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Verstörend gutes Kino: Dresdner Schauspieler Christian Friedel als Nazi

In "The Zone Of Interest" spielt der Dresdner Christian Friedel den KZ-Kommandanten Rudolf Höß und die Leipzigerin Sandra Hüller seine Gattin.

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Der Dresdner Schauspieler Christian Friedel gibt den Auschwitzkommandanten Rudolf Höß.
Der Dresdner Schauspieler Christian Friedel gibt den Auschwitzkommandanten Rudolf Höß. © Leonine Film

Von Andreas Körner

Der vollkommene Film. Was für eine Ohnmacht liegt in diesen drei Worten. Wie mit Alibi herausgeredet aus der Versuchung, gänzlich neue Beschreibungen für die Unbeschreiblichkeit zu finden. Es wird, so viel ist schon einmal klar, im weltumspannenden Kino der Jahrzehnte eine Zeit vor „The Zone Of Interest“ geben und eine danach. Die davor kündet von stetig wiederkehrenden erzählerischen Probanden für die Unfassbarkeit von Holocaust, deutschem Nazigrauen und Menschenwesen und wie all das zu Kunst geformt werden könnte.

Viele Geschichten mutlosen Scheiterns und stur reproduzierter Klischees kamen auf Leinwände. Die Zeit nach der „Zone“ wird eine interessante sein. Den Film, den andere schon hätten drehen wollen, hat der Brite Jonathan Glazer gedreht. Nach und vor verdienten Auszeichnungen startet er jetzt in Deutschland. Es umweht ihn extreme Spannung.

Schön ist es in Auschwitz

Rudolf Höß (Christian Friedel) ist mit seinem Sohn Claus (Johann Karthaus) in der Natur unterwegs. „Hör' mal“, nimmt der Vater sanft ihre traute Zweisamkeit auf. Eine Winzigkeit lang glaubt man, er würde seinen Ältesten auf das hinweisen, das wir, mündig und voll bepackt mit Hintergrundwissen, längst dechiffriert haben: ein fernes Dröhnen, vereinzelte Schreie, Hundegebell, Schüsse, ein akustischer Puls der Bedrohung. Doch Höß sagt schlicht: „Hör', eine Rohrdommel“. Der Vogel ruft vom schilfigen Ufer des Flusses Soła. Es ist einfach schön dort in Auschwitz.

Wer findet Ruhe im trauten Heim neben dem Konzentrationslager Auschwitz? Rudolf Höß und seine Frau Hedwig in getrennten Betten. Nicht nur Christian Friedel und Sandra Hüller leisten in dem Film „The Zone of Interest“ Großartiges.
Wer findet Ruhe im trauten Heim neben dem Konzentrationslager Auschwitz? Rudolf Höß und seine Frau Hedwig in getrennten Betten. Nicht nur Christian Friedel und Sandra Hüller leisten in dem Film „The Zone of Interest“ Großartiges. © Leonine Film

Schön ist auch das Haus des Lagerkommandanten. Der Garten erst! Für Hedwig Höß (Sandra Hüller) und fünf Kinder ist es das Paradies mit Blumen, Bienen, Gemüse, einem Wasserbassin. Alles, was es braucht für ein wohltemperiertes Familienleben, ist vorhanden. Hier kann man Feste feiern und Hausfrau sein. Wenn der Wein dann höher gewachsen sein wird, sieht man das Grau der Mauer nicht mehr so sehr, sagt Hedwig.

Die Geräusche? Nun, sie sind hier noch etwas lauter, ja. Ein Dröhnen, vereinzelte Schreie, Hundegebell, Schüsse, ein akustischer Puls der Bedrohung. Und aus Schornsteinen fauchen Flammen, kommt stetiger Rauch. Man muss ja nicht hinhören. Nicht hinblicken. Andere wohnen auch an Fabriken.

20 Meter vom Haus zum Lager

Es sind vielleicht 20 Meter vom Hößschen Haus zum Konzentrationslager. Morgens passiert der Chef das Tor zu Pferde. Da lohnt es sich kaum, dass man ihm lange nachwinkt, doch Hedwig mit dem Baby macht es gern. Es gehört zum kleinbürgerlichen Anflug von Glück – und was könnte wichtiger sein. Alles hat seine routinierte Ordnung. Dieser Pelzmantel, der gerade hereinkam, sieht ganz gefällig aus, denkt sich Hedwig Höß und probiert ihn an. Da ist noch ein Lippenstift in der Tasche. Vom Rest der Sachen können sich die polnischen Bediensteten etwas Hübsches aussuchen, so viel Geste muss sein. Ob es Juden sind, wird Hedwigs Mutter (Imogen Kogge) fragen, als sie zu Besuch kommt. Nein, die seien „da drüben“, sagt Hedwig.

Es ist Mutter Linna, bei der sich so etwas wie Unbehagen manifestiert. Weil sie nachts so überhaupt nicht schläft, wird deutlich, dass überhaupt keiner richtig ruht in diesem Haus. Bis auf Hedwig. Eines der Mädchen hat gar Albträume, doch andere Kinder an anderen Orten haben sie auch. Zu viel gegessen, vielleicht. Die Zimmer sind korrekt verschlossen, der Papa hat dafür gesorgt. Kein Grund für Angst.

Dann aber doch. Rudolf Höß soll abkommandiert werden. Die Vertreibung aus dem Paradies? Das Ehepaar steht am Steg der Soła, Rudolf im weißen Anzug, und diskutiert die Optionen wie ein Ehepaar eben die Optionen diskutiert, wenn sich neue Arbeitsorte anbahnen. Mit dem Unterschied, dass dem Rudolf seine Hedwig die „Königin von Auschwitz“ ist und was wird nur aus ihrem Reich, wenn es ins triste Oranienburg geht?

Für Hedwig ist es wie eine Vertreibung aus dem Paradies, als Rudolf Höß von Auschwitz weg versetzt wird und die Familie umziehen muss.
Für Hedwig ist es wie eine Vertreibung aus dem Paradies, als Rudolf Höß von Auschwitz weg versetzt wird und die Familie umziehen muss. © Leonine Film

An dieser Stelle mit nüchternen Handlungsdetails fortzufahren, wäre möglich. Gleichsam ein Zitieren des so klugen, sich rar machenden Regisseurs (nur vier Werke in mehr als 20 Jahren) über seine Intentionen, Präparationen und Arbeitsweisen. Man könnte analysieren, was der Film am Ende wirklich mit dem Roman von Martin Amis, den er als Vorlage nennt, gemein hat und haben will. Auch Sandra Hüller (allein ihr Gang!) und Christian Friedel (dieses Stimmenspiel!) wurden längst befragt, was sie zu den auf Dauer wohl eindrücklichsten Rollen ihrer Biografien gebracht hat, wie es sich drehen und danach weiterleben ließ. Beide haben souverän geantwortet. „The Zone Of Interest“ wirklich zu greifen und zu begreifen, wird sehr schwerfallen. Vorausgesetzt, man gesteht es sich ein.

Kein Schlag in die Magengrube, ein Dauerdruck

Weil er alles zu reizen vermag, was uns an Sinnen gegeben ist und in einem Film zu dieser Thematik mit Täter-Perspektive zu reizen wäre, damit er erst pickt und sich dann festbeißt. Weil er fast wahnwitzig offensiv ist in dem, was er an zeitgeschichtlichem Wissen voraussetzt. Weil er trotzdem null erklärt und dennoch mit präzisen, handwerklich absolut überzeugenden Elementen die Wirklichkeit ins Fiktionale einfallen lässt. Weil er in entscheidenden Momenten der observierenden Art, seine tragenden Charaktere zu zeigen, die Kunst der optischen Verfremdung und das pur Dokumentarische entgegensetzt – ein Schwarzbild, ein Aufziehen ins Grellrote, immer wieder diese unerhörte Tonspur aus Geräuschbausteinen und nervöser Musik, das Museum.

Weil er es sich nie leichtmacht. Nicht-Zeigen ist hier kein Ausblenden. Wegsehen wäre es. Ein Schlag in die Magengrube? Nein, kein Schlag. Nichts, das einmal heftig schmerzt, und dann ist es auch schon wieder gut. Dauerdruck, fortwährendes Unwohlsein, unheimliche Vibrationen, das Aufheben jeglichen Zeitgefühls – all das, ja! Und final vielleicht das Würgen des Rudolf Höß.

Ausnahmslos jeder und jede einzelne am Entstehen von „The Zone Of Interest“ Beteiligte – es schließt hier unbedingt die Plakatgestalter ein – haben Großes geleistet und allen Respekt verdient. Wie anders als mit vieltausendfachem Hinsehen wäre dieser Respekt am besten zu zeigen?

Der Film läuft in Dresden im Programmkino Ost und in der Schauburg sowie in Görlitz.