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Startenor Vogt lässt für Musik von Richard Wagner "alles stehen und liegen"

Der 53-Jährige Klaus Florian Vogt wird vor allem als Wagner-Interpret weltweit gefeiert. Nun nimmt er sich in Dresden die schwerste Opernpartie vor.

Von Bernd Klempnow
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Klaus Florian Vogt ist auf der Bühne schon ertrunken, erschlagen und erschossen worden. Als Tristan begeht er nun Suizid.
Klaus Florian Vogt ist auf der Bühne schon ertrunken, erschlagen und erschossen worden. Als Tristan begeht er nun Suizid. © PR

Klaus Florian Vogt fand erst über den Umweg als Hornist auf die Opernbühne. Seine Lehrjahre als Sänger fanden von 1998 bis 2003 an der Semperoper statt. An der ist er auch als freiberuflicher Künstler immer wieder mal zu erleben. Seit seinem Debüt als Lohengrin 2002 gilt er als exemplarischer Interpret von Opern Richard Wagners, dessen Heldenpartien er alle singt – bis auf eine. Die kommt jetzt. Der 53-Jährige gibt an der Semperoper an diesem Wochenende erstmals den Tristan. Ein Gespräch über das späte Debüt, wo für ihn Heimat ist und ob es nicht langweilig ist, lebenslänglich ein Heldentenor zu sein.

Herr Vogt, Sie singen seit Jahrzehnten und äußerst erfolgreich die großen Partien von Richard Wagner. Warum die Oper „Tristan und Isolde“ erst jetzt?

Weil ich so lange gewartet habe, bis mir meine Stimme gesagt hat: So, jetzt kann es losgehen. Außerdem ist es natürlich eine verführerische Sache, diese Oper mit Camilla Nylund als Isolde und Christian Thielemann im Graben mit diesem tollen Orchester, in diesem super Haus, mit so netten Kollegen zu machen. Das ist ein Geschenk. Und es passt jetzt gut. Als unheimlich wertvolle Vorbereitung erwiesen sich meine Debüts mit beiden Siegfrieds aus dem „Ring“ im vergangenen Jahr in Zürich. Diese hatte Wagner ja erst nach dem „Tristan“ geschrieben. So kenne ich viele Dinge schon, etwa bestimmte Melodieführungen.

Was ist so schwer an der Partie?

Als Tristan sind noch mal viel längere Strecken zu bewältigen als etwa als Lohengrin oder Parsifal. Und dann ist es eben doch noch sehr viel mehr Text, und der ist auch noch komplizierter, teils extrem verschachtelt. Auch die melodischen und harmonischen Wendungen sind sehr viel komplizierter, die Phrasierung ist eine andere. Das erfordert ein noch weiteres Vorausdenken. Der Stoff ist sehr viel philosophischer. Den muss ich selber erst einmal entwirren, um den Sinn zu verstehen.

Szene aus "Tristan und Isolde" mit Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt in den Hauptrollen.
Szene aus "Tristan und Isolde" mit Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt in den Hauptrollen. © Semperoper/ Ludwig Olah

Wie lernt man den Text, der einem kurz nach dem Lesen schon entfallen ist?

Das ist wirklich sehr viel Arbeit, denn die Themen Liebe und Tod werden permanent angesprochen – aber immer ein bisschen anders. Sich das zu merken ist schwierig. Da ist die Musik für mich so eine Art Anker oder Pfad, an dem ich mich orientiere. Denn machen wir uns nichts vor, und so wird es in der Dresdner Inszenierung auch gezeigt: Isolde und Tristan reden ganz schön viel aneinander vorbei oder nur über sich. Die sind beide in anderen Sphären.

Was kann jetzt noch an weiteren Rollen-Höhepunkten kommen?

Für mich ist Tristan natürlich ein Gipfel. Irgendwie. Mein Ziel ist, die Rolle dann so zu vertiefen, bis ich im Endeffekt wirklich über der Partie stehe.

Haben Sie vor so einer Premiere Herzrasen oder Nervenflattern?

Ja, das wird natürlich sehr, sehr aufregend. Aber Angst? Eigentlich nicht. Höchstens die Sorge, aus dem Text rauszukommen oder musikalisch mal rauszufliegen. Es gibt viele Stellen, wo das passieren kann. Freilich: Wir sind bei Herrn Thielemann, also bestens aufgehoben.

Sie sind quasi lebenslang Heldentenor. Engt das nicht ein, wird langweilig?

Überhaupt nicht. Diese Partien von Lohengrin bis Parsifal bieten so viel Tiefe und Möglichkeiten, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Das wird nicht langweilig. Im Gegenteil, ich bin Wagner so dankbar. Er allein würde mir reichen. Für ihn lasse ich alles andere stehen und liegen. Wagner-Partien sind so interessant und entdeckungsreich, die Chancen, neue Aspekte auszuloten, sind groß. Gerade jetzt mit diesen drei neuen Partien tun sich für mich Dinge auf, durch die ich mich weiterentwickeln kann. Und selbst bei meinen anderen Figuren, die ich schon seit Jahrzehnten interpretiere, ist es ein Vergnügen, sie nach einer Pause wieder aufzunehmen. Mir macht das Spaß. Dafür bin ich dankbar.

Kann aber auch andere Meister wie in Webers heikler Oper "Euryanthe": Klaus Florian Vogt als Adolar in der tollen Produktion, die 2006 an der Semperoper herausgekommen war.
Kann aber auch andere Meister wie in Webers heikler Oper "Euryanthe": Klaus Florian Vogt als Adolar in der tollen Produktion, die 2006 an der Semperoper herausgekommen war. © Jürgen Lösel

Sie sind auf Jahre im Voraus ausgebucht. Woher wissen Sie heute, ob Sie in fünf Jahren Lust auf Siegfried haben?

Das ist natürlich speziell, aber auch schön. Ich suche mir ja sowieso aus, was ich machen möchte. Und dann freue ich mich einfach nur darauf. Ich schaue in meinen Kalender und sehe, dann und dann bin ich da und werde mit den besten Kollegen eine sehr befriedigende Arbeit machen. Meine Situation ist Luxus pur.

Wie lange haben Sie den Tristan vorbereitet?

Über Jahrzehnte habe ich immer wieder mal in die Partitur geschaut. So richtig intensiv beschäftige ich mich mit der Partie seit einem Jahr. Gut an der Dresdner Produktion ist für mich, dass ich sie kenne. Ich habe bei einer Wiederaufnahme den jungen Seemann gesungen. Ich mag auch die ruhige, sehr ästhetisch ausgestattete und wunderbar ausgeleuchtete Inszenierung. „Tristan und Isolde“ ist ein sehr tiefsinniges Stück. Da braucht es meiner Meinung nach eine gewisse Statik und kein Actiontheater.

Wie entwickeln Sie Ihre Figuren, die meist als Ritter und Helden in gänzlich anderen Welten als die unseren unterwegs sind?

Dass mir diese Ritter, Sagengestalten und Helden nicht nahestehen, das kann ich so gar nicht sagen. Ich versuche ja immer, in den Figuren etwas zu entdecken, das mich selber anspricht. Dazu muss ich aber die Vorgeschichte kennen, sonst macht etwa der erste Akt nicht viel Sinn. Ja, ich kann mich sogar mit Tristan identifizieren. Da gibt es in ihm diese Verzweiflung, dass er Isolde einem anderen bringen soll, und zugleich hat er diese unglaubliche Sehnsucht nach Liebe. Also, ich kann das nachvollziehen. Das ist doch zutiefst menschlich.

Speziell „Tristan“ hat eine unglaubliche soghafte Musik. Wie schwer fällt es Ihnen, da nicht zu ertrinken?

Tatsächlich ist es nicht leicht, von diesem Beruf nicht aufgefressen zu werden. Singen ist eine sehr körperliche Angelegenheit, der Körper braucht wie beim Sportler Erholungsphasen, sonst geht es an die Substanz. Dieses Mitgehen oder Sich-Zurücknehmen ist gerade bei Wagner elementar. Es erfordert wirklich eine hohe Disziplin. Und dennoch ertappe ich mich dabei, dass mich der Sog der Musik packt und ich die Bremse lockere.

Luciano Pavarotti hat mal gesagt: Singen ist wie eine Wurst, und bei jedem Singen schneidet man ein Stückchen ab. Irgendwann ist die Wurst weg, oder?

Das sehe ich nicht so! Das würde ja bedeuten, dass man immer von der Substanz lebt. Ich versuche, Substanz immer weiter aufzubauen genau wie ein Sportler, der Konditions- oder technisches Training macht. Der will sich ja weiterentwickeln und nicht von einem Plateau herabsteigen. Auch ich sehe mich noch nicht bei einem Endpunkt. Anders gesagt: Ich schneide noch nichts ab von der Wurst, sondern tue etwas in die Hülle, in die Pelle, hinein.

Ein Nachteil Ihres Berufes ist, dass Sie rund 200 Tage im Jahr weltweit unterwegs sind. Was ist da Heimat für Sie?

Also meine Heimat ist Schleswig-Holstein. Ich bin und bleibe ein Kind der Westküste, das den Wind und das Meer braucht. Es ist ein Seelenzustand, wenn Sie so wollen, wenn ich die Luft, das Licht, das Wasser und auch das Gemisch aus Salzwasser und Watt spüre und rieche. Norddeutscher Humor ist wichtig. Wenn ich nicht daheim und in Europa unterwegs bin, dann reise ich meist mit meinem Campingbus – schon seit Langem. Knapp 20 Quadratmeter mit Küche, Dusche, Fernseher und einer kleinen Bibliothek. Darin fühle ich mich nicht so einsam wie in einem fremden, anonymen Hotelzimmer. Ich nehme quasi ein Stück Heimat immer mit.

Sie sind immer wieder mal in Dresden mit den unterschiedlichen Partien. Was machen Sie hier in Ihrer Freizeit?

machen Sie hier in Ihrer Freizeit?Langeweile kommt nicht auf, Dresden bietet ja unheimlich viel. Es gibt ein tolles Umland. An der Elbe mache ich gern Sport. Und ich habe nach wie vor Bekannte aus meiner Dresden-Zeit. Aber meistens sind die Aufenthalte hier einfach nur sehr viel Arbeit. Mein Lieblingskorrepetitor, quasi mein Personal Trainer, Jobst Schneiderat ist ja an der Semperoper. Das nutze ich aus. Wir arbeiten an neuen Partien oder frischen sie auf, bereiten Liederabende vor. In Dresden gibt es immer viel zu tun.

„Tristan und Isolde“ am 21., 25. und 28. 1. sowie 3. 2. in der Semperoper; Restkartentel. 0351 4911705