SZ + Sachsen
Merken

Torsten Herbst: „Der Staat wird nie absoluten Schutz bieten können“

FDP-Politiker Torsten Herbst schließt einen erneuten Corona-Lockdown "zum heutigen Zeitpunkt" aus. Auch die Pflege-Impfpflicht sollte aus seiner Sicht auslaufen.

Von Karin Schlottmann
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Torsten Herbst, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, hält eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes im September für ausreichend.
Torsten Herbst, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, hält eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes im September für ausreichend. © © by Matthias Rietschel

Herr Herbst, die FDP hat den Ruf, beim Infektionsschutzgesetz auf der Bremse zu stehen. Trifft der Vorwurf zu?

Uns geht es um eine vernünftige Abwägung. Auf der einen Seite steht der Gesundheitsschutz, auf der anderen der Schutz der Grundrechte. Wir schauen als Partei genauer hin, wenn es um Freiheitseinschränkungen und Grundrechte geht.

Viele Menschen blicken mit Sorgen auf den kommenden Herbst und Winter. Wann wird die Ampel-Koalition das Infektionsschutzgesetz ändern, um notfalls schnell eingreifen zu können?

Wir werden im Bundestag das Infektionsschutzgesetz im September rechtzeitig ändern. Unser Standpunkt war es immer, zunächst die Evaluation der Corona-Schutzmaßnahmen der vergangenen zwei Jahre abzuwarten. Im dritten Jahr der Pandemie können wir nicht irgend etwas beschließen und hoffen, dass es hilft. Spätestens jetzt müssen wir in der Lage sein, die Maßnahmen wissenschaftlich zu begleiten und zu bewerten. Das haben wir getan und wissen nun, dass Schulschließungen und Lockdowns vom Tisch sind. Lockdowns sind unverhältnismäßig und haben am Ende nichts mehr gebracht.

Gastronomie, Tourismus und Kultur müssen also nicht mehr schließen?

Zum heutigen Zeitpunkt würde ich das ausschließen. Ich will aber nicht vorgreifen, was im Januar/Februar sein könnte. Es gibt eine große Unbekannte und das ist das Virus, mit dem wir es im Winter zu tun bekommen. Bleibt es jedoch bei einem Virus vergleichbar mit Omikron, würde ich Lockdowns ausschließen.

Und Schulschließungen?

Die Schulschließungen waren ein großer Fehler, sie haben bei den Schülern große psychische Schäden verursacht. Die Nebenwirkungen waren dramatisch. In dieser Hinsicht war der Evaluationsbericht klar und eindeutig.

Haben die Verantwortlichen genügend Daten, um sagen zu können, was hilft und was richtet zu großen Schaden an?

Bisher war das nicht der Fall. Wir waren in den ersten zwei Jahren ausschließlich auf Studien aus dem Ausland angewiesen. Ein Fehler, wie ich finde. Wir müssen eigene Daten erheben. Es wird jetzt beispielsweise eine Immunitätsstudie erstellt, die die Bundesregierung bei dem Bonner Virologen Hendrik Streeck in Auftrag gegeben hat. Sie soll feststellen, wie hoch der Immunitätsstatus der Bevölkerung ist. Nur die Gesamtbetrachtung von Geimpften und Genesenen gibt uns einen Überblick.

Könnte die Vorbereitung auf den nächsten Corona-Winter an mangelnder Einigkeit innerhalb der Ampel-Koalition scheitern?

Das glaube ich nicht. Das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesjustizministerium reden ja jetzt schon sehr intensiv miteinander. Die möglichen Instrumente wie Maskenpflicht in Innenräumen liegen auf der Hand. Allerdings muss die Eingriffsschwelle klar definiert sein. Aber grundlegende Einschränkungen wie 2G oder 3G sehe ich allenfalls für lokal begrenzbare Hotspots bei einer wirklich bedrohlichen Lage der regionalen Gesundheitsversorgung. Darüber müssten dann wieder die Länderparlamente entscheiden.

Es wird Menschen geben, denen eine Maskenpflicht in Innenräumen nicht genügen wird. Was sagen Sie ihnen?

Der Staat wird nie einen absoluten Schutz vor Ansteckung bieten können, das kann nicht funktionieren. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Das heißt aber auch, dass wir Menschen mit schwachem Immunsystem besonders schützen müssen. In Pflege- und Gesundheitseinrichtungen gilt deshalb eine Test- und Maskenpflicht, das ist selbstverständlich.

Tragen Sie noch Maske?

Draußen ehrlicherweise nicht. Aber dort, wo es zu Recht vorgeschrieben und auch sinnvoll ist, nämlich in Krankenhäusern, trage ich selbstverständlich eine Maske.

Sollte es nach den Sommerferien wieder eine Testpflicht für Schüler geben?

Das hängt meiner Meinung von der Entwicklung ab. Der Maßstab sind nicht allein die Infektionszahlen, sondern die Fälle schwer Erkrankter.

Viele Krankenhäuser beklagen schon jetzt im Sommer hohe Personalausfälle wegen vieler Krankmeldungen.

Das ist ernst zu nehmen. Aber wir werden uns vor den Infektionen nicht schützen können, auch nicht mit einer Impfung. Wir erleben ja derzeit, dass die Impfung schwere Krankheitsverläufe verhindert, aber sie verhindert nicht die Übertragung auf andere.

Die Impfpflicht für die Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeberufen läuft zum Jahresende aus. Wird die Ampel-Koalition sie verlängern?

Ich hoffe nicht. Sie ist Ende vorigen Jahres beschlossen worden, weil wir alle davon ausgingen, dass die Impfung Virusübertragungen verhindern kann. Das ist bei der Omikron-Variante bekanntlich mehr nicht der Fall. Die Impfung allein schützt die Bewohner von Heimen und Krankenhaus-Patienten nicht. Sie kommen dort um das Testen nicht herum. Die Probleme, die durch die Impfpflicht in Gesundheitseinrichtungen und Heimen entstanden sind, stehen gerade bei der Omikron-Variante in keinem Verhältnis zum Nutzen.

Das zweite große Thema der Koalition ist der Krieg gegen die Ukraine und die drohende Gasknappheit. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert trotz der von Russland begangenen Kriegsverbrechen Gespräche mit Putin. Haben Sie dafür Verständnis?

Meiner Meinung nach schwächt er die deutsche Position. Die Regierung sagt klar, wir tun alles, um die Aggression Putins gegen die Ukraine zu stoppen. Das tut man nicht, indem man ihm jetzt über die Köpfe der Ukrainer hinweg ein freundliches Gesprächsangebot unterbreitet. Am Ende kann er nur militärisch gestoppt werden. Putin wird überhaupt nur gesprächsbereit sein, wenn er in eine schwierige wirtschaftliche und militärische Lage gerät. Er setzt sich über alles hinweg, Gesprächsangebote interpretiert er als Schwäche des Westens. Es ist gut, dass die westliche Welt zusammensteht und kein Land herausgebrochen werden konnte. Die Äußerungen von Michael Kretschmer sind deshalb nicht hilfreich.