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Sie wollten raus aus der DDR - und wurden schikaniert, verfolgt, eingesperrt

Vier Freunde aus Halle hatten schon als Schüler genug vom SED-Staat. Nach jahrelangen Schikanen kamen sie tatsächlich frei. Jetzt haben zwei von ihnen einen Comic darüber geschrieben.

Von Oliver Reinhard
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Nach vielen harten Jahren des Wartens und Protestierens wurde Raik Adam (l.) aus der DDR ausgewiesen. Von Westen aus kämpfte er mit Freunden gegen die Mauer.
Nach vielen harten Jahren des Wartens und Protestierens wurde Raik Adam (l.) aus der DDR ausgewiesen. Von Westen aus kämpfte er mit Freunden gegen die Mauer. © Ch. Links Verlag

Sie hatten schon mit 13 die Nasen voll und immer voller. Vom Matheunterricht an der Polytechnischen Oberschule, den nur unterqualifizierte Aushilfen hielten. Vom Fach „Staatsbürgerkunde“, in dem die Freunde Raik, Dirk, Heiko und Andreas zu sozialistischen Bürgern erzogen werden sollten. Überhaupt nervten sie all die hohlen Sprüche der SED-Obrigkeit, die ihnen eingetrichtert wurden, während ihre Stadt Halle mehr und mehr verfiel. Also provozierten sie mit frechen Fragen und setzten gegen den ungeliebten Russisch-Unterricht ein Zeichen, indem sie nachmittags freiwillig Englisch lernten und von London, New York und dem Rest der unerreichbaren Welt träumten.

Doch dabei blieb es nicht. Raik & Co. machten immer kompromissloser „ihr Ding“. Worauf der Staat immer härter reagierte. Bald wurden sie in der Schule öffentlich als „Klassenfeinde“ ausgegrenzt und gerieten ins Visier der Staatssicherheit. Als sie Ausreiseanträge stellten, ließ das Regime alle Muskeln spielen.

Schon an der Schule wurden die Freunde mit Propaganda bombardiert, während ihre Stadt um sie herum verfiel.
Schon an der Schule wurden die Freunde mit Propaganda bombardiert, während ihre Stadt um sie herum verfiel. © Ch. Links Verlag

"Rebellion hinter der Mauer"

„Rebellion hinter der Mauer“, heißt der Comic, Comic, den Raik Adam und Dirk Mecklenbeck nun darüber veröffentlicht haben. Es ist ihre zweite Graphic Novel nach dem Debüt „Todesstreifen“ vor sechs Jahren. Und wie damals ist auch diese Geschichte bis ins Detail wahr. „Was wir im Buch erzählen, haben wir tatsächlich genauso erlebt“, sagt Raik Adam. „Und wir haben den Vorteil, auf unsere umfangreichen, aber leider nicht ganz vollständigen Stasi-Akten zurückgreifen können. Wenn uns die Erinnerung einen Streich spielen sollte, schauen wir darin nach und können alles überprüfen.“

„Rebellion hinter der Mauer ist eine Geschichte von Freundschaft, von Mut, von Widerstand und schließlich Befreiung. Ab 1984 riskierten die Vier immer mehr. Sie kleideten sich westlich, pinselten Parolen an die Mauern von Halle, störten den Aufmarsch zum 1. Mai, gingen auf Heavy-Metal-Konzerte.

Als Raik & Co. zu einem Heavy-Metal-Konzert fahren, bekommen die "Rowdys" die Knüppel der Transportpolizei zu spüren.
Als Raik & Co. zu einem Heavy-Metal-Konzert fahren, bekommen die "Rowdys" die Knüppel der Transportpolizei zu spüren. © Ch. Links Verlag

Für die Stasi waren sie nicht nur Rebellen. Sie waren eine Gefährdung der sozialistischen Ordnung. Als Raik einen Ausreiseantrag stellt, wird sein Ausweis eingezogen und er fortan durch diverse „Maßnahmen“ schikaniert und zermürbt. Schließlich hat er Erfolg: Ihm wird die Staatsbürgerschaft aberkannt, er muss die DDR verlassen. „Todesstreifen“ und „Rebellion“ sind nicht die ersten Veröffentlichungen über Raik und Andreas Adam, Dirk Mecklenbeck und Heiko Bartsch.

Protagonisten des Buches "Mauerkrieger"

Schon vor zehn Jahren waren sie Protagonisten des Buches „Mauerkrieger“. „Aber das waren natürlich nicht unsere vollständigen Geschichten“, sagt Raik Adam. Ein gemeinsamer Bekannter, der alle ihre Erzählungen kannte, brachte sie auf eine Idee: Das sei doch mehr als genug Stoff für ein eigenes Buch. „Und da Dirk ein sehr guter Zeichner war und schon vorher aus Spaß immer mal wieder ein paar Episoden auf Bierdeckel verewigt hat, bin ich irgendwann auf die Stiftung Berliner Mauer mit der Idee zu einer Graphic Novel zugegangen“, so der Autor.

Bei der NVA wird Heiko derart fertiggemacht, dass er an Selbstmord denkt.
Bei der NVA wird Heiko derart fertiggemacht, dass er an Selbstmord denkt. © Ch. Links Verlag

„Todesstreifen“ wurde ein großer Erfolg, es ist bundesweit über die Landeszentralen für politische Bildung kostenlos erhältlich. „Seither wurden wir ständig gefragt, ob wir nicht den Rest unserer Jugend auch erzählen wollten.“ Doch bis zu „Rebellion“ dauerte es Jahre, Adam konnte nur nebenbei daran arbeiten, seinen Lebensunterhalt verdient er als Unternehmer für Gebäudeservice und Gartenbau.

Nach der Ausweisung kam er über Frankfurt nach Berlin. Während Heiko in der Nationalen Volksarmee an die Grenze des Aushaltbaren getrieben und schließlich wegen „staatsfeindlicher Hetze“ inhaftiert wird, geschieht Dirk das Gleiche auf dem Weg nach Karlovy Vary, wo Raik vergebens auf ihn wartet.

Nachdem Raik endlich ausreisen durfte, wartet er in Tschechien auf seinen Freund Heiko - vergeblich.
Nachdem Raik endlich ausreisen durfte, wartet er in Tschechien auf seinen Freund Heiko - vergeblich. © Ch. Links Verlag

Einsatz gegen Ostalgie, DDR-Verklärung und die AfD

Nach der Entlassung und weiteren Schikanen, Überwachungen und Haftaufenthalten rücken die Volkskammerwahlen 1989 näher. Die Staatsführung beschließt, alle potenziellen Aufrührer unter den Ausreiseantragstellern loszuwerden. Im März darf Dirk in den Westen, im April Heiko, im Mai Andreas. Fortan kämpfen sie mit Raik von Westberlin aus gegen die Mauer – die Geschichte des Comics „Todesstreifen“ beginnt.

Seine Erfahrungen prägen Raik Adam bis heute. Voller Leidenschaft wettert er in den Sozialen Medien gegen Ostalgie, DDR-Verklärung und neue Faschisten wie die AfD: „Es stört mich extrem und ich kann nicht verstehen, dass viele Menschen offenbar all die Jahre seit dem Ende der DDR kein Gefühl dafür entwickelt haben, was Freiheit eigentlich bedeutet, wie wichtig sie ist und dass sie immer auch Zumutungen bedeutet.“

Raik Adam, Dirk Mecklenbeck: "Rebellion hinter Mauer" und "Todesstreifen". Ch. Links Verlag, jeweils 15 Euro, auch beziehbar über die Landeszentralen für Politische Bildung