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Impfen als „Menschenversuch“

Die neue Dresdner Stadtschreiberin Kathrin Schmidt tritt nächste Woche ihr Amt an. Das Gespräch mit ihr berührt schnell „Querdenker“-Themen.

Von Karin Großmann
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Kathrin Schmidt war in der DDR Mitglied der SED und der Opposition. Sie hat Glaubenskriege erlebt und sieht nun neue „Gesinnungsgräben“, wo eine offene Diskussion kaum noch möglich sei.
Kathrin Schmidt war in der DDR Mitglied der SED und der Opposition. Sie hat Glaubenskriege erlebt und sieht nun neue „Gesinnungsgräben“, wo eine offene Diskussion kaum noch möglich sei. © Matthias Rietschel

Worüber reden mit einer Schriftstellerin, wenn nicht über Literatur? Kathrin Schmidt schreibt zauberhafte Gedichte mit frappierenden Bildern, ihre Romane und Erzählungen spiegeln den schwierigen Alltag tatkräftiger, sinnlicher, verletzbarer Menschen. Für „Du stirbst nicht“ erhielt sie 2009 den Deutschen Buchpreis. Es ist die Geschichte einer Schriftstellerin, die sich nach einer Gehirnverletzung, nach Koma, Lähmung und Sprachverlust zurückkämpft ins Leben. Ihre eigene Geschichte. „als ich den schlag traf“, heißt es in einem Gedicht.

Spurensuche in Schlesien

Seitdem kann Kathrin Schmidt nur mit der linken Hand schreiben.Worüber reden, wenn nicht auch darüber. Oder über das jüngste Projekt, mit dem sich die 63-jährige Autorin um das Dresdner Stadtschreiber-Stipendium bewarb. Den Anstoß gab das Tagebuch einer Frau aus Neuruppin, die zwischen 1941 und 1945 in knappen Sätzen ihr Dasein festhielt. Kathrin Schmidt erzählt, wie sie dieser Frau nachforschte, von der sie anfangs nicht mal den Namen wusste. Wie sie den Spuren nach Schlesien folgte und auf eine weit verzweigte Familie aus Industriellen und Adligen stieß. Wie sie den letzten Nachfahren ausfindig machte, einen Professor aus Coburg, der als dreijähriges Bübchen, wie sie sagt, durch das Tagebuch springt. Eine Zeitzeugin, die mit den Nazis sympathisiert und am Ende alles verliert – das wäre brisant genug. Zumal auch die Dresdner Bombennacht eine Rolle spielt in dieser Geschichte und das dokumentarische Schreiben völlig neu ist für Kathrin Schmidt. „Ich bin selbst überrascht.“

"Grundstürzende Veränderungen"

Doch schnell führt das Gespräch in der Stadtschreiber-Wohnung in Dresden-Pieschen auf das verminte Gelände der Gegenwart. Kathrin Schmidt sagt, dass sie das Manuskript eines fast fertigen Romans liegen lässt, der im nächsten Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen sollte. „Gecancelt“, sagt sie. „Ich finde die gesellschaftlichen Veränderungen in diesem Land so grundstürzend, dass der Text wie aus einer anderen Zeit zu stammen scheint.“ Weil Corona nicht darin vorkommt? „Nein, weil sich so viel verändert hat. Ich bin ganz mitgenommen von den Umständen, richtig beeinträchtigt.“ Was sie beeinträchtigt, hat sie auch in Texten für die Berliner Zeitung beschrieben und im Onlinemagazin Rubikon, laut Spiegel „eine Art Hausmedium der Protestler“.

"Großangelegter Menschenversuch"

Dort kritisiert Kathrin Schmidt, dass die Bundesärztekammer der Regierung das Impfen von Kindern und Jugendlichen gegen Covid-19 empfiehlt. Weder die Wirkdauer einer Immunisierung noch die Langzeitfolgen seien ausreichend belegt. Die Autorin nennt es einen „großangelegten Menschenversuch“. Gegenteilige Aussagen aus dem Paul-Ehrlich-Institut überzeugen sie offenbar nicht. Dort wird auf die enge Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Impfstoffe verwiesen, was zu größerer Effizienz geführt habe, „ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen“. Allein Biontech hat laut Institut in die letzte Phase seiner Studien 43.448 Teilnehmer ab 16 Jahren einbezogen.

Kathrin Schmidt hält Corona für eine Erkrankungswelle, die zumindest für Deutschland keine Gefahr darstellt.
Kathrin Schmidt hält Corona für eine Erkrankungswelle, die zumindest für Deutschland keine Gefahr darstellt. © Matthias Rietschel

Auch den Begriff Pandemie lehnt die Autorin ab. „Es ist eine Erkrankungswelle, die zumindest für Deutschland keine Gefahr darstellt. Das mag in Ländern mit weit schlechter aufgestellten Gesundheitssystemen anders sein.“ Wenn der Anteil der über Achtzigjährigen an der deutschen Bevölkerung in den letzten fünf Jahren um knapp eine Million gestiegen sei, steige damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese alten Menschen bei einer Krankheitswelle sterben. Der prinzipielle Zweifel zieht logischerweise andere Zweifel nach sich – und damit einen Platz jenseits der mehrheitlich anerkannten Auffassungen zu Corona.Es gibt wenige Schriftsteller, die sich so wie Kathrin Schmidt öffentlich ins Kreuzfeuer stellen. Sie spricht von Gesinnungsgräben. „Wenn man die Pandemie grundsätzlich infrage stellt, ist man rechts, weil das die AfD auch tut. Aber zwei plus zwei bleibt vier, selbst wenn es die AfD genauso sieht.“

Einstieg bei der Basisdemokratischen Partei

Sie selbst hat sich im Herbst der Basisdemokratischen Partei angeschlossen. „Ich habe neulich ein Basis-Seminar in Brandenburg zur Moralkompetenz besucht: Da ist nichts Rechtes, absolut nichts. Es kann auch ein Fehler gewesen sein, da reinzugehen, weil sich Basisdemokratie und Partei ausschließen. Aber es ist für mich legitim, wenn Menschen sonst keine Chance sehen, sich organisiert zu äußern.“ Die „Basis“ wäre eine Corona-Protestbewegung neben anderen, hätte sie nicht durch den Schauspieler Volker Bruch, Star der ARD-Serie „Babylon Berlin“, Aufmerksamkeit gefunden. Er habe einen Aufnahmeantrag gestellt, meldete unter anderem das Magazin Der Spiegel. Dort wird die „Basis“ als eine Versammlung von Heilpraktikern und Alternativmedizinern, Anwälten und Verschwörungstheoretikern beschrieben, mit Kontakten in die „Querdenken“-Szene, „viele offenbaren ein gespaltenes Verhältnis zu Staat und Demokratie“.

Mietfrei in Pieschen

Viel einfacher wäre es, über Gedichte zu reden, in denen es heißt „wir waren dem tag nicht geglückt“ oder „in verlassnen fabriken kümmern die werkswesen vor sich hin“. Ein Rom-Gedicht von Kathrin Schmidt endet mit der Zeile „willkommen im abschied“. Melancholie schwingt durch manche Texte. Die Kinder sind aus dem Haus. Dort unterm Dach in Berlin-Mahlsdorf hat die aus Gotha stammende Schriftstellerin ihren Schreibtisch. Nun arbeitet sie ein halbes Jahr lang in Dresden. Die Kulturstiftung der Ostsächsischen Sparkasse und die Landeshauptstadt vergeben monatlich ein Stipendium von 1.500 Euro und die mietfreie Wohnung in Pieschen. Über zwanzig Autorinnen und Autoren hatten sich darum beworben. Vom Balkon aus geht der Blick bis in die Weinberge nach Radebeul. Unten vor den Läden auf der belebten Straße trägt niemand mehr eine Schutzmaske.

Virus kommt gerade recht

Wird die Gesellschaft in die Normalität zurückfinden? Kathrin Schmidt: „Ich halte die Grundrechtseinschränkungen nicht so einfach für reversibel.“ Sie erinnert an das Terrorismusbekämpfungsgesetz: „Es wurde im Januar 2002 unter der Bedingung erlassen, dass es befristet gilt und von einer unabhängigen Institution evaluiert wird. Doch es wurde immer wieder verlängert und verlängert und schließlich im Dezember 2020, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, entfristet. Die Evaluierung fand durch die Regierung statt.“ Die Autorin fürchtet, mit dem Infektionsschutzgesetz könnte es ähnlich laufen. Vor allem kritisiert sie die geschäftliche Seite der Corona-Maßnahmen. Hier zeige sich besonders deutlich, was passiert, wenn „das Gesundheitswesen am Profit orientiert ist“. Schon bei der Ausbildung von Ärzten stünden die Interessen der Pharmaindustrie obenan. Jetzt sieht sie „überwachungskapitalistische und pharmaindustrielle Interessenverbände“ am Werk, denen nach der Finanzkrise ein plötzlich auftauchendes Virus gerade recht gekommen sei.

Von ihrer Stadtschreiber-Wohnung in Dresden-Preschen hat Kathrin Schmidt eine grandiose Aussicht.
Von ihrer Stadtschreiber-Wohnung in Dresden-Preschen hat Kathrin Schmidt eine grandiose Aussicht. © Matthias Rietschel

Kathrin Schmidt erzählt von Erfahrungen in der eigenen Familie. Sie selbst studierte in Jena Psychologie, Fachrichtung Sozialpsychologie. Ab 1981 arbeitete sie zunächst als wissenschaftliche Assistentin an der Leipziger Uni, später als Kinderpsychologin in Rüdersdorf und Berlin-Marzahn. Da war schon ihr erster Gedichtband „Ein Engel flog durch die Tapetenfabrik“ im FDJ-Verlag Neues Leben erschienen. In der Wendezeit saß sie als Vertreterin der Vereinigten Linken am Runden Tisch in Berlin. „Wir hatten für sechs, acht Wochen das Gefühl, dass wir etwas verändern könnten, es war ein kurzer Moment der Selbstermächtigung. Wir wollten etwas anderes aus diesem Land machen, es sollte nicht staatssozialistisch bleiben, aber auch nicht kapitalistisch werden. Es war der Status quo zweier Blöcke, von dem wir damals noch ausgingen. Er hat sich sehr schnell erledigt.“

Anbetung der Wohlstandsfolie

In einem ihrer Gedichte heißt es: „die wohlstandsfolie und ihr blasses gleißen sind anzubeten“. Vielleicht hätte sie es vorgetragen bei einer Lesung. Aber Lesungen wurden abgesagt, Buchmessen fielen aus. Damit blieben die meisten Neuerscheinungen unsichtbar. Nicht relevant. Man könnte mit einer Schriftstellerin auch darüber reden, dass Kunst und Kultur grundgesetzlich geschützt werden sollten. Es wäre ein einfacher gemeinsamer Nenner.

Unsere Autorin ist Mitglied der Auswahljury für das Amt der Dresdner Stadtschreiberinnen und Stadtschreiber.

Die Antrittslesung von Kathrin Schmidt wird ab 25. Juni, 19.30 Uhr, aus der Städtischen Bibliothek Dresden per Livestream übertragen.