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DJ Yuriy Gurzhy legt in der Staatsoperette Dresden auf: "Die Russendisko war mir peinlich"

Der DJ, Musiker und Autor Yuriy Gurzhy hat zusammen mit Wladimir Kaminer mit der Russendisko eine Legende geschaffen, deren Zeit brutal endete. Jetzt legt er in der Operette in Dresden auf.

Von Nadja Laske
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Yuriy Gurzhy entdeckte in seiner Jugend die Leidenschaft für Schallplatten und Musik, die er später zum Beruf machte. Heute ist er ein vielseitiger Künstler.
Yuriy Gurzhy entdeckte in seiner Jugend die Leidenschaft für Schallplatten und Musik, die er später zum Beruf machte. Heute ist er ein vielseitiger Künstler. © Nico Sauer

Dresden. Wer kannte sie nicht, die Russendisko. Als Musikstil, Partyreihe, Album oder auch Film. Sie war legendär, spätestens, seit der russischstämmige Autor Wladimir Kaminer sie von einem gewissen Naserümpfen befreit und unter die Leute gebracht hat. Der folkloristische Stil ins Zeitgemäße transportiert, fand besonders im Nachwendeosten eine große Fangemeinde.

Von Anfang an dabei: der gebürtige Ukrainer Yuriy Gurzhy, Musiker, Produzent, DJ und Autor. Am kommenden Samstag ist er in der Dresdner Staatsoperette zu Gast - oder, um für die Zielgruppe nicht zu staatstragend zu wirken - im sogenannten Kranfoyer des Kulturkraftwerks Mitte.

Dorthin lädt das Musiktheater mit der Veranstaltungsreihe "Discorette" junge Leute ein. Unter diesem Titel sind Bandprojekte, Solokünstler und DJs zu erleben. Im Anschluss an eine Vorstellung startet die Party immer nach einem bestimmten Motto, dieses Mal heißt es "Klezmer Dancehall trifft Balkan-Funk und Reggae". Yuriy Gurzhy ist mit seiner Disko Kosmopolit zu Gast.

Vielleicht ist sein Name in Dresden nicht ganz so breit bekannt, wie der seines Freundes und Künstlerkollegen Wladimir Kaminer. Doch auch Yuriy kennt die Stadt gut, hat hier seine künstlerischen Spuren hinterlassen, war Gast der Jüdischen Woche Dresden und hat Berührungspunkte mit der Banda Comunale und Internationale. Kennengelernt haben sich die beiden im gleichen Musikerdunstkreis Berlins. In der Ukraine hatte Yuriy seine Kindheit verbracht, ein Studium begonnen und sich schließlich völlig neu orientieren müssen, als er mit 20 Jahren nach Deutschland kam.

"Man hatte Angst vor Anfeindung, damals schon"

"Ich konnte fast kein Deutsch, der Start war wirklich hart", erinnert er sich. Doch endlich Zugang zu den vielen coolen Plattenläden Berlins zu haben, die er früher nicht kannte, wog einiges auf - und brachte ihn näher an Gleichgesinnte wie eben Wladimir Kaminer. "Ich spielte in einer Band mit Probenraum auf dem Prenzlauer Berg. So lernte ich Wladimir kennen, der eine Videokamera hatte und unsere Auftritte filmte", erzählt er.

So entstand die Freundschaft zwischen dem russischen Juden Kaminer und dem ukrainischen Juden Gurzhy, die sich auch in der Liebe zur jüdischen Musik traf. "Erst mit sechs Jahren habe ich überhaupt erfahren, dass ich mütterlicherseits jüdisch bin." Darüber sei in seiner Familie nicht gesprochen und auch der Glaube nicht gelebt worden. "Man hatte Angst vor Anfeindung, damals schon." Doch Yuriys Großvater liebte die traditionelle Musik und legte sie seinem Enkel früh ans Herz. "Ich mochte in späteren Phasen eher Rock und Pop, aber die jüdische Musik hat mich immer begleitet."

Annexion der Krim: "Wir konnten mit dem Namen nicht mehr weitermachen"

Als die Russendisko geboren wurde und Kaminer sein gleichnamiges Buch veröffentlichte, sei der Begriff eher eine Art Schimpfwort gewesen. "Wir fanden das lustig und haben ihn für uns genutzt", erzählt Yuriy Gurzhy. Fünfzehn Jahre lang gab es das vielseitige Projekt. Dann begann die Annexion der Krim. Im Frühjahr 2014 besetzte Russland die ukrainische Halbinsel.

Für Yuriy begann damals der Krieg gegen sein Heimatland. Aus Russland wurde ein Feind, den er nicht mehr im Namen eines künstlerischen Augenzwinkerns führen wollte: "Die Russendisko war mir von heute auf morgen peinlich. Wir konnten mit dem Namen nicht mehr weitermachen."

Yuriy Gurzhy machte anders weiter. Als Sänger und Gitarrist ist er mit dem Emigrantski Raggamuffin Kollektiv RotFront aktiv. Seit 2016 veranstaltete er die Berliner Partyreihe "Born In UA", mit Fokus auf ukrainischer Musik. Er komponiert und produziert für Film und Theater, ist für Schülerprojekte im Donbass unterwegs. Vergangenes Jahr erschien sein erstes Buch: "Richard Wagner & die Klezmerband. Auf der Suche nach dem neuen jüdischen Sound in Deutschland."

"In der Operette Dresden geht es nicht nur um Party"

Literatur und Musik verbindet er unter anderem, indem er die Poesie des ukrainischen Dichters Grigorius Skoworoda als Songtexte aus dem 18. Jahrhunderts in die heutige Zeit holt. Mit seinem zweiten Album ist er gerade auf Tour. Als DJ aufzulegen, ohne weiteren Zweck, reizt ihn inzwischen nicht mehr ausreichend. "Aber in der Operette Dresden geht es nicht nur um Party, sondern es steht ein Konzept und Motto dahinter. Das gefällt mir."

Außerdem geht es um junge Leute. Welch unterschiedlichen Lebenswelten sie ausgesetzt sein können, das erlebt er immer wieder im Donbass und den anderen ukrainischen Kriegsgebieten. Dort sind Zerstörung, Perspektivlosigkeit und Tod Belastungen für junge Leben.

Ihn selbst und seine Familie belastet seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel das Thema Krieg gleich doppelt. Vielleicht kann Yuriy Gurzhy gedankliche und emotionale Türen öffnen zwischen den Menschen der Zukunft hier und auf der Welt.

"Discorette", 11. November, 22.30 Uhr (im Anschluss an das Musical "Sweeney Todd"), Kranfoyer, Staatsoperette Dresden, Kulturkraftwerk Mitte, Eintritt 5 Euro. www.staatsoperette.de