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Grünes Gewölbe: Und was ist mit den Juwelen?

Drei Männer, die ins Grüne Gewölbe eingebrochen sein sollen, sind in Haft. Wie wahrscheinlich ist es, dass die gestohlenen Juwelen unversehrt zurückkehren?

Von Birgit Grimm & Alexander Schneider
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Marion Ackermann möchte die ausgeraubte Vitrine im Juwelenzimmer nicht auf ewig leer stehen lassen. Sie könnte sich vorstellen, dass im nächsten Jahr Künstlerinnen und Künstler sich im Grünen Gewölbe mit dem Einbruch und dem Verlust auseinandersetz
Marion Ackermann möchte die ausgeraubte Vitrine im Juwelenzimmer nicht auf ewig leer stehen lassen. Sie könnte sich vorstellen, dass im nächsten Jahr Künstlerinnen und Künstler sich im Grünen Gewölbe mit dem Einbruch und dem Verlust auseinandersetz © Matthias Rietschel

Dresden. Vier Tage vor der Razzia in Berlin saß ein Team der Sächsischen Zeitung zum Interview im Büro der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, um mit ihr den schwärzesten Tag in der Geschichte der SKD Revue passieren zu lassen und zu erfahren, was sich seitdem getan hat in Sachen Sicherheit.

Als wir Marion Ackermann fragten, wie sie mit dem Verlust umgehe, antwortete sie: „Nicht nur Hoffnung ist Teil der Strategie, sondern Aktivität. Ich bin zuversichtlich, dass sich positive Dinge ereignen werden.“ Am Dienstag ist es geschehen. Verdächtige wurden in Berlin verhaftet. Sie schweigen. Und von den Kunstwerken fehlt weiterhin jede Spur.

Wird die vor einem Jahr ausgeraubte und nun immer noch leere Vitrine im Juwelenzimmer des Historischen Grünen Gewölbes, die sehr eindrücklich an den Einbruch erinnert und den Verlust ins Bewusstsein der Besucher bringt, leer bleiben? „Nein, nicht für immer. Wir warten jetzt erst einmal ab. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man könnte die Vitrine einrichten wie vorher, nur eben mit den Fehlstellen. Man könnte auch Künstler beauftragen, sich mit dem Grünen Gewölbe auseinanderzusetzen, also eine andere Form zu finden, die die Geschichte des Einbruchs vermittelt und zugleich Raum lässt für Verarbeitung.“

Blick auf das Residenzschloss in Dresden. Vor knapp einem Jahr war hier aus dem Grünen Gewölbe wertvoller Schmuck geraubt worden.
Blick auf das Residenzschloss in Dresden. Vor knapp einem Jahr war hier aus dem Grünen Gewölbe wertvoller Schmuck geraubt worden. © dpa/Robert Michael

Der 25. November 2019 hat sich fest in Marion Ackermanns Gedächtnis eingebrannt: Wie sie vom Sicherheitsdienst aus dem Bett geklingelt wurde. Wie sie den Ministerpräsidenten und die zuständige Kunstministerin informierte. Wie beschlossen wurde, sofort die Öffentlichkeit zu informieren. „Es war einfach so abstrakt, wir konnten ja am ersten Tag nicht hinein und die Schäden in Augenschein nehmen. Ich hatte die Vorstellung, das gesamte Grüne Gewölbe sei ausgeräumt worden.“ Sofort appellierte sie an die Täter: „Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass die Objekte nicht verwertbar sind. Weder als komplette Garnituren, weil sie weltweit bekannt sind, noch, indem man die einzelnen Diamanten herauslöst. August der Starke hat Juwelengarnituren mit besonderen Schliffen aus dem 18. Jahrhundert gesammelt, man müsste also jeden Stein neu schleifen.“ Aber der Aufwand lohne sich nicht bei diesen Steinen, die eher klein und nicht besonders rein sind, also Einschlüsse haben.

Einen Geldwert für die gestohlenen Stücke haben die SKD nie angegeben, weil sie von unschätzbarem kulturhistorischem Wert sind und weil der Kunstmarkt wie jeder Markt Schwankungen unterliegt.

Aus dem Grünen Gewölbe entwendete Schmuckstücke. Unten rechts ist die große, sehr wertvolle Schleife.
Aus dem Grünen Gewölbe entwendete Schmuckstücke. Unten rechts ist die große, sehr wertvolle Schleife. © SKD/dpa

Das Historische Grüne Gewölbe ist ein Gesamtkunstwerk, in dem diese Garnituren eine bestimmte Rolle spielen. Vielleicht, bestimmt sogar, gibt es wertvollere Stücke in diesem glänzenden Ensemble. Und sind nicht sowieso die Objekte, die im Neuen Grünen Gewölbe, also im Stockwerk über den historischen Schatzkammerräumen zu bestaunen sind, noch wertvoller? Warum sonst verleiht man ihnen mit dieser Art der herausgehobenen Präsentation einen besonderen Status, geradezu eine Aura?

Nach der jahrzehntelangen provisorische Ausstellung im Albertinum haben viele Sachsen dem Wiedererstehen des einst von August dem Starken höchstselbst geplanten Schatzkammermuseums im Erdgeschoss des Schlosses entgegengefiebert. Als es im September 2006 eröffnet wurde, musste man seinen Besuch lange vorausplanen, die Zeittickets waren permanent ausverkauft. Manche empfanden es nur als „Ersatz“, wenn sie darauf hingewiesen wurden, dass berühmte Einzelstücke wie der Kirschkern mit den 185 geschnitzten Gesichtern, die faszinierende Fregatte aus Elfenbein oder der Hofstaat des Großmoguls im Neuen Grünen Gewölbe zu besichtigen seien.

Einer der drei Tatverdächtigen wird von Polizisten in das Gebäude des Dresdner Oberlandesgerichts geführt.
Einer der drei Tatverdächtigen wird von Polizisten in das Gebäude des Dresdner Oberlandesgerichts geführt. © Robert Michael/dpa

Alle wollten ins Historische Grüne Gewölbe. Die Personenzahlen zu begrenzen, war von Anfang an absolut notwendig und richtig. Denn erstens macht es den Besuch sehr viel entspannter und zweitens eine Schatzkammer, in der die meisten Objekte frei auf Wandkonsolen und Tischen stehen, sicherer. Zumal man nur durch elektronische Schleusen das Museum betreten und wieder verlassen kann. Hätte es jemand gewagt, sich eins der frei stehenden Objekte zu greifen, er hätte das Museum nicht verlassen können. Das Grüne Gewölbe ist sicher wie Fort Knox – diesen Spruch hörte man damals oft. Heute muss man sich bei allem Entsetzen über das brutale Vorgehen auch über die Dummheit der Diebe wundern. Denn sie wussten zum Beispiel auch nicht, dass jedes einzelne Stück in der Vitrine befestigt war.

„Der Unterschied zwischen Historischem und Neuem Grünen Gewölbe ist vielen Menschen gar nicht bewusst“, sagte Frau Ackermann. „Manche Sachsen waren vielleicht auch lange nicht mehr im Schloss.“

In diesem Audi S6 rasten die Diebe nach dem Einbruch nach Dresden-Pieschen, luden die Beute um und steckten das Auto in Brand.
In diesem Audi S6 rasten die Diebe nach dem Einbruch nach Dresden-Pieschen, luden die Beute um und steckten das Auto in Brand. © Polizeidirektion Dresden

Am Tag der Wiedereröffnung nach dem Einbruch waren fast alle Besucher deutsche Touristen, die nach dem Shutdown die Pfingstfeiertage in Dresden verbrachten. „Aber durch den Verlust war schon vorher die Frage nach der Identität laut geworden. Wir wurden in den sozialen Medien und auf der Straße beschimpft“, erinnerte sich Marion Ackermann. „Mir wurde unterstellt, dass ich, weil ich aus dem Westen komme, nicht so verantwortungsbewusst arbeiten würde wie jemand, der hier geboren ist. Das habe ich klar zurückgewiesen. Ich nenne das eine Identitäts-Groteske, denn wir sind uns unserer Verantwortung zutiefst bewusst“, sagt sie. Auch Dirk Syndram, seit Anfang der 90er-Jahre Direktor des Grünen Gewölbes, traf die Wut mit voller Wucht. Mancher Sachse behauptete gar, es sei, als wäre ihm das Herz herausgerissen worden. Einige forderten den Rücktritt von Syndram und Ackermann und meinten, das sei die einzig richtige Art und Weise, Verantwortung zu übernehmen. Kunstministerium und Freistaat hielten das nicht für notwendig. Denn so einfach ist es nicht, dass mit einem Rücktritt schlagartig alle Probleme gelöst und die Sicherheitslücken, die mit diesem Einbruch offenbar wurden, automatisch geschlossen werden.

Eine maßgebliche Säule des Ermittlungserfolges

In der Dresdner Polizei nahm die Soko Epaulette die Ermittlungen auf. Parallel dazu begann an den Kunstsammlungen und dem für die Kulturbauten zuständigen Staatsbetrieb Sächsisches Bau- und Immobilienmanagement die Fehleranalyse. „Wir haben in schonungsloser Offenheit alles angeschaut, baulich, technisch, organisatorisch von der Bau-Übergabe des Grünen Gewölbes 2005 bis heute und haben festgestellt, dass zum Beispiel die Informationsflüsse im Freistaat und auch national und international verbessert werden müssen“, sagte Frau Ackermann.“ Dass über konkrete Sicherheitsmaßnahmen am Schloss, über sichtbare und unsichtbare, nicht öffentlich gesprochen und schon gar nicht diskutiert wird, versteht sich wohl von selbst. Die viel gescholtenen Kameras am und im Schloss sollen tatsächlich geholfen haben, die Täter zu identifizieren. Das betonte Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt am vergangenen Dienstag am Rande der Verhaftungen der ersten drei mutmaßlichen Täter. Aufnahmen der Videokameras in und am Gebäude des Residenzschlosses vor, während und nach dem Einbruch bezeichnete Schmidt als eine von drei maßgeblichen Säulen des Ermittlungserfolges. Es sei damit möglich, einzelne Verdächtige zu identifizieren. Als weitere Säulen nannte Schmidt Spuren, die an Tatorten gefunden wurden und das Fluchtfahrzeug, mit dem die Täter nach Berlin gefahren seien.

Das Fenster, durch das die Diebe ins Schloss eingestiegen sind, ist jetzt zugemauert.
Das Fenster, durch das die Diebe ins Schloss eingestiegen sind, ist jetzt zugemauert. © Ronald Bonß

Wie viele Gerüchte und öffentliche Mutmaßungen gab es über diese Kameras! Immer wieder wurde gemunkelt, dass sie nichts getaugt hätten und neue Technik längst überfällig gewesen wäre. Die Ermittler werden wohl nicht nur an diesem Punkt milde gelächelt haben, wenn sich wieder jemand ereiferte. Sie wussten, was sie tun.

„Aus der schlimmen Erfahrung heraus entwickeln wir nun ein Modell, das auch für andere Museen tragbar sein könnte. Und wir lernen auch von anderen“, sagte Ackermann. Zum Beispiel lassen sich manche Museen einmal im Jahr evaluieren. Das könnte ein unangekündigter Sicherheitscheck durch externe Fachleute sein, die als Besucher kommen, sich aber nicht die Kunstwerke anschauen, sondern nach Sicherheitslücken suchen.

Die Staatlichen Kunstsammlungen bedenken bei der Einrichtung von Ausstellungen auch, wie im Ernstfall die Kunstwerke am besten zu schützen und am schnellsten zu evakuieren sind. „Wandgenaue Priorisierung“ heißt das. Denn außer Diebstahl und Vandalismus sind auch Feuer und Wasser erhebliche Gefährdungspotenziale, wie sich bei den Hochwassern 2002 und 2013 zeigte. Die Konsequenzen wurden nicht nur beredet, sondern gebaut: Das hochwassersichere Depot, die sogenannte Arche überm Albertinumshof, ist sehr viel mehr als ein architektonisches Meisterwerk.

Innen, im Pretiosensaal, wurde ein großer Spiegel angebracht, in dem auf diesem Foto Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, zu erkennen ist.
Innen, im Pretiosensaal, wurde ein großer Spiegel angebracht, in dem auf diesem Foto Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, zu erkennen ist. © Matthias Rietschel

Überhaupt sind die Sachsen gut darin, Kulturbauten zu errichten. Doch wie geht es weiter, wenn die Museen eröffnet sind? Ist der Etat groß genug für gut ausgebildetes Sicherheitspersonal? Fließt genug Geld in die notwendigen Technik-Updates? Ist der Schutz des Staatsschatzes Aufgabe der Museen allein oder ist er nicht vielmehr ein hoheitlicher Auftrag? Und wenn ja, wie hoch schätzt man das Sicherheitsrisiko der Dresdner Museen ein?

So viel steht fest: Die Besucher werden auch künftig keinem bis an die Halskrause bewaffneten Polizisten im Pretiosensaal begegnen, auch nicht am Hofstaat des Großmoguls oder vor Raffaels „Sixtinischer Madonna“. In Deutschland gibt es bewaffnetes Wachpersonal ausschließlich in jüdischen Museen, und dass das so sein muss, ist schlimm genug.

Mit der Festnahme von drei Tatverdächtigen ist der Fall nicht aufgeklärt. Noch fahndet die Soko Epaulette nach Zwillingsbrüdern, die ebenfalls verdächtigt werden, am Einbruch ins Grüne Gewölbe beteiligt gewesen zu sein. Es könnten noch mehr Täter an dem Einbruch mitgemischt haben. Die Polizei ging bis zuletzt von mindestens sieben Einbrechern aus. Und bisher gibt es keine Erkenntnisse, ob die gestohlenen Juwelengarnituren überhaupt noch existieren und wenn ja, wo sie sich befinden.

Marion Ackermann ist zuversichtlich, dass die Juwelen gefunden werden, obwohl sie weiß, dass manches dagegenspricht. Man denke nur an die 100-Kilo-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum, die auch verschwunden ist. Versteckt in einem Tresor? Eingeschmolzen?

Chronik eines Verbrechens

Der Einbruch – ein dreistes Gaunerstück

Am Montag, den 25. November 2019, kurz vor 5 Uhr, brachen die Täter ein Fenster des Grünen Gewölbes auf, schlugen im Juwelenzimmer eine Vitrine ein und stahlen die Schmuckgarnituren. Zuvor hatten sie einen Elektroverteiler an der Augustusbrücke in Brand gesetzt und so für einen Stromausfall gesorgt, sodass die Straßenlaternen rund um das Residenzschloss ausgingen. Sie flüchteten in einem Audi S6, den sie in einer Tiefgarage in Pieschen in Brand setzten.

Die Soko Epaulette – akribische Kleinarbeit

Die Polizei bildete die Sonderkommission Epaulette und ermittelt seitdem mit mehr als 40 Beamten. In den ersten Tagen gingen Hunderte Zeugenhinweise ein, bis vergangene Woche waren es 1.380.

Durchsuchungen – immer wieder Berlin

Immer wieder wies die Spur der Ermittler nach Berlin. So sollen die Täter mit einem als Taxi getarnten Mercedes von Dresden in die Hauptstadt geflüchtet sein. Im September gab es Durchsuchungen in Berlin-Neukölln – bei einem Händler, der den Tätern anonymisierte Handy-Karten besorgt haben soll, und bei Firmen, die den Flucht-Audi mit hellen Folien beklebten.

Die Verhaftungen – im Clan-Milieu

Am Dienstag, 17. November, verhafteten die Ermittler in Berlin drei mutmaßliche Einbrecher, zwei weiteren gelang die Flucht. Sie alle sind Angehörige des Remmo-Clans, zu dem mehrere türkisch-arabische Großfamilien gehören. Einer der Verdächtigen wurde erst im Februar für den Einbruch ins Bode-Museum verurteilt, war aber bis zuletzt auf freiem Fuß.

Der Prozess – ein Termin ist noch unklar

Die Staatsanwaltschaft hofft, die Täter zeitnah anzuklagen. Doch vorerst gebe es noch viel zu ermitteln.

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„Wir hatten vor einem Jahr sofort weltweit Fotos der gestohlenen Kunstwerke in Umlauf gebracht. Jeder seriöse Juwelier wird sie erkennen und wird sie nicht annehmen, wenn sie ihm angeboten werden“, sagt die Museumschefin. Aber was ist mit den unseriösen Geschäftsleuten, zu denen kriminelle Familien-Clans vermutlich engste Beziehungen pflegen?

Zwar gilt es als Legende, dass reiche Kunstliebhaber Kunstwerke aus Museen stehlen lassen, nur um sich im heimischen Hochsicherheitstrakt mutterseelenallein daran zu erfreuen. Aber sollte man deshalb von vornherein ausschließen, dass dieser Diebstahl ein „Auftragswerk“ war?

Welche Motive hatten die noch recht jungen Täter? Woher kommt diese kriminelle Energie, woher diese sinnlose Zerstörungswut? Wollten, mussten sie ihrer deutsch-arabischen Großfamilie beweisen, wie cool, wie clever und wie stark sie sind? Sollte dem Westen gezeigt werden, dass seine Kulturschätze nichts wert sind? Oder wollte der Clan dem deutschen Staat mal wieder eine lange Nase drehen?

Solange die Inhaftierten schweigen, wird es schwierig, den Funken Hoffnung am Glimmen zu halten.