Dresden
Merken

Ehrenmord-Prozess in Dresden: Anklage fordert lebenslang

Ein irakischer Kurde soll mithilfe seines Bruders seine Schwester in Dresden getötet haben. Beim Plädoyer der Staatsanwältin zeigt der 39-Jährige erstmals eine Reaktion.

Von Alexander Schneider
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Im Mordprozess am Landgericht Dresden gegen Zairk A. (3.v.r.) wurde nun plädiert. Der 39-Jährige soll 2017 seine Schwester getötet haben. Verteidiger Michael Stephan (2.v.r) fordert einen Freispruch aus Mangel an Beweisen.
Im Mordprozess am Landgericht Dresden gegen Zairk A. (3.v.r.) wurde nun plädiert. Der 39-Jährige soll 2017 seine Schwester getötet haben. Verteidiger Michael Stephan (2.v.r) fordert einen Freispruch aus Mangel an Beweisen. ©  Foto: Rene Meinig

Dresden. Auch nach der langen Beweisaufnahme ist die Staatsanwältin von der Schuld des Angeklagten überzeugt: Zairk A. (39) habe seine Schwester aus niederen Beweggründen ermordet. Dafür könne es nur ein Urteil geben: Eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Seit April verhandelt das Landgericht Dresden den ersten sogenannten Ehrenmord-Prozess. Am Montag, dem 18. Sitzungstag, wurde plädiert. Der Angeklagte, ein Kurde aus dem Irak, habe nicht akzeptiert, dass seine 22-jährige Schwester Sozan A. in Deutschland ein halbwegs selbstbestimmtes Leben habe führen wollen, so die Staatsanwältin. Daher habe er gemeinsam mit seinem Bruder Sharat A. (30) am 14. Oktober 2017 die junge Frau in ihrer Dresdner Wohnung auf der Dürerstraße erstickt.

Sharat A. lebt in Italien und befindet sich dort in anderer Sache in Haft. Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte den Mann mit angeklagt, doch die italienischen Behörden hatten seine Auslieferung für die Hauptverhandlung abgelehnt.

Kurz nach der Hochzeit war die Frau tot

Die Indizien ließen keinen anderen plausiblen Schluss zu, sagte die Staatsanwältin nun in ihrem Plädoyer: darunter DNA-Spuren Zairk A.s an der Haut und unter den Fingernägeln des Opfers und etwa die eilige Abreise der Brüder kurz nach der Tat. Die Aussagen von mehreren Zeugen belegten, dass Sozan A. lange vor der Tat Angst vor ihren beiden in Europa lebenden Brüdern gehabt habe.

Am 11. Oktober 2017 heiratete sie in Hamburg ihren zweiten Ehemann im Beisein ihrer Brüder nach islamischem Recht. Dann reisten die Brüder mit ihr nach Dresden. Erst nachdem ihr neuer Ehemann einen Tag später die Polizei alarmiert hatte, wurde die tote Frau in ihrem Bett unter einer glatt gestrichenen Bettdecke gefunden.

Sozan A.s Familie habe die Trennung von ihrem ersten Mann als Schande angesehen, sagte die Staatsanwältin. Als sie den Tathergang beschrieb, zeigte Zairk A. erstmals Reaktionen. Er wolle sich "diese Lügen" nicht anhören, sagte er in einem Disput mit dem Richter. Später entschuldigte er sich dafür.

Trennung als Schande angesehen

Der Angeklagte hatte sich bislang nie zu dem Vorwurf geäußert. Der Mann lebte zuletzt mehrere Jahre in Finnland und wurde für sein Verfahren ausgeliefert. Er habe "mehrere Kinder von mehreren Frauen", mit denen er unverheiratet zusammengelebt habe, sagte die Staatsanwältin. Doch seine Schwester habe nicht leben dürfen, wie sie wollte.

Verteidiger Michael Stephan plädierte auf Freispruch. Die Indizien reichten nicht für eine Verurteilung aus. Auch ein Einzeltäter, selbst der 30-jährige Bruder, könnte Sozan A. ohne Zutun seines Mandanten getötet haben. Zairk A. sei aus Sicht der Familie für Sozan verantwortlich, der jüngere Bruder mehr ein Mann "fürs Grobe".

Stephan bezog sich dabei auf die Einschätzung eines Islamwissenschaftlers des Landeskriminalamtes Sachsen, der wegen der kulturellen Besonderheiten als Sachverständiger an diesem Prozess teilgenommen hatte.

Rätselhaftes Verhalten

Darüber hinaus betonte Stephan das Verhalten der Geschädigten, das auch nach 18 Sitzungstagen nicht ganz erhellt werden konnte. Während ihre Brüder nach Finnland beziehungsweise Italien lebten, sei Sozan A. mit ihrem ersten Mann nach Deutschland geflüchtet. Die beiden hätten sich als Jesiden ausgegeben, weil sie sich so Vorteile für den Erhalt eines Aufenthaltstitels versprochen hatten.

Im März 2017 habe sich das Paar, kaum dass es eine gemeinsame Wohnung bezogen habe, scheiden lassen. Die 22-Jährige sei dann in Frauenhäuser in Niedersachsen "geflüchtet", habe behauptet, sie werde von ihrem Mann misshandelt und missbraucht. Tatsächlich habe sie versucht, in die Nähe ihres neuen Freundes und späteren zweiten Ehemannes zu kommen, der in Hamburg lebte.

Ende August 2017 sei sie unter rätselhaften Umständen aus dem geschützten Umfeld eines Frauenhauses jedoch zurück nach Dresden zu ihrem ersten Mann gezogen. Mitte September, so Stephan, sei sie gemeinsam mit ihrem Ex-Mann in einem Kaufland beim Ladendiebstahl erwischt worden.

Das Urteil soll am 1. November fallen.