona". Die überwiegend statistischen Inhalte zieht er aus seriösen Quellen im Netz, wie etwa dem Robert-Koch-Institut oder dem Statistischen Bundesamt. Er macht seine "Fakten" über das Internet zugänglich. Aber jüngst hat er sie auch in zwei Auflagen auf 16 Seiten Hochglanzpapier professionell drucken und heften lassen - ein ganz anderer - auch finanzieller - Aufwand, als es eine Internet-Verbreitung machen würde. Und diese Drucksachen sind auch in Zittauer Briefkästen gelandet.

Zielgruppen außerhalb des Netzes erreichen

Damit will Dierich seinen "Fakten" einen seriöseren Anstrich geben - und auch neue Zielgruppen mit seinem Protest erreichen. "Etwas, was man drucken lässt, überlegt man sich vorher mehr", erklärt er die Psychologie dahinter. Will heißen: Es könnte von Menschen als glaubwürdiger wahrgenommen werden, wenn wissenschaftliche Thesen schwarz auf weiß gedruckt stehen. Außerdem weiß der 78-jährige Professor selbst, dass das Internet tendenziell eher jüngere Zielgruppen erreicht. "Es geht darum, die Gruppe der Menschen zu erreichen, die kein Internet haben", sagt er.

Zwei Auflagen zu je 1.000 Exemplaren hat Dierich auf eigene Kosten drucken lassen. Selbst verteilt er sie nicht. "Dafür sind wir zu wenige, dass wir in jeden Zittauer Briefkasten eines werfen könnten", sagt er. Die Drucksachen lägen aber bei den Samstags-Demonstrationen des Aktionsbündnisses aus. Er wisse nicht, wer davon wie viele mitnimmt und wo verteilt, sagt Dierich.

Die Ikone der Corona-Gegner

Ein auflagenmäßig deutlich stärkeres Volumen dürften Flyer haben, die mit dem Impressum des Sinsheimer Arztes Dr. Bodo Schiffmann in jüngster Zeit ihren Weg in die Briefkästen finden. Schiffmann hat es zu einer der Ikonen der Corona-Gegner geschafft. Der Arzt tourt mit einem Bus durch die Republik und hält Reden. Videos davon werden in sozialen Medien zig-tausendfach aufgerufen. In diesem mit vielen weiterführenden Links versehenen Flyer unter der Überschrift "Immun?" steht, dass etwa 60 Prozent der Menschen bereits über eine "gewisse T-Zellen-Immunität gegen das neue Virus" verfügen.

Dr. Schiffmann selbst scheint auf Medienanfragen dazu vorbereitet. Denn auf die SZ-Anfrage dazu, wie solche Flyer finanziert und verteilt werden, antwortet er mit einer augenscheinlich für Anfragen dieser Art vorgefertigten Mail. Daraus wird ersichtlich, dass er sich auf eine Zahl unbekannter Helfer verlassen kann. "Auch wenn ich im Impressum des Flyers stehe, habe ich diese weder direkt bei Ihnen eingeworfen, noch habe ich sie Ihnen zugesendet", heißt es in Schiffmanns Mail. Es scheint eine Vielzahl von Schiffmann-Flyern zu geben, denn der Arzt antwortet allgemein: "Die medizinischen und anderen Informationen zu der Covid19 Erkrankung, die Sie erhalten haben, wurden von mir inhaltlich überprüft und freigegeben und jeder kann sie unverändert zum Eigenbedarf herunterladen."

Das klingt, als würden Anhänger Schiffmanns solche Inhalte selber herunterladen und auf eigene Kosten auf Flyer drucken und verteilen. Schiffmann nennt diese ihm persönlich unbekannten Anhänger in seiner Mail "Freiheitsboten". "Leider kann ich auch nicht verhindern, dass Sie erneut Informationen erhalten. Bitte kennzeichnen Sie Ihren Briefkasten entsprechend, wenn Sie diese Informationen nicht wünschen", schreibt er weiter und lässt im Übrigen wissen: "Bitte wenden Sie sich an die Personen, die bei Ihnen die Informationen verteilt haben, denn ich kenne diese Personen meistens selbst nicht."

Flyer-Produzent aus Bernstadt

In der Region ist auch noch ein weiterer Corona-Gegner mit Flyern aktiv. Konrad Ober aus Bernstadt bezeichnet sich SZ gegenüber selbst als "Covidiot". Auf einem Flyer stellt er die Pandemie als "Fake" - also als erfunden - dar. Der Flyer landete jüngst unter anderem im Briefkasten des Löbauers Joachim Herrmann. "Ich habe den Flyer an das Landratsamt weitergeleitet und an die Polizei", sagt der. Dort habe man sich deswegen aber nicht zu irgendwelchen Maßnahmen veranlasst gesehen.

Auf SZ-Anfrage gibt Ober an: "Ja, es gibt Corona. Ja, es kann gefährlich sein. Ja, vernünftige Maßnahmen sind sinnvoll." Er gehöre keiner Partei oder politischen Gruppierung an und sagt von sich eben: "Kein Coronaleugner, eher ein Covidiot." Er sei Ingenieur und habe die Produktion des Flyers aus Rücklagen für sein Alter bezahlt. "So weit ist es schon gekommen!", schreibt er dazu. Die Auflage sei demnach fünfstellig, die Verteilung erfolge durch ehrenamtliche Helfer. Auch einen zweiten Flyer hat er schon vorbereitet.

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