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Wann gibt es wieder Stadtführungen?

Wegen der Pandemie gibt es keine Touristen in Meißen. Die Gästeführerinnen fordern deshalb eine Perspektive. Ihnen geht es dabei nicht nur ums Geld.

Von Martin Skurt
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Eva Zaschke (von links) und Walfriede Hartman sind in ihrem Element, wenn sie ihre Geschichten zur Stadt mit Menschen teilen. Seit November 2020 ist das jedoch nicht erlaubt.
Eva Zaschke (von links) und Walfriede Hartman sind in ihrem Element, wenn sie ihre Geschichten zur Stadt mit Menschen teilen. Seit November 2020 ist das jedoch nicht erlaubt. © Claudia Hübschmann

Meißen. Der Kopf raucht. Dort ein winziges Detail an der Hausfassade und gefühlt Hunderte Geschichten dazu. So viel Leidenschaft für Meißen halten Eva Zaschke und Walfriede Hartmann bereit. Nur können die beiden Gästeführerinnen momentan keine Touristen begrüßen. Als touristisches Aushängeschild der Stadt ist das fatal. Die beiden Frauen verstehen die Maßnahmen der sächsischen Corona-Schutzverordnung, aber sie wünschen sich auf Dauer eine Perspektive für den Tourismus: nicht nur in Meißen, sondern im ganzen Elbland. Die fehlenden Einnahmen spielen dabei kaum eine Rolle.

"Wir machen das mit Herzblut und wollen den Gästen unsere Stadt facettenreich präsentieren und sie dafür begeistern", sagt Eva Zaschke. Der 64-Jährigen tue es deshalb weh, wenn sie manchmal am Wochenende durch die Stadt gehe und kaum Menschen antreffe. Das ist in ihren Augen gruselig. Seit 10. April ist die Albrechtsburg geöffnet. "Aber das ist nicht dasselbe, es fehlen die vielen Menschen", sagt Eva Zaschke. Zudem muss sie mit dem neuen Infektionsschutzgesetz zwei Wochen später wieder schließen.

Während die beiden erzählen, geben sie einen kleinen Einblick in ihre Arbeit als Gästeführerinnen. Start des kleinen Rundgangs ist der Heinrichsbrunnen, im Herzen von Meißen. Der Brunnen wurde dem Burgenbauer von 929 und quasi Stadtgründer Heinrich I. gewidmet, und zwar im 19. Jahrhundert. Den Brunnen umgibt seit den 1990er-Jahren ein bronzenes Spruchband, eingelassen in das Kopfsteinpflaster. Dieses gibt einen Auszug aus der ins Deutsche übersetzten Merseburger Chronik, die Anfang des 11. Jahrhunderts entstanden ist. So viel Geschichte ist im Heinrichsplatz verborgen, deshalb bietet sich dieser auch als Start von Stadtführungen an. „Aber eigentlich kann man uns überall reinwerfen“, sagt Walfriede Hartmann.

Jeder, der mit wachem Blick durch Meißen geht, könne Geschichten entdecken und sich selbst erschließen, verrät Walfriede Hartmann. Die alteingesessene Meißnerin ist nach eigenen Angaben seit 200 Jahren die erste in ihrer Familie, die in Meißen geblieben ist. Die 63-Jährige liebe die historische Altstadt. "Sie ist zwar nicht riesig, dafür aber abwechslungsreich." Jede Bauepoche sei hier vertreten. Vom Mittelalter bis zur Moderne. "Jedes Haus erzählt eine eigene schöne Geschichte." Dabei blickt sie auf den Boden vor der Commerzbank am Heinrichsplatz 7: auf den Stadtplan, realisiert als Pflastermosaik. Dort mahnt Eva Zaschke routiniert mit einem Augenzwinkern: "Treten Sie nicht zu weit zurück, sonst fallen Sie in die Elbe." Diese ist mit blaugrauem Schiefer dargestellt.

Bilder wie aus einer anderen Zeit: Es ist Herbst 2014. Viele Touristen zogen durch Meißen und tummelten sich hier auf dem Heinrichsplatz.
Bilder wie aus einer anderen Zeit: Es ist Herbst 2014. Viele Touristen zogen durch Meißen und tummelten sich hier auf dem Heinrichsplatz. © Archiv: Claudia Hübschmann

In einer Stadt wie Meißen können die Frauen zu jedem Gebäude eine längere Geschichte erzählen. "Das würde die Gäste und Meißner während der Führung aber erschlagen", so Eva Zaschke. Das sagt die langjährige Mitarbeiterin der Tourist-Information auf dem Meißner Markt. Von Napoleon über die Porzellanglocken der Frauenkirche und zur Friedlichen Revolution bis hin zu Knicken in den Häusern aufgrund kleinteiliger Grundstücksverkäufe im Mittelalter: Wer mit den beiden Meißnerinnen auf dem Markt steht, lernt aus allen Epochen interessante Fakten, Details und auch Gerüchte zur Stadt. Manchmal ernst, oft jedoch locker und unterhaltsam.

Nicht nur diese kleinen Zwischenbemerkungen zeigen, dass die beiden Gästeführerinnen sind. Denn bei der inoffiziellen Führung durch Meißen, über den Markt, vorbei an der Frauenkirche und über die Frauenstufen auf die Leinwebergasse, werden sie von vielen Passanten gegrüßt. Oder auch angesprochen. Eine Jugendliche hat beide erkannt und sie nach schönen Ornamenten in Meißen gefragt, um sie zu fotografieren. Prompt nennen beide dem Mädchen mehrere Orte, sagen aber auch: "Du brauchst nur die Augen aufzumachen."

Gerade wenn die Expertise der beiden gefragt ist, sind sie in ihrem Element. Die Einschränkungen der vergangenen Monate seien deshalb bitter. "Aber das eine Jahr im Vergleich zur tausendjährigen Geschichte Meißens relativiert sich. Krieg wäre viel schlimmer", so Eva Zaschke. Trotzdem würden ihr und Walfriede Hartmann die Stadtführungen fehlen. Finanziell seien sie zwar abgesichert, aber dies betreffe nicht alle Gästeführer. Denn von etwa 20 Meißner Gästeführern arbeiten zwei Drittel nebenberuflich. Sie profitieren nicht von Kurzarbeit oder anderen staatlichen Hilfen. Oftmals sind die Einnahmen aus den Führungen ein Zuverdienst, um ihre Rente aufzubessern. Umso mehr fordern Eva Zaschke und Walfriede Hartmann eine Perspektive für die Gästeführer, aber auch für den gesamten Tourismus im Elbland.

Um auf die Situation der Gästeführerinnen aufmerksam zu machen, veröffentlichten die Meißnerinnen erst vor Kurzem ein Video aus der Albrechtsburg. Anlässlich des Geburtstags von Moritz von Sachsen entwarfen sie dazu eine mögliche Wanderroute, die Gäste auf den Spuren des Wettiners führen sollten. Unterstützt wurden und werden sie unter anderem vom Tourismusverein Meißen und Tourismusverband Elbland Dresden.

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