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Zehn Tonnen Sand für Prora-Performance im Festspielhaus Hellerau

Das Festspielhaus startet eine neue Reihe zum Umgang mit Geschichte. Den Anfang macht eine multimediale Performance zum „Bad der 20.000“ – vom KdF der Nazis bis zur heutigen Wertanlage als Luxus-Immobilie.

Von Bernd Klempnow
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Blick auf einen der ursprünglich acht Blöcke des denkmalgeschützten Prora-Komplexes. Investoren verwandeln seit einigen Jahren die Nazi-Bauten in Luxus-Oasen. Eine Auseinandersetzung mit der wechselvollen Geschichte des Ortes ist dabei nicht vorgesehen.
Blick auf einen der ursprünglich acht Blöcke des denkmalgeschützten Prora-Komplexes. Investoren verwandeln seit einigen Jahren die Nazi-Bauten in Luxus-Oasen. Eine Auseinandersetzung mit der wechselvollen Geschichte des Ortes ist dabei nicht vorgesehen. © dpa

Prora – der Name hat eine besondere Faszination. Prora, eigentlich eine bewaldete Hügelkette der Schmalen Heide von Rügen, ist der Inbegriff für deutschen Größenwahn, NVA-Drill und Schönheit der Natur zugleich. 150 Meter hinter einem der feinsten Strände der Ostsee erstreckt sich der „Koloss von Prora“, ursprünglich acht aneinandergereihte baugleiche Blöcke – je 550 Meter lang und sechs Stockwerke hoch. Die Länge des Komplexes beträgt 4,5 Kilometer entlang der Prorer Wiek.

1937: Das entstehende "KdF."-Seebad auf der Insel Rügen, das Platz für 20 000 Urlauber bieten
1937: Das entstehende "KdF."-Seebad auf der Insel Rügen, das Platz für 20 000 Urlauber bieten © Wikimedia

Hier planten die Nationalsozialisten das längste Gebäude der Welt. Deutsche Arbeiter sollten sich hier zu günstigen Preisen erholen und „Kraft durch Freude“ tanken. 20.000 Menschen hätten hier für je zwei Wochen ein Urlaubsparadies vorgefunden. Die Zimmer wurden mit 2,5 mal fünf Metern konzipiert. Lautsprecher in allen Räumen hätten alle Urlauber über Veranstaltungen und Ähnliches informiert. Eingebaut wurden die Lautsprecher nicht mehr. Die 1936 begonnenen Bauarbeiten am Stahlbetonwerk mit einer Festhalle für 20.000 Menschen als Herzstück wurden 1939 abgebrochen.

Drei überdimensionierte, begehbare Lautsprecher, als Symbol für den Gigantismus in Prora, wiederum sind zentrale Elemente einer multimedialen Performance, die sich mit der Geschichte dieses Ortes auseinandersetzt. Sie kommt diese Woche im Festspielhaus Hellerau heraus. „Ein vermeintliches Urlaubsparadies hat nicht den Schrecken anderer Bauten der Nationalsozialisten wie die Vernichtungslager“, sagt Projektdramaturg Urs Humpenöder. Und trotzdem sei Prora nicht unschuldig, denn es sollte beitragen, dass sich eine homogene deutsche Volksgemeinschaft bildet. Das bedeute: „Wer in diese Homogenität nicht passte, wurde im Zweifel selektiert!“

Strandtuch oder vielleicht Panzerspuren im Sand? Szene von den Proben zu „Strandbefehl“.
Strandtuch oder vielleicht Panzerspuren im Sand? Szene von den Proben zu „Strandbefehl“. © Julius Zimmermann

Humpenöder ist Teil des Kollektivs „Fachbetrieb Rita Grechen“, das diese und weitere Spuren der Vergangenheit dieses so faszinierenden wie abstoßenden Objektes beleuchtet. In dem selbstgeschriebenen Stück „Self Care Strandbefehl“ setzt es sich mit multidirektionalem Erinnern auseinander und konfrontiert die Ideologie von Erholungskonzepten des Nationalsozialismus mit gegenwärtigen Urlaubspraktiken.

Dazu hat das Kollektiv eine runde Plattform entworfen – quasi den Koloss zu einem Kreis geformt –, die von Künstlern und Technikern bespielt wird. Es gibt Monologe, Dialoge, vorproduzierte sowie Live-Musik. Die drei großen Lautsprecher sind um diese Plattform verteilt. Die Bühne im Festspielhaus ist voller Sand. Zehn Tonnen werden dort eingebracht. Das Publikum kann sich mit Strandtüchern niederlassen.

Das Spannende ist bei dem Projekt, mit dem das Festspielhaus 2024 eine Reihe startet, die unter dem Motto „Schichten“ Geschichtsaufarbeitung, (Wieder-)Entdeckung und Überschreibung von Geschichte plant, die Komplexität des Herangehens. Denn das Kollektiv lässt historische und fiktive Figuren bis zur Gegenwart auftreten, um den Bogen zur Prora-Nutzung durch die NVA und die Umnutzung in Luxus-Immobilien der Gegenwart zu thematisieren. Schließlich war Prora der größte Standort der Bausoldaten in der DDR. Hinzu kamen 10.000 Soldaten aus Panzer-, Artillerie- und Fallschirmspringereinheiten. Zu Spitzenzeiten waren in Prora 15.000 Männer gleichzeitig untergebracht. Hier absolvierten Soldaten sozialistischer Konfliktparteien aus Mittel- und Südamerika, Südostasien und Afrika in den 1980er-Jahren Offizierslehrgänge. Regisseur Hannes Köpcke spricht von „einer Geschichtskontinuität, die aber unsichtbar bleibt“.

Die Inszenierung wird bombastisch und doch eindringlich, verspricht das Kollektiv. Ein erstes Fazit: Mit Beginn des neuen Jahrtausends wurde das Gebäude blockweise an private Investoren veräußert. „Damit ist es heute fast das geworden, was es ursprünglich sein sollte: ein Urlaubs- und Erholungsort – wäre nicht die Historie“, so Köpcke. Welche die Hoteliers und Makler auf Rügen in Prospekten und im Netz fast komplett ausblenden.

Strandbefehl & mehr

  • Die Produktion „Self Care Strandbefehl“ ist vom 18. bis 20. Januar, jeweils ab
    19 Uhr im Festspielhaus Dresden-Hellerau zu erleben. Am 19. Januar findet ein Publikumsgespräch statt. Tickets an der Abendkasse und unter www.hellerau.org
  • Am 20. Januar, gibt es ab 16.30 Uhr drei Impulsvorträge mit Hintergrundinformationen zur Geschichte und möglichen Nutzung von Prora mit anschließendem Gespräch. Der Eintritt ist frei.