SZ + Deutschland & Welt
Merken

Mallorca in den Fängen der Pandemie

Das Corona-Auf-und-Ab macht Mallorca mürbe. Aber nicht kaputt. Die Liebe der Deutschen zu Mallorca ist geblieben.

 9 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
An den Strandpromenaden von Mallorca feiern junge Leute wieder zu Tausenden, ohne Maske und ohne Abstand. Seit Dienstag hat die Bundesregierung ganz Spanien als Corona-Hochinzidenzgebiet eingestuft.
An den Strandpromenaden von Mallorca feiern junge Leute wieder zu Tausenden, ohne Maske und ohne Abstand. Seit Dienstag hat die Bundesregierung ganz Spanien als Corona-Hochinzidenzgebiet eingestuft. © Clara Margais/dpa

Von SZ-Korrespondent Martin Dahms

Heimke Mansfeld macht eine unbestimmte Geste in die Ferne: „Normalerweise stehen die Schlangen bis hinten durch“, sagt sie. Vor der Lebensmittelausgabe der Hilfsorganisation „Hope“ in Pollença haben sich an diesem Vormittag drei oder vier Dutzend Menschen aufgereiht, die zwischen Sonne und Schatten geduldig ihren Turnus abwarten. Früher kamen mehr. Jetzt haben die Hotels wieder geöffnet, es gibt wieder Arbeit, und die Zahl der Hilfesuchenden ist um 40 bis 50 Prozent zurückgegangen, erklärt Mansfeld. Mallorca berappelt sich gerade wieder. Aber es ist noch lange nicht alles gut.

Mallorca lebt vom Tourismus. Zu 80 Prozent sagen die einen, zu 95 Prozent die anderen. „Die restlichen fünf Prozent sind Politiker“, meint Mansfeld lachend. Sie selbst hat einen Friseursalon auf der Insel. „Da bin ich einerseits nicht vom Tourismus abhängig. Aber zu mir kommen natürlich viele Leute, die im Tourismus arbeiten. So bin ich also indirekt auch vom Tourismus abhängig.“ Als das Virus kam, brach der Tourismus ein. Und damit die Mallorquiner Wirtschaft: um fast ein Viertel, wie sonst nur im Krieg.

Eine, die plötzlich vor dem Nichts stand, war die heute 35-jährige Vanesa Priego. Sie arbeitete als Kellnerin, mal in Palma, mal in Alcudia, nirgendwo lange genug, um Anspruch auf Unterstützung zu haben. Ihr Mann, vorher Oberkellner, bekam nach der Entlassung noch eine Weile Arbeitslosenhilfe. „Aber bald nicht mehr. Unsere Ersparnisse gingen drauf. Und das mit drei Kindern. Ich verlor die Lust zu leben. Was ist das für ein Leben, wenn du nicht mal eine Flasche Wasser für 20 Cent kaufen kannst!“

Wo Gefahr wuchs, wuchs das Rettende

Priego kam über die Runden dank „Hope Mallorca“. Das ist die Hilfsorganisation, die Heimke Mansfeld und zwei Mitstreiterinnen im Mai vergangenen Jahres gründeten und die bald darauf in sieben Orten im Osten der Insel Lebensmittel an Bedürftige wie Priego ausgab. Die junge Mallorquinerin strahlt: „Jetzt gebe ich das Essen aus. Alles, was ich an Hilfe bekommen habe, will ich zurückgeben.“ Sie hat noch nicht wieder Arbeit gefunden, aber ihr Mann schon: als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Das ist neu für ihn. „Der Arme. Wenn er von der Arbeit kommt, ist er kein Mensch mehr. Aber er bringt Geld ins Haus. Für viel reicht es nicht. Wir müssen noch unsere Rückstände abbezahlen. Aber ich bin optimistisch. Es hätte alles schlimmer kommen können.“ Die Hilfe von „Hope“ hat Hoffnung in ihr Leben gebracht.

„Hope“ sprang ein, weil das spanische Sozialsystem mit dieser Krise nicht mehr mithielt. „Wir haben erlebt, wie ganze Familien wirklich nichts mehr zu essen hatten“, erzählt Jürgen Mayer. Der WDR-Moderator wohnt seit fast zwanzig Jahren auf Mallorca und kennt die Verhältnisse gut. „Hier wird ja viel von der Großfamilie aufgefangen. Opa hat vielleicht noch irgendwo einen Gemüsegarten. Aber jetzt waren selbst diese Familienstrukturen überfordert. Man hat von Woche zu Woche sehen können, wie die Schlangen bei ,Hope‘ und anderen Ausgabestellen immer länger wurden.“ Doch dann klingt Begeisterung aus Mayers Stimme: „Diese Hilfsgeschichten, die haben sehr, sehr gut funktioniert. Da kamen, zum Teil auch aus Deutschland, Lkw-Ladungen mit Lebensmitteln!“ Wo Gefahr war, wuchs das Rettende auch.

Deutsche vermisse ihre Insel

Mayer lebt in Sineu, ziemlich genau in der Inselmitte. Und in der Mitte von Sineu liegt Sa Plaça, der Platz, eingefasst von würdig gealterten Häusern, darinnen Cafés und Restaurants, davor Tische und Stühle, von denen die meisten, hauptsächlich mit Einheimischen, besetzt sind. Ein fröhliches Geplauder überall und nirgendwo ein Gefühl von Pandemie. Das ist neu. „Zum Ende des Winters machte sich schon auch eine gewisse Verzweiflung breit“, erzählt Mayer. „Kriegen wir noch so ein Jahr ohne Urlauber?“

Als über Ostern die ersten deutschen Besucher kamen, keimte Hoffnung auf, noch immer mit etwas Bangen gemischt. „Aber danach haben die Leute ja wie entfesselt gebucht. Nachdem klar war, die Zahlen bleiben unten.“ Niedrige Inzidenz hieß hohe Besucherzahlen. Nicht unbedingt in Sineu, das liegt weit weg vom Strand und von den Touristenströmen. Aber auf Mallorca leben eben fast alle vom Tourismus, mindestens indirekt, deswegen ist auch in Sineu die Erleichterung spürbar.

Jürgen Mayer hat gerade ein Buch herausgebracht, dessen Titel für den Moment gar nicht treffender sein könnte: „Endlich ist wieder Mallorca!“ Hierherzukommen, „das war für viele wie ein Befreiungsschlag“, sagt Mayer. So ähnlich beschreiben das alle auf der Insel. „Wir haben inzwischen sämtliche Werbung rausgenommen“, berichtet Peter Berghoff von der Immobilienverwaltung „Wohnung und Haus Mallorca“. „Wir sind voll. Wirklich voll. Mehr kann die Firma nicht schaffen, ohne mehr Leute einzustellen. Es reicht. Sie sind jetzt alle gekommen. Und haben es alle genossen.“

Kein Respekt vor dem Virus

Wobei Berghoff zu denen gehört, die finden, dass es mit dem Genuss zu weit gegangen sei. Monatelang war die Inzidenz auf Mallorca kaum der Rede wert. Dann begann sie in der letzten Juniwoche plötzlich wieder zu steigen, und zwar gewaltig. So sehr, dass das Robert-Koch-Institut die Insel und ganz Spanien am Freitag wieder zum Hochinzidenzgebiet erklärt hat. Viele Leute hatten einfach keine Lust mehr, sich noch irgendwelche Zügel anzulegen. „Wir beschließen jetzt, dass Corona vorbei ist“, beschreibt Peter Berghoff die Stimmung der letzten Wochen. „Das kann man aber nicht beschließen! Corona lässt sich davon nicht beeindrucken.“

Anett Köhler aus Lenkersdorf im Erzgebirge wundert sich in ihrer „Sonnenbäckerei“ an der Playa de Palma vor allem über das Verhalten der deutschen Touristen.
Anett Köhler aus Lenkersdorf im Erzgebirge wundert sich in ihrer „Sonnenbäckerei“ an der Playa de Palma vor allem über das Verhalten der deutschen Touristen. © Martin Dahms

Der fehlende Respekt vor dem Virus fiel auch Anett Köhler auf. Die Sächsin aus Lenkersdorf im Erzgebirge, die in ihrer „Sonnenbäckerei“ den besten deutschen Kuchen an der Playa de Palma verkauft, wunderte sich vor allem über ihre deutschen Landsleute: „Kommen alle hier larifari rein ins Café … Denen sage ich: Würden Sie vielleicht bitte die Maske aufsetzen? Die Diskussionen sind halt so anstrengend!“ Die Spanier halten sich eher an die Regeln, die fummeln erst mal ihre Maske aus der Tasche und über die Ohren, bevor sie das Café betreten.

Das Leben ist jetzt und findet statt

Draußen aber, ein paar Schritte vor der Tür, ist der Wilde Westen. Auf der Strandpromenade feiern die jungen Leute zu Tausenden, ohne Maske und ohne Abstand. „Nachts ist Katastrophe“, sagt Köhler. „Ist alles voll. Letztens bin ich morgens um 5 mit dem Hund raus. Da sitzen noch die letzten Betrunkenen rum. Und der Müll! Der Müll!“

Je weiter weg allerdings von der Playa de Palma, umso gelassener beobachten die Menschen den Trubel am Strand. „Die verdrehen zwar schon mal die Augen“, erzählt Jürgen Mayer von seinen Nachbarn in Sineu, „aber schimpfen habe ich noch keinen gehört. Die waren ja auch mal jung alle.“ Und die „Hope“-Gründerin Heimke Mansfeld wird ganz energisch: „Wir haben den jungen Menschen zu Beginn der Pandemie gesagt: Wenn die Älteren geimpft sind, dann ist ein Schutz für die da, und dann dürfen sie wieder raus und wieder ins Leben gehen. Ich glaube, die Jungen fordern jetzt einfach nur mal wieder ihre Rechte ein. Mit 18 oder 20 ist das Leben jetzt und findet jetzt statt. Die machen das, was wir früher auch gemacht haben: Sie feiern! Sie feiern das Leben. Sie leben einfach.“

"Wir halten aus, solange wir können"

Aber, wendet Anett Köhler ein, „die machen uns die Insel kaputt“. Wo viel gefeiert wird, wird viel angesteckt. Seit diesem Dienstag müssen ungeimpfte Mallorca-Heimkehrer in Deutschland für mindestens fünf Tage in Quarantäne, weswegen es mit dem Insel-Tourismus wohl erst mal wieder bergab gehen wird. Macht die Corona-Achterbahnfahrt Mallorca vielleicht wirklich bald kaputt?

Noch nicht. Die sehr kämpferische Sprecherin der kleinen und mittleren Restaurationsbetriebe auf Mallorca, Eugenia Cusí, rechnet schon lange mit einem großen Kneipen- und Restaurantsterben. Umso mehr, als den Mallorquiner Lokalen, wie sie findet, das Leben von der Regionalregierung unnötig schwer gemacht wird. Gerade erst sind sie dazu verdonnert worden, abends wieder eine Stunde früher zu schließen als bisher – während die Party doch nicht bei ihnen, sondern draußen auf der Straße stattfindet.

Es halten aber trotzdem noch fast alle durch. Viele bitten nicht mal um Subventionen. „Wir haben unsere Mitglieder gefragt“, berichtet Cusí, „und die erzählten: Mein Vater hat mir 10.000 Euro gegeben, oder Angehörige oder Freunde, aber das taucht nicht in unserer Buchführung auf. Viele halten sich lieber gerade so eben über Wasser, als Konkurs anzumelden.“ Außerdem sei die „Dynamik“ des Geschäfts in dieser Krise nicht verloren gegangen: Wo es so aussehe, als wenn ein Lokal für immer schließe, werde es vielleicht gerade von einem neuen Betreiber übernommen. Und auch die Präsidentin des Mallorquiner Hotelier-Verbandes, María Frontera, sagt: „Ganz gleich, welche Belegung wir haben, wir bleiben geöffnet. Wir halten aus, solange wir können.“

Hauptsache Arbeit

Dass Mallorca nicht so leicht unterzukriegen sein wird, lässt ein Blick auf den Immobilienmarkt erahnen. Der läuft gerade heiß. „Was jetzt auf uns zugerollt ist, können wir kaum abarbeiten“, sagt die Maklerin Christina Deutsch in Santa María del Camí. „Es ist wirklich unglaublich. Wir haben etwa 130 Prozent mehr Suchkunden als im vergangenen Jahr.“ Und schon 2020 war ihr Umsatz im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

„Die Leute hatten Zeit“, sagt Deutsch, die unter der Marke Engel & Völkers vor allem teure Villen und Fincas im Inselinneren verkauft. „Wir haben uns so was von die Füße abgerannt! Juli und August waren verrückt!“ Und so ist es geblieben. Sie hat gerade vier neue Leute eingestellt und dieser Tage schon das nächste Vorstellungsgespräch geführt. „Ich weiß nicht wohin vor Arbeit. Und das bin nicht nur ich. Das ist der ganze Sektor.“

Deutsch lebt seit dreißig Jahren auf Mallorca und sagt: „Ich liebe diese Insel.“ Und Kunden, welche die Coronazeit hier verbracht haben, sagen ihr: „Besser kann es mir nirgendwo anders gehen.“ Die Deutschen und all die anderen Mallorca-Liebhaber werden wiederkommen, sobald man sie lässt. Heimke Mansfeld sagt: „,Hope Mallorca‘ wird im Winter noch gebraucht. Da wird’s noch mal richtig eng. Die Leute haben dieses Jahr drei, vier Monate gearbeitet. Das reicht nicht.“ Aber für die Zeit danach ist sie guter Hoffnung. „Deswegen heißen wir ja auch ,Hope‘!“

Vanesa Priego freut sich schon darauf, wieder zu arbeiten. „Wenn’s nicht in einem Hotel ist, dann in einem Restaurant. Oder ich putze Wohnungen oder passe auf Kinder oder alte Leute auf.“ Hauptsache Arbeit. „Claro.“ Sie strahlt.