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Geheimsache Whiskyfass: Der neue Schatz in Dorfhains Silbergrube

Im Aurora Erbstolln bekommen edle Destillate ihre spezielle Note. Nur wer den richtigen Riecher hat, wird das bemerken.

Von Jörg Stock
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Erst Silber, jetzt Whisky: Carsten Gieseler lässt im Dorfhainer Aurora Erbstolln seine Destillate reifen. Hier versteckt er gerade ein Fünfzig-Liter-Fass in einem abgeschiedenen Teil der Grube.
Erst Silber, jetzt Whisky: Carsten Gieseler lässt im Dorfhainer Aurora Erbstolln seine Destillate reifen. Hier versteckt er gerade ein Fünfzig-Liter-Fass in einem abgeschiedenen Teil der Grube. © Egbert Kamprath

Es ist eine merkwürdige Karawane: Drei Männer mit Schubkarren zirkeln einen Pfad im Tharandter Wald entlang. Beladen sind die Karren mit Werkzeugen, Bierkisten, Bergmannsuniformen - und einem Fass. Das Ding ist aus französischer Eiche gemacht und wiegt um die sechzig Kilogramm. Es soll verschwinden, und zwar gründlich.

Der Pfad führt am Saum des Tharandter Waldes entlang. Rechter Hand gluckert die Wilde Weißeritz und geradeaus rumort ein Generator. Das ist der Sound des Zielobjekts. Die Leute vom Verein Gewerkschaft Aurora Erbstolln klotzen ran. Bis zur Grubenöffnung am Samstag nach Ostern ist noch viel zu tun.

Karawane der Schubkarren: Christian Rüger, Andreas Mußbach und Carsten Gieseler (v.l.) nähern sich dem Aurora Erbstolln.
Karawane der Schubkarren: Christian Rüger, Andreas Mußbach und Carsten Gieseler (v.l.) nähern sich dem Aurora Erbstolln. © Egbert Kamprath

Der Aurora Erbstolln gehört zur Dorfhainer Flur. Silberbergbau ist in der Gegend seit Beginn des 16. Jahrhunderts aktenkundig. Bei Aurora, der Name bedeutet Morgenröte und steht für die Hoffnung auf Erz, begann der Abbau schätzungsweise 1580. Die Hauer folgten hier der Spur aus Flussspat und Schwerspat, die Bleiglanz enthielt. Silberanteil: bis zu zwei Prozent.

Steigerlied bewegt den Dynamofan

Ende des 19. Jahrhunderts kam das Aus für den Erbstolln. Er schlief ein und wurde auch von der Wismut nicht aufgeweckt, die nach Uran suchte, aber nichts Brauchbares fand. Einige Bergbaufreunde sahen das anders. Für sie war Aurora selbst ein Schatz, den sie heben wollten. Am 1. April 1989 wurde der Erbstolln als Besucherbergwerk wiedereröffnet.

"Eine Mischung aus Natur, Kameradschaft und Traditionspflege." Aurora-Chef Silvio Lehmann am Mundloch.
"Eine Mischung aus Natur, Kameradschaft und Traditionspflege." Aurora-Chef Silvio Lehmann am Mundloch. © Egbert Kamprath

Das ist nun 35 Jahre her, ein kleines Jubiläum, zu dem die Grube tadellos in Schuss sein soll. Deshalb hat der Generator Schwerstarbeit zu leisten. Drinnen brauchen sie mehr Licht, als die Steigerlampen, Erbmasse des Bergbaubetriebs "Willi Agatz", umgerüstet auf LED, liefern können. Und der Stemmhammer macht sowieso nichts ohne Saft.

Ein paar Schritte hinter dem Mundloch liegt die Baustelle. Im Schummerlicht hantieren drei Behelmte über einem bodenlos scheinenden Schacht, der voll Wasser steht. Hier strebte der Erzgang in die Tiefe, die Bergleute ihm nach. Zwölf Meter geht es runter. Eine Haspel zog die Eimer mit dem Gestein von dort empor. Das Gerät ist verrottet und muss samt seiner Plattform erneuert werden.

Hämmern am neuen Standplatz der Haspel (v.l.): Grubenleiter Frank "Pretzschi" Schmieder mit Dietmar Dörre und Christian Rüger.
Hämmern am neuen Standplatz der Haspel (v.l.): Grubenleiter Frank "Pretzschi" Schmieder mit Dietmar Dörre und Christian Rüger. © Egbert Kamprath

Frank Schmieder, 65, führt die Arbeiten an. Er ist bei Aurora der Grubenleiter. "Pretzschi" - jeder Bergmann hat seinen Spitznamen - stammt aus Pretzschendorf. Vierzig Jahre war er bei der Wismut, als Grubenelektriker. Auch den Wismut-Stolln-Bau unter Freital, Wismuts letztes Großprojekt in der Region, hat er mitgemacht. "Von Anfang bis Ende."

Die Zeit unter Tage hat ihn geprägt. Bergmann sein ist eine Berufung, sagt er. Auch als Rentner lässt sie ihn nicht los. Einige Sachen hat er aus den alten Wismut-Schächten für Aurora retten können. Und wenn heute irgendwo das Steigerlied angestimmt wird, etwa, wenn Aue gegen Dynamo spielt, da passiert was bei ihm im Körper, sagt er. Da freut er sich, auch wenn er Dynamofan ist. "Da ist es dann egal, wer am Ende gewinnt."

Bergbaugerät dekoriert das Stollenlabyrinth, hier ein Handkarren und eine typische Schaufel, genannt "Weiberarsch".
Bergbaugerät dekoriert das Stollenlabyrinth, hier ein Handkarren und eine typische Schaufel, genannt "Weiberarsch". © Egbert Kamprath

Mit dem Elektrohammer macht der Bautrupp Platz im Freiberger Graugneis für die neue Podestkonstruktion. Dietmar Dörre, den sie hier nur "den Schmied" nennen, hat die Metallrahmen gebaut, auch das neue Geländer, überhaupt alles, was hier aus Metall ist. Er arbeitet sowieso jeden Tag in seiner Werkstatt in Röthenbach, repariert, was die Leute ihm bringen, ob Trecker oder Schubkarre.

Vom weiten Meer in enge Stollen

Dörre hat sein Berufsleben nicht in engen Schächten verbracht. Im Gegenteil. Mit der Tankerflotte der DDR fuhr er als Schiffsingenieur übers weite Meer, "von Rostock in die ganze Welt". Die Riesenmaschinen so feinfühlig zu bearbeiten, dass sie machten, was er wollte, das reizte ihn an der Seefahrt. "Und heute fahre ich mit 82 Jahren in die Grube ein."

Konstante Kühle ist gut für die Whisky-Reifung. Im Aurora Erbstolln herrschen aktuell etwa zehn Grad.
Konstante Kühle ist gut für die Whisky-Reifung. Im Aurora Erbstolln herrschen aktuell etwa zehn Grad. © Egbert Kamprath

Zwischen 800 und 1.000 Besucher hat der Erbstolln jährlich. Geführt von den Vereinsleuten, besichtigen sie etwa 280 Meter Grubenbau, dekoriert mit Bergbaugerätschaften und Mineralien. Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Insgesamt misst Aurora 640 Meter. Der größte Teil bleibt im Dunkeln.

Das ist einer der Gründe, wieso Carsten Gieseler mit seinem Fass anrückt. Der Dorfhainer Unternehmer ist gemeinsam mit einem Kompagnon auf die Idee verfallen, Whisky befreundeter Brenner aus Süddeutschland in seiner Heimat zu veredeln, durch Lagerung im Bergwerk. Seit drei Jahren gibt es dafür sogar eine eigene Firma, die Culture Distillers.

Er hat den geheimen Teil des Bergwerks weitgehend für sich: Der Höhlenflohkrebs lebt in der Wasserrinne an der Stollenwand.
Er hat den geheimen Teil des Bergwerks weitgehend für sich: Der Höhlenflohkrebs lebt in der Wasserrinne an der Stollenwand. © SZ/Jörg Stock

Der Gedanke kam Gieseler bei den Spaziergängen mit seinen drei Portugiesischen Wasserhunden, die auch am Mundloch von Aurora vorbeiführen. Das Bergwerk mit seinem konstanten, kühlen Klima - aktuell hat es zehn Grad - findet er bestens geeignet fürs Finish der Spirituosen. Je kühler die Umgebung, desto bedächtiger und inniger verläuft die Reifung.

Minimaler Tribut an die Engel

Auf seiner Karre bugsiert Gieseler die Last durch den Irrgarten der Gänge. Das Fass ist ein kleines, ein sogenanntes Quarter Cask. Es enthält fünfzig Liter Stoff. Wenig Whisky, aber viel Eiche drumherum. So nimmt der Inhalt schneller und intensiver Aromen aus seiner Hülle an. Das Stollenklima wirkt dabei wie eine Art Bremse, erklärt Gieseler. "Damit wir nicht übers Ziel hinausschießen."

Fertig kultiviert: die Whisky-Editionen "Tharandter Wald" und - extra rauchig - "Tharandter Meiler".
Fertig kultiviert: die Whisky-Editionen "Tharandter Wald" und - extra rauchig - "Tharandter Meiler". © Egbert Kamprath

Und es hat noch einen Vorteil: Je kühler der Lagerraum ist, sagt Gieseler, desto weniger Whisky muss man als Schwund, genannt "Angel's Share", also Anteil der Engel, in Kauf nehmen. Gänzlich vermeiden lässt sich der Verlust selbst im Berg nicht. Grubenschreiber Andreas Mußbach, der auch als Führer agiert, erinnert sich feixend an zwei Gäste aus Freiberg. Die hatten schon am Tor den richtigen Riecher, sagt er: "Ihr habt Whisky hier drin!"

Der Aurora-Whisky scheint zu zünden bei den Kennern. Von den bislang abgefüllten zweitausend Flaschen sind etwa die Hälfte verkauft. Weitere tausend Flaschen liegen in Fässern und werden derzeit eingelagert. Nicht nur für eine Grubensaison, die von April bis Oktober reicht. Einen Teil wollen die Distillers nun auch mindestens drei Jahre lang unter Tage lassen.

Eine Flasche Whisky kostet siebzig Euro. Das leere Fass allein über dreihundert. Trotzdem macht sich Christian Gieseler keine Sorgen wegen potenzieller Diebe. Dunkelheit und Gruselfaktor der Gänge seien nicht zu unterschätzen, warnt er, und das Versteck sei gut gewählt. "Wenn der Bergmann will, dass etwas nicht gefunden wird, dann findet es auch keiner."