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Star-Architekt Libeskind erhält Dresden-Preis

Daniel Libeskind gestaltete das Militärhistorische Museum in Dresden um und designte die Schau "Träume von Freiheit" im Albertinum. Nun wird der US-amerikanische "Architekt des Friedens" mit dem Internationalen Dresden-Preis geehrt.

Von Birgit Grimm
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Daniel Libeskind wurde 1946 im polnischen Lodz geboren, wuchs in Israel und New York auf. Seine Weltkarriere startete er mit dem Jüdischen Museum Berlin.
Daniel Libeskind wurde 1946 im polnischen Lodz geboren, wuchs in Israel und New York auf. Seine Weltkarriere startete er mit dem Jüdischen Museum Berlin. © Stefan Ruiz

Weil er glaubt, dass die Menschen nie aufhören werden, nach der Freiheit zu streben, hatte Daniel Libeskind nur zu gern dieses, sein jüngstes Projekt für Moskau und Dresden übernommen: Er entwarf die Räume der deutsch-russischen Ausstellung "Träume von Freiheit", die die Malerei der Romantik beider Länder präsentierte und 2021 in der Tretjakowgalerie in Moskau zu sehen war und dann bis 6. Februar 2022 im Dresdner Albertinum. Knapp drei Wochen später überfiel Russland die Ukraine, und alle deutsch-russischen Beziehungen wurden eingefroren oder kamen mindestens auf den Prüfstand.

"Wie habe ich diese wunderbare Ausstellung geliebt", sagt der Architekt im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung, das wir per Zoom führten. Er hatte der Schau ein zackiges, ein verwinkeltes Ambiente gegeben, dunkle Ecken eingerichtet und Wege ins Licht eröffnet. Das hat viele Besucher irritiert, die von Romantik auf andere Weise träumen, sie nicht mit dem Eintreten für Freiheit und Gerechtigkeit, nicht mit revolutionärem Potenzial verbinden.

Mit spitzen Winkeln, mit Stahl und Glas, Stein und Beton Emotionen zu erzeugen, gelingt Daniel Libeskind wie kaum einem anderen Architekten. Doch mit dem Berühmtwerden ließ er sich Zeit. Er war schon jenseits der 50, als er mit dem spektakulären Bau des Jüdischen Museums in Berlin seine Weltkarriere startete. Inzwischen stehen seine charakteristischen Bauten überall auf der Welt, und nicht selten haben sie mit seiner jüdisch-polnischen Herkunft, mit Weggehen und Ankommen, Krieg und Frieden, mit Moral und Gerechtigkeit zu tun. Sie triggern Erinnerungen – wie das Militärhistorische Museum in Dresden. Das Arsenal aus dem 19. Jahrhundert brach Libeskind mit einem Keil auf, dessen Spitze auf die Abwurfstelle der ersten Markierungsbomben im Ostragehege gerichtet ist. Am 13. Februar 1945 wurde Dresden zerstört.

Hier wird nicht der Krieg gefeiert

Für das Militärhistorische Museum in Dresden entwarf Daniel Libeskind einen Keil, der aus dem historischen Arsenal in der Albertstadt auf das Dresdner Ostragehege weist.
Für das Militärhistorische Museum in Dresden entwarf Daniel Libeskind einen Keil, der aus dem historischen Arsenal in der Albertstadt auf das Dresdner Ostragehege weist. © PR-Foto/Bienert/Militärhistorisches Museum der Bundeswehr

"Es war sehr wichtig für mich, dieses bedeutende Gebäude umgestalten zu dürfen und ein Militärhistorisches Museum, das schon vielen Generationen gedient hat, in die Gegenwart zu bringen, in eine Welt der Demokratie zu führen." In diesem Haus wird der Krieg nicht gefeiert. Im Gegenteil: Den Besuchern werde die Notwendigkeit vor Augen geführt, Katastrophen vorzubeugen, sie zu verhindern. "Das Museum bietet einen weiten Horizont, weil der Keil auch eine Unterbrechung der Chronologie symbolisiert. Ich wollte zeigen, was verschwunden ist im Krieg und zugleich einen Ausblick auf den Wiederaufbau geben."

Am Sonntag erhält der US-amerikanische "Architekt des Friedens" den mit 10.000 Euro dotierten Internationalen Dresden-Preis, den die Klaus Tschira Stiftung fördert und der vom Verein Friends of Dresden e. V. und der Semperoper vergeben wird. Für Libeskind selbst sind die Gebäude, die von Krieg und Frieden handeln und von Erinnerungen der Menschen, die wichtigsten, beginnend mit dem Jüdischen Museum in Berlin: "Es zeigt 2.000 Jahre jüdische Geschichte, eine Reise durch die komplizierte Geschichte der Juden. Es zeigt aber auch Spuren der Abwesenheit, die Leere nach dem Holocaust. Und es hat eine Orientierungsfunktion nach der Shoah", so Daniel Libeskind.

Freilich zählt er auch den Masterplan für das One World Trade Center auf Ground Zero in New York zu seinen wichtigsten Entwürfen, auch wenn der Wolkenkratzer von David Childs gebaut wurde: "An diesem Platz starben 3.000 Menschen bei einem Terroranschlag, der die Welt veränderte. Ich wollte keine neuen Gebäude an diesem Ort bauen, sondern einen öffentlichen Platz, um Menschen zusammenzubringen."

In Amsterdam wurde 2021 Libeskinds Holocaust-Monument eingeweiht, das auf 100.000 Backsteinen die Namen von Juden, Sinti und Roma verzeichnet, die in Vernichtungslagern ermordet wurden. Jeder Stein ein Name mit den Lebensdaten. "Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, aber die Gegenwart und die Zukunft können wir gestalten", sagt er und setzt große Hoffnung in die jungen Menschen. Selbst hat er drei Kinder – "und jede Menge Enkel".

Keine Frage, auch Libeskinds Bauten müssen nachhaltig gebaut sein: "Es wäre ein Fehler, es nicht zu tun. Das ist ein fundamentaler Aspekt meiner Arbeit. Aber vergessen Sie nicht die Erinnerung! Nachhaltigkeit ist doch nicht nur eine Frage des Materialeinsatzes, des Energieverbrauchs und des ökologischen Fußabdrucks. Wenn sich Menschen über Generationen an ein Gebäude erinnern, dann ist es nachhaltig", meint er. "Und eine lebenswerte Stadt ist eine Stadt, die für alle da ist."

"Meine Architektur ist in meinem Kopf"

Oft sei er in Dresden gewesen, schon vor und nach dem Bau und der Eröffnung des Militärhistorischen Museums. "Schon, als wir 1989, bevor die Mauer fiel, nach Deutschland kamen, besuchten wir im Sommer auch Dresden. Eine fantastische, wunderschöne Stadt und eine wichtige aufgrund ihrer Geschichte!" Viele Städte in der Welt hat er bereist, in vielen Städten gebaut. Seine Basis aber, sein Büro, das er gemeinsam mit seiner Frau Nina führt, ist in New York.

Das Studio Daniel Libeskind ist ein global player zwischen Polen und Israel, Berlin, Dresden und New York. Aber es ist kein Großkonzern mit tausenden Mitarbeitern. "Meine Architektur ist in meinem Kopf. Ich brauche nur einen Bleistift und ein Stück Papier." Oder eine Teekanne, die er herunterfallen lässt. Aus den Scherben soll die Idee für das Imperial War Museum in Manchester entstanden sein. So sympathisch, so überzeugend, wie der 76-Jährige diese Geschichte erzählt, wird man kaum auf die Idee kommen, sie anzuzweifeln. Zugleich liefert er damit eine eingängige Erklärung dafür, was Dekonstruktivismus in der Architektur bedeutet. In Libeskinds Architektur geraten Harmonie und Gleichgewicht scheinbar aus den Fugen. Das mag manchen abweisend vorkommen, weshalb er nicht müde wird, dafür zu werben, dass die Menschen sich mit ihrer gebauten Umwelt auseinandersetzen: "Ich denke, es ist wichtig, Gebäude zu entwerfen, die mit den Menschen kommunizieren", sagt er. Er baue Häuser, "die eine Seele haben, die nicht einfach da stehen, sondern eine Position einnehmen gegen die Teufel des Krieges, des Genozids und des Terrorismus."

Partituren sind für Libeskind architektonische Skizzen. Und das wohl nicht nur, weil beides mathematische und geometrische Präzision erfordert. Als Junge hat er Akkordeon spielen gelernt und als junger Mann zunächst Musik studiert. "Als ich beschloss, Architekt zu werden, hatte ich nicht vor, mein Instrument aufzugeben, ich habe es nur gewechselt. Die Architektur ist das Instrument, das ich spiele", sagt er. Das Akkordeon mag er immer noch sehr und gerade deshalb, "weil es mit armen Leuten in Verbindung gebracht wird. In diesem Instrument erklingt die ganze Welt. Eine Trompete kann das nicht! Das Akkordeon ist aufgrund seines Aufbaus auch recht nah dran an der Architektur." Das deutsche Wort "Quetschkommode" kommt ja auch nicht von ungefähr. Aber Libeskind hört es im Gespräch mit der SZ zum ersten Mal.

Konsequent zieht er Parallelen zwischen Musik und Architektur, sieht sich nicht als Solisten, der ein Instrument spielt, sondern als Komponisten und Dirigenten. Und er liebt die Musik, geht regelmäßig ins Konzert und schwärmt vom Spiel der Berliner Philharmoniker, die er unlängst in der Carnegie Hall erlebte. Gern würde er sich auch ein Konzert anhören, das von Kindern gespielt wird, die unsere Zukunft sind.

Zu den Geehrten des Friedenspreises gehört in diesem Jahr auch FDP-Urgestein Gerhart Baum, der den Ehrenpreis erhält. Der 90-jährige "Elder Statesman" der FDP habe sich in seinem Leben für Menschenrechte und den Frieden engagiert, heißt es in der Begründung des Friends of Dresden e.V.

  • Die Veranstaltung zur Verleihung des "Dresden-Preises" an diesem Sonntag in der Semperoper ist ausverkauft.