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Dresdner Gastronomen-Ehepaar schließt Gasthof Cunnersdorf nach 38 Jahren

Seit 1986 wohnen und arbeiten Regina und Roland Bohle im Gasthof Cunnersdorf am Stadtrand von Dresden. 1990 haben sie die Konsum-Gaststätte gekauft und weitergeführt. Warum Ende Januar die Lichter ausgehen.

Von Kay Haufe
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Seit 1986 leben und arbeiten Regina und Roland Bohle im Gasthof Cunnersdorf im Schönfelder Hochland.
Seit 1986 leben und arbeiten Regina und Roland Bohle im Gasthof Cunnersdorf im Schönfelder Hochland. © René Meinig

Dresden. Die Tische sind fertig eingedeckt, Servietten stehen akkurat gefaltet auf den Plätzen, in der Mitte frische Blumen. Bis der Gasthof Cunnersdorf um 17 Uhr öffnet, muss Köchin Regina Bohle noch einiges vorbereiten. Kartoffeln sind zu schälen, Zwiebeln zu schneiden, Salat zu waschen. Doch an diesem Freitag ist vieles anders als an anderen Tagen zuvor im Lokal im Schönfelder Hochland.

"Wir bieten nicht mehr alle Gerichte von der Speisekarte an, sondern verkaufen nur, was wir noch vorrätig haben", sagt Gastwirt Roland Bohle. Nur noch eine reichliche Woche, dann schließen er und seine Frau den Landgasthof, den es seit 1865 gibt.

Eigentlich wollte beide ihre Gaststätte schon nach den Weihnachtsfeiertagen 2023 schließen, doch weil sie am 27. Dezember in den Urlaub aufgebrochen sind, erschien beiden der Abschied zu abrupt. "Wir wurden von vielen Stammgästen und Cunnersdorfern angesprochen, ob sie sich nicht noch mal in Ruhe verabschieden könnten. Und wir hatten noch einiges an Lebensmittelbeständen. Also wird nun der 28. Januar der Abschiedstag sein", sagt der 70-Jährige.

Der Gastraum wird dunkel bleiben

Wenn dann die Lichter in der Gaststube an der Gönnsdorfer Straße 17 ausgehen, wird es wohl für lange Zeit dunkel darin bleiben. Bohles haben keinen Käufer für das Anwesen mit großem Saal und vier Fremdenzimmern gefunden. Interessenten gebe es genügend, doch die derzeitige Situation mit hohen Baupreisen und deutlich gestiegenen Zinsen lasse viele potenzielle Käufer zurückschrecken, sagt Regina Bohle. "Wer bindet sich da eine über 150-jährige Immobilie ans Bein, an der viel zu machen ist?"

Ein historisches Foto zeigt den Gasthof im Januar 1924.
Ein historisches Foto zeigt den Gasthof im Januar 1924. © René Meinig

Keiner weiß besser als sie und ihr Mann, dass der alte Gasthof viel Arbeit bedeutet. Als die junge Familie mit zwei kleinen Kindern im Jahr 1986 aus der Dresdner Neustadt in die ländliche Gegend nach Cunnersdorf zieht, gibt es im Haus noch Trockentoiletten, besser bekannt als Plumpsklos. In den zwei kleinen Zimmern im oberen Stockwerk, das die Bohles bewohnen, fehlen Bad und Toilette. Zum Waschen müssen alle ins Erdgeschoss, wo das Bad neben der Gasthof-Küche eingerichtet war. "

Kartons packen in der "Muttibrigade"

Dass die Familie Mitte der 1980er Jahre den Neustart im Hochland wagt, war Regina Bohles Initiative. "Ich habe gedrängelt, weil ich beruflich unzufrieden war", sagt die gelernte Buchbinderin. Mit den zwei kleinen Kindern wurde sie in ihrem Betrieb, in dem zweischichtig gearbeitet wurde, in die sogenannte "Muttibrigade" in der Packerei gesteckt. "Dort mussten wir Bücher von Band nehmen und in Kartons einsortieren, stupide und nervtötend. Als ein Freund meines Mannes anfragte, ob wir ihn nicht in der HO-Gaststätte in Cunnersdorf unterstützen wollen, habe ich gesagt, das machen wir."

Dafür absolviert Regina Bohle noch eine Kochlehre bei der HO, diese hatte ihr Mann bereits 1972 als Facharbeiter abgeschlossen, sein Ausbildungsbetrieb war die Waldschänke Moritzburg. Später arbeitet er bei der Post. Als der Freund der beiden 1988 den Gasthof Cunnersdorf verlässt, macht Roland Bohle die Weiterbildung zum Gaststättenleiter und übernimmt das Haus. "Es hat uns Spaß gemacht, die Kinder fühlten sich wohl."

Der Viertelliter Felsenkeller-Bier kostete damals 49 Pfennige, die Leute stehen am Wochenende ab 10 Uhr vor dem Gasthof Schlange, um ab 11 Uhr essen zu können. "Wir waren eigentlich immer als Speisegaststätte beliebt, die 'flüssige Nahrung' spielte nicht die große Rolle", blickt Roland Bohle zurück.

Unwägbarkeiten in der Wendezeit

Für die beiden war klar, dass sie den Gasthof weiterführen und kaufen wollen, als die Wende kommt. Die HO hatte den Preis des Hauses bei 160.000 D-Mark festgemacht und den sogar auf eine Tafel am Gasthof geschrieben. Bohles kämpfen sich mithilfe eines Unternehmensberaters durch ellenlange Vertrags- und Kredittexte, von denen sie nur ein Bruchteil verstehen. Am Ende gehört ihnen der Gasthof.

Familie Bohle hat viel erlebt in ihrem Gasthof bei Discotheken, Konzerten und anderen Veranstaltungen.
Familie Bohle hat viel erlebt in ihrem Gasthof bei Discotheken, Konzerten und anderen Veranstaltungen. © René Meinig

Die Jahre danach sind aufregend. "Als Erstes haben wir ordentliche Toiletten einbauen lassen. Und da wir genügend Kredit aufgenommen hatten, ließen wir auch die Fassade machen. Weil noch etwas Geld übrig war, kamen vier Fremdenzimmer dazu", sagt Regina Bohle.

Das Ehepaar hat Veranstaltungen wie Tanz in den Mai, Pfingstfrühschoppen mit Modenschauen oder Schlachtefeste organisiert. Thomas Stelzer und weitere Bands geben im Saal Konzerte. "Wir mussten uns was einfallen lassen, damit Gäste kommen." Beliebt ist der Landgasthof aber auch, weil die Preise der Speisen zu jeder Zeit günstig sind.

Unerwartete Unterstützung in der Corona-Zeit

Bis kurz vor die Corona-Zeit bekommt die Köchin Unterstützung von einer jungen Frau, die bei den Bohles ausgebildet wurde, im Service wird je nach Andrang weitgehend mit Pauschalkräften gearbeitet. Dann bricht nicht nur die Pandemie aus, sondern Roland Bohle erkrankt schwer. "Es war schrecklich, seinen Mann im Krankenhaus nicht mal in die Arme nehmen zu können", sagt Regina Bohle.

Für Bohles bedeutet die Corona-Zeit auch einen wirtschaftlichen Kraftakt, der ihre Existenz bedroht. Da überraschen sie viele Anwohner und andere Gäste, die plötzlich im Gasthof Essen bestellen und abholen, obwohl manche vorher nie da waren. "Es gab so eine große Solidaritätswelle, ohne die wohl nicht überlebt hätten. Dafür sind wir extrem dankbar."

Modelleisenbahnen sind das Hobby des Gastwirtes. In der Adventszeit baute er eine auf dem Kachelofen im Gastraum auf.
Modelleisenbahnen sind das Hobby des Gastwirtes. In der Adventszeit baute er eine auf dem Kachelofen im Gastraum auf. © René Meinig

Roland Bohle gibt nicht auf, arbeitet trotz seiner Erkrankung weiter. "Wir haben die Öffnungszeiten reduziert und wochentags nur noch von Mittwoch bis Freitag ab 17 Uhr geöffnet, mittags nur am Wochenende." Seine Frau sagt von ihm, dass er mehr Energie als sie hätte. Und trotzdem gibt es im Juli 2023 den nächsten Schuss vor den Bug: Herzinfarkt. "Als dann Gunter Emmerlich so überraschend gestorben ist, habe ich gesagt, dass soll mir nicht passieren."

"Wir haben immer an uns gespart"

Dass das Ehepaar seinen Gasthof jetzt nicht verkaufen kann, obwohl er die Altersvorsorge der beiden sein soll, bringt sie nicht aus der Ruhe. "Wir wohnen gern in Cunnersdorf und es werden auch wieder andere Zeiten kommen, in denen wir sicher akzeptable Angebote bekommen", sagt Regina Bohle.

Klar ist ihr aber, dass es keinen geben wird, der den Gasthof so wie sie weiterführen wird. "Unsere Preise sind deshalb so günstig, weil wir immer an uns gespart und an manchen Tagen bis zu 16 Stunden gearbeitet haben. Das macht heute keiner mehr."

Und auch im Ort wird der einzige Treffpunkt schmerzlich vermisst werden, den es in Cunnersdorf mit dem Gasthof noch gab. "Ein älterer Herr hat zu uns gesagt, es müsste von der Gemeinde verboten werden, dass wir schließen."