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So schräg ist Rainald Grebes "Münchhausen" in Dresden

In Dresden holt Rainald Grebe den Lügenbaron Münchhausen auf die Schauspielbühne. Er erzählt mit viel Wumms dessen Abenteuer - und tischt aktuelle Fake News auf.

Von Rainer Kasselt
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Sie erwartet einen Blondschopf, er eine schlanke Tänzerin. Die Szenen einer Ehe mit Anna-Katharina Muck und Ahmad Mesgarha sind ein Kabinettstück.
Sie erwartet einen Blondschopf, er eine schlanke Tänzerin. Die Szenen einer Ehe mit Anna-Katharina Muck und Ahmad Mesgarha sind ein Kabinettstück. © Sebastian Hoppe

Der Dresdner Theaterliebling Ahmad Mesgarha schwebt auf einer Kugel herab, richtet seinen roten Rock und den Dreispitz. Er stellt sich mit einem Schlager von Fred Bertelmann aus den 50ern vor: „Ich bin der Baron von Münchhausen, ich hab den Kopf voller Flausen“. Stolz auf seine Taten bekennt er: „Ja, das kann nur einer, nur ich, sonst kann es keiner.“ Und setzt noch einen drauf: „Die Welt weiß ohnehin, dass ich der Größte bin.“ Mesgarha, der elegante Gentleman mit dem unstillbaren Drang zum Rampentier, ist in seinem Element.

Donnerstagabend im gut gefüllten Dresdner Schauspielhaus. Uraufführung des Stücks „Baron Münchhausen“ von Rainald Grebe. Der Liedermacher, Kabarettist und Autor hatte die Premiere für 2020 vorbereitet, als Corona kam. Grebe rächte sich an dem Virus mit der Theaterfantasie „Einmeterfünfzig“ – ein Riesenerfolg. Umso größer nun die Erwartungen an den Freiherrn. Jubelndes Publikum, großartige Schauspieler, toller Einstand für Leonie Hämer und Felix Bronkalla vom Schauspielstudio, was will man mehr? Der knapp zweistündige Abend unterhält aufs Beste, hat wenige Hänger.

Wahre Geschichten, clever ausgeschmückt

Immer geht es um das verflixte Gespann von Wahrheit und Lüge. Wer ist der Erfinder der irren Abenteuer zu Wasser und zu Lande des Freiherrn von Münchhausen? Experten geben Auskunft, gespielt vom famosen Ensemblemitglied Sven Hönig und der freien Schauspielerin Tilla Krachtowil. Ja, den Baron gab es tatsächlich. Er wurde vor gut 300 Jahren im niedersächsischen Nest Bodenwerder geboren, ging auf Reisen, machte Karriere in der Kaiserlich-Russischen Kavallerie, kehrte in die Heimat zurück. Am Stammtisch wird er von seinen Freunden bestaunt. Was der alles erlebt hat! Davon können sie in der Provinz nur träumen.

Plaudertasche Hieronymus von Münchhausen schmückt die Geschichten „ein wenig“ aus. „Was nützt mir die schönste Wahrheit, wenn sie schlecht erzählt wird.“ Und erzählen kann er. Aber aufgeschrieben haben die Storys andere. Rudolf Erich Raspe bringt sie in London anonym heraus, Gottfried August Bürger übersetzt sie ins Deutsche, fügt einiges dazu, spottet als Aufklärer über Adel, Kirche, Monarchie.

Felix Bronkalla, Leonie Hämer, Sven Hönig, Tilla Kratochwil und Anna-Katharina Muck in einer Szene aus "Baron Münchhausen".
Felix Bronkalla, Leonie Hämer, Sven Hönig, Tilla Kratochwil und Anna-Katharina Muck in einer Szene aus "Baron Münchhausen". © Sebastian Hoppe

Das siebenköpfige Ensemble und drei Musiker mit Allongeperücken spielen, was das Zeug hält. Sie tauschen die Rollen, sind Puppenspieler, krabbeln in Tierkostüme, stellen Geräusche her, filmen live, singen intensiv, sind ständig in Bewegung. Der musikalische Leiter Jens-Karsten Stoll entdeckt ältere Lieder neu, so Heines „Ach, wie süß ist das Betrügen, süßer das Betrogensein“ oder Morgensterns „Wahrheit macht uns kein Vergnügen, Lügen macht fett und froh“. Im Song „Märchenglaube“ vom vergessenen Hermann Eduard Jahn wird es politisch: „Was sind die Bibeln, die Systeme denn anderes als Märchenland?“

Einfallsreich umgesetzt werden die Klassiker: Pferd auf der Kirchturmspitze, Reise zum Mond, Hirsch mit Kirschgeweih, halbierter Gaul, Flug mit Enten. Oder wie sich Münchhausen am eigenen Schopf samt Pferd aus dem Sumpf zieht. Die Lügengespinste werden vorgetragen und dann in anderer Form noch mal erzählt. Als Schattenspiel, mit Papierfiguren, Stabmarionetten, Trickfilmen, historischen Buchillustrationen. Regionale Bezüge zum Radebeuler Lügenmuseum fügen sich bruchlos ein. Beim „sächsischen Impfgipfel“ fliegen Kanonenkugeln statt kluger Argumente. Im Lazarett wird der verwundete Freiherr von Albträumen heimgesucht und von einem vierfachen Gottfried August Bürger.

Fake News mit Ludmilla aus St. Petersburg

Clou des Ganzen: anspielungsreiche Szenen einer Ehe mit der hinreißenden Anna-Katharina Muck, die mal als Ente durch die Lüfte wirbelt. Ihr Date mit Ahmad Mesgarha ist ein Kabinettstück, sie erwartet einen Blondschopf, er eine schlanke Tänzerin. In der Ehe wird wie in der Politik belogen und betrogen, getrickst und beschwichtigt. Im Theater sowieso. So wie Hans Albers im berühmten Ufa-Durchhaltefilm fliegt eine Schauspielerin auf einer Kanonenkugel: ein Kameratrick.

Die Erfindung von Fake News zeigt eine „Ludmilla aus St. Petersburg“. Sie versendet abwechselnd Nachrichten pro und kontra Putin. Die Dimension heutiger Lügenmärchen erreicht der bezaubernde Abend nicht. Er hat Höhepunkte, aber ein Finale, in dem alles kulminiert, hat er nicht. Und das ist leider keine Lüge.

Wieder am 17. und 24.10.; Karten: 0351 4913555