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Kunstausstellung Ostrale öffnet wieder in der Robotron-Kantine

Die Kunstausstellung Ostrale Biennale startet am Wochenende in Dresden. Ein erster Rundgang zeigt: Die Werke bringen den Schmerz der Welt auf den Punkt.

Von Birgit Grimm & Connor Endt
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Blick in den ehemaligen großen Speisesaal der Robotron-Kantine. Judit Lilla Molnár baute einen fragilen Turm aus Lehrbüchern und kommentiert so die Bildungskrise.
Blick in den ehemaligen großen Speisesaal der Robotron-Kantine. Judit Lilla Molnár baute einen fragilen Turm aus Lehrbüchern und kommentiert so die Bildungskrise. © Ostrale 23

Das Herbarium von Philipp Valenta könnte man im Vorbeigehen als gut sortierte Blümchensammlung wahrnehmen. Der Täuschung unterliegt man nicht nur, weil man – irritiert aus einem Dunkelraum kommend – seine Sinne erst mal schärfen muss. Der Künstler macht aus Banknoten Blüten. Das haben Betrüger aller Länder immer wieder versucht. Aber der Kreislauf, den Valenta in Gang setzt, ist ein pfiffiger künstlerischer Wertschöpfungsprozess: „Ich habe seit 2015 internationale Geldscheine gesammelt“, sagt der 36-Jährige.

Besonders angetan haben es ihm Scheine mit floralen Mustern. Die Blüten schneidet er aus, faltet die Geldscheine zu seinem „Herbarium“. Aus einem 500-D-Mark-Schein wurde Löwenzahn, hübsch gerahmt, wie es sich für ein Herbarium gehört. Die Bilder sind an der Wand angeordnet wie eine Weltkarte.

Robotron-Kantine als Schutzraum für die Kunst

„Kammerflimmern“ ist das Motto der Ostrale Biennale, die in diesem Sommer zum zweiten Mal in der Robotron-Kantine stattfindet. Das Kuratorinnenteam – Andrea Hilger, Antka Hoffmann und Lisa Uhlig – haben, so hieße es, mit größter Sorgfalt die künstlerischen Positionen ausgewählt. Freilich wirkt der documenta-Skandal des vergangenen Jahres nach, vor allem, wenn man Künstler einlädt, die sich mit den aktuellen Krisen und Kriegen, mit Umweltzerstörung, Klimawandel, Machtmissbrauch auseinandersetzen.

Und freilich haben die Kuratorinnen keine absolute Sicherheit, dass der Ostrale politische Verwerfungen erspart bleiben, auch wenn sie in diesem Jahr hauptsächlich Ostrale-bekannte und -erprobte Künstlerinnen und Künstler einluden. Bei einem ersten Rundgang am Donnerstag entstand der Eindruck, dass das Ostrale-Team diese Hürde gekonnt genommen hat. Allerdings war die Ausstellung noch nicht fertig aufgebaut, manche Kunstwerke standen noch verpackt im Raum.

Unübersehbar ist: Alle Künstler haben sich weiterentwickelt, sind ironischer und hintergründiger geworden, manche auch deutlicher in der Aussage. Sie bringen den Schmerz der Welt auf den Punkt. Das macht der Grafikdesigner Klaus Staeck, Jahrgang 1938, seit mehr als einem halben Jahrhundert. Oder, wie es Andrea Hilger formuliert: „Staeck redet seit den 70er-Jahren über das, was wir bis heute nicht begriffen haben.“ Berühmte Plakate von Staeck aus den 1970er- und 80er-Jahren zieren im Außenbereich der Robotron-Kantine eine weiße Wand. Die wurde vor Wochen schon aufgestellt und blieb tatsächlich unversehrt.

Kein wilder Sprayer, auch kein Graffiti-Künstler hat sich unerlaubt daran abgearbeitet. Das ist eine gute Nachricht und lässt den Schluss zu, dass dieser unsanierte Bau der Ostmoderne als Ort der zeitgenössischen Kunst akzeptiert wird. Sicher trug dazu auch die Arbeit des Kunstduos Asynchrome – das sind Marleen Leitner und Michael Schitnig aus Österreich – an der Fassade bei. In ihrer gigantischen Zeichnung „Body Works" untersuchen sie, was mit dem menschlichen Körper im digitalen Zeitalter geschieht.

"Body Works" des österreichischen Künstlerduos Asynchrome an der Fassade der ehemaligen Robotron Kantine nimmt den menschlichen Körper im digitalen Zeitalter in den Fokus.
"Body Works" des österreichischen Künstlerduos Asynchrome an der Fassade der ehemaligen Robotron Kantine nimmt den menschlichen Körper im digitalen Zeitalter in den Fokus. © dpa

Ob die Robotron-Kantine mit nur einer Minimalsanierung dieser Schutzraum für die Kunst bleiben kann, der sie in diesem Sommer wieder ist, steht allerdings immer noch in den Sternen. Sinnstiftende Ideen gibt es, und deutlich wird auch mit dieser Ausstellung wieder: Es wäre ein herber Verlust für die Kunstszene der Stadt, würde sie das Gebäude abreißen lassen.

Mit dem Verlust von Raum und Zeit, von Ressourcen in Natur und Gesellschaft befassen sich viele Arbeiten der Ostrale. Casey McKee zum Beispiel übermalt Fotografien und inszeniert dabei ein vom Menschen gemachtes Absurdistan und stellt eine Hilflosigkeit dar, die wütend macht. Da steht ein Mann in einer hell erleuchteten Telefonzelle mitten im Wald. Ein anderer lässt sich mit seinem Aktenkoffer in einem Bötchen übers Wasser schippern und ein dritter steht hilflos auf einem steilen Hügel und starrt in eine wüstenähnliche Landschaft.

Philipp Valenta machte aus einem 500-D-Mark-Schein einen Löwenzahn für sein „Herbarium“, das aus internationalen Banknotenblüten besteht.
Philipp Valenta machte aus einem 500-D-Mark-Schein einen Löwenzahn für sein „Herbarium“, das aus internationalen Banknotenblüten besteht. © Anja Schneider

Einen besonders fragilen Raum hat Judit Lilla Molnár im großen ehemaligen Speisesaal aufgebaut. Ihr Kartenhaus aus aufgeschlagenen Lehrbüchern ist ein Kommentar zur Bildungskrise. Wird das Konstrukt in sich zusammenbrechen? Oder bietet der Raum Schutz für alle, die sich mit ihrem erworbenen Wissen umgeben?

Nebenan geht es um Gewalt – um die der Natur und um die des Menschen. Renata Poljak hat das Schmelzen der Gletscher und das Austrocknen des Toten Meeres in Kohlezeichnungen festgehalten. Die Serie hat sie an dem Tag beendet, als der Krieg in der Ukraine begann. Im selben Raum schießt Goran Skotic scharf – im übertragenen Sinn. In einem Video zielt er mit einer imaginären Waffe auf die Männer, die in einer Reihe in einem Video vis-a-vis stehen. Einer nach dem anderen krümmt sich zusammen. Die Frage ist: Werden sie überleben? Werden wir überleben, wenn wir den Planeten weiter so ausbeuten? Das bedrohliche Kammerflimmern hat längst eingesetzt. Und das „Herz“ ist eine wunderschöne Blume, die Thomas Riess mit hängendem Kopf gemalt hat.

Die Ostrale Biennale O23 in der Robotron-Kantine Dresden, Zinzendorfstraße 5 / Ecke Lingnerallee ist vom 10. Juni bis 1. Oktober mittwochs bis sonntags von 11 bis 19 Uhr geöffnet. Eintritt: 15 Euro, diverse Ermäßigungen für Familien und Gruppen, freier Eintritt für Kinder bis 12 Jahre.