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Wer im Osterzgebirge wirklich unter der Wirte-Mehrwertsteuer zu leiden hat

Ab Januar werden viele Gastronomen ihre Preise erhöhen, denn sie müssen selbst höhere Steuern zahlen. Das führt zu paradoxen Ungleichheiten.

Von Siiri Klose
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Die Wirte aus dem Osterzgebirge kämpfen um die Beibehaltung der sieben Prozent Mehrwertsteuer.
Die Wirte aus dem Osterzgebirge kämpfen um die Beibehaltung der sieben Prozent Mehrwertsteuer. © Egbert Kamprath

Im August kamen "vier gestrandete Mädels aus Franken" im Osterzgebirge offensichtlich gar nicht weiter. "Nach einem Ausflug von unserer Unterkunft zu Fuß ins Hochmoor waren wir etwas enttäuscht, dass nichts offen hatte, um etwas zu essen oder zu trinken", hinterließen sie in der Online-Kommentarspalte der Tourist-Information Altenberg, um sich gleich darauf ausführlich bei den Mitarbeiterinnen zu bedanken: "Vielen Dank für die kompetente Hilfe", beenden sie ihren Kommentar.

Nichtsdestotrotz wirft die Situation ein bezeichnendes Licht auf die gastronomische Situation im Osterzgebirge: Die Gastronomen leiden unter Personalmangel, deshalb verkürzen sie die Öffnungszeiten oder schließen ihren Restaurantbetrieb - wie im Fall der Ladenmühle in Hirschsprung - ganz. "Ich werde ihn auch nicht wieder eröffnen", sagt Christoph Gröger. Er ist gerade in Verhandlungen für die Übergabe seines Hotels an einen Nachfolger. "Aber das Restaurant hatte ich unabhängig davon geschlossen, weil ich keine Lösung für das Personalproblem gefunden habe."

Auch Tschechien hat nicht mehr so viele Azubis

"Seit auch das Bärenfelser Stüb'l geschlossen hat, sind wir alleine hier", sagt Jan Kempe vom Naturhotel Bärenfels. Entsprechend ausgelastet ist sein Restaurant - und sein Personal. Gerade laufen die letzten Tage der tschechischen Wochen, in denen Schüler der Teplitzer Hotelfachschule in den osterzgebirgischen Gasthöfen ein Praktikum machen. "Aber die haben auch nicht mehr so viele Azubis", sagt Kempe. Mit den beiden jungen Frauen, die bei ihm waren, ist er jedoch sehr zufrieden. Ihnen zu Ehren gibt es eine kleine tschechische Extrakarte: Eine nordböhmische Kartoffel-Pilzsuppe für 5,90 Euro, den Mährischen Spatz - gegrillter Schweinebauch - für 16,50 Euro, der Böhmische Sauerbraten mit Knödeln für 18,50 Euro.

Gemessen an der Qualität seiner Speisen und an Dresden, wo Gerichte mit Fleischanteil oft erst bei 20 Euro anfangen, sind seine Preise moderat. Aber sie werden nicht mehr lange so bleiben können. Noch profitieren die deutschen Gastronomen von der Corona-Regelung, mit der sie nur sieben Prozent Mehrwertsteuer auf ihr gastronomisches Angebot schlagen dürfen. Doch der Countdown läuft: Ab dem 1. Januar 2024 gelten wieder die regulären 19 Prozent Mehrwertsteuer für Gerichte und Getränke.

Sachsen intervenierte bisher umsonst

Zwar hatten sich die drei sächsischen Regierungsparteien CDU, SPD und Grüne im Bundesrat für eine Verlängerung des abgesenkten Mehrwertsteuersatzes im Bundesrat eingesetzt, doch der Bundestag stimmte dagegen. Seit dem hat sich am Status quo nichts mehr geändert - nur die Verzweiflung bei Jan Kempe, der als Sprecher des Wirtestammtischs Osterzgebirge auch für 17 weitere Gastronomen spricht, steigt nahezu wöchentlich.

"Aktuell hat die gesamte Branche immer noch mit den Folgen der Pandemie, der Energie-Krise und daraus auch entstandenen Personalschwierigkeiten zu kämpfen", steht in dem Brandbrief, den die Wirte aus dem Osterzgebirge vor drei Monaten an die sächsischen Landtagsabgeordneten geschrieben haben. "Die Folgen waren enorme Preissteigerungen, um einfach das vorhandene Personal zu halten und um das Geschäft aufrechtzuerhalten."

"Subvention" für Gastwirte?

Was Jan Kempe besonders zornig macht, ist das Wort "Subvention", das zunehmend in Verbindung mit der Sieben-Prozent-Regelung fällt: Die Restaurants würden subventioniert oder bekämen Staatshilfe, wenn sie sieben statt 19 Prozent Mehrwertsteuer für ihre Gerichte nehmen. "Aber wir zahlen doch Steuern", sagt Kempe. Denn laut einer Definition der Bundeszentrale für politische Bildung sind Subventionen "finanzielle staatliche Zuschüsse, die nicht an eine direkte Gegenleistung gebunden sind." Die sieben Prozent extra müssen die Gastronomen genauso an den Staat weitergeben wie die 19 Prozent.

Von seinen 18,50 Euro für den Sauerbraten führt er derzeit 1,30 Euro Mehrwertsteuer ab. Mit 19 Prozent Mehrwertsteuer, die nach derzeitigem Stand der Dinge ab Januar fällig werden, sind es rund 3,30 Euro - und er müsste sein Gericht für 20,50 Euro anbieten. "Und die Gäste vermuten dann wieder, dass die Wirte sich eine goldene Nase verdienen."

Mittagessen der Kinder wird auch höher besteuert

Richtig ins Geld gehen - und zwar in das der Eltern - werden die 19 Prozent auch in Hermsdorf, wo Martin Sommerschuh die rund 120 Kinder der Kindertagesstätte Bergzwerge und weitere hundert Grundschüler täglich frisch bekocht. Denn auch für Schulverpflegung gelten die 19 Prozent, sobald mit der Essensauslieferung auch Dienstleistungen verbunden sind - und darunter fallen schon die Essensausgabe, die Reinigung des benutzten Geschirrs oder das Abwischen der Tische.

Martin Sommerschuh ist der Koch für alle Kita- und Schulkinder in Hermsdorf. Weil er das Geschirr hinterher abwäscht, ist er Dienstleister - und muss ab Januar auch 19 Prozent Mehrwertsteuer nehmen.
Martin Sommerschuh ist der Koch für alle Kita- und Schulkinder in Hermsdorf. Weil er das Geschirr hinterher abwäscht, ist er Dienstleister - und muss ab Januar auch 19 Prozent Mehrwertsteuer nehmen. © Karl-Ludwig Oberthuer

Das führt zu der paradoxen Situation, dass der Fleischer, der acht verschiedene warme Mittagessen "zum Mitnehmen" anbietet, auch 2024 nur sieben Prozent auf sein Angebot aufschlagen muss - selbst wenn die Leute sich draußen mit ihrer Assiette irgendwo hinsetzen. Jedes Imbissangebot im Supermarkt, beim Bäcker oder beim Döner, dass keine weitere Dienstleistung als den puren Essensverkauf ausweist, kann weiterhin mit sieben Prozent Mehrwertsteuer rechnen.

Doch Martin Sommerschuh muss für ein Kindermittagessen auf dem nachhaltigen Teller, der nach dem Abwasch immer wieder zum Einsatz kommt, 19 Prozent abführen. In Hermsdorf bezuschusst die Gemeinde ohnehin schon die Mahlzeiten, sodass die Eltern nur 4,10 Euro pro Tag zahlen müssen. Doch auf den Monat gerechnet, wird das Essen pro Kind ab Januar circa 10 Euro teurer - schwer vorstellbar, dass das die Gemeinde dies in Gänze abfedern kann.

Im Gasthaus essen ist kein Luxus, sondern Teilhabe

"Ich würde jeden, der davon redet, dass der niedrigere Mehrwertsteuersatz vor allem den Reichen hilft, billiger zu essen, gern mal hier her in einen Dorfgasthof einladen", sagt auch Axel Klein, in Sachsen der Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga. Dort könnte man sehen, dass die Gaststätten im Osterzgebirge eine ganz andere Funktionen haben als Wellness für Wohlhabende: Soziale Teilhabe ist mindestens genauso wichtig. "Diese sieben Prozent, darum kämpfen wir schon seit Jahrzehnten", sagt Klein.

Es ist ja nicht nur so, dass ein Restaurantbesuch ab Januar zwölf Prozent mehr kosten wird als bisher, ohne dass irgendein Wirt auch nur einen Cent mehr daran verdient. "Wenn die Gastronomen immer schlechter wirtschaften können, wird es längerfristig immer schwerer für sie werden, Nachfolger zu finden, wenn sie in den Ruhestand gehen", sagt auch Carolin Krupp, die Leiterin der Altenberger Tourist-Info. "Aber der Tourismus hier steht und fällt mit dem gastronomischen Angebot."