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"Die Brustkrebs-Nachricht hat alles förmlich umgekippt"

Nach ihrer Diagnose kämpft die Dresdnerin Susan Uhlemann nicht nur für sich. Frauen, die ihre Erfahrung teilen, will sie mit einer Art Manifest fürs Leben helfen.

Von Nadja Laske
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Susan Uhlemann gehört zu den Initiatorinnen eines besonderen Buches. Es vereint Erfahrungsberichte und Wissen mit starken Porträtfotos.
Susan Uhlemann gehört zu den Initiatorinnen eines besonderen Buches. Es vereint Erfahrungsberichte und Wissen mit starken Porträtfotos. © Martina van Kann / PR

Dresden. Weltenstillstand. Als ob die Zeit blockiert. Von jetzt auf gleich ist alles anders. So erleben Menschen den Moment ihrer Krebsdiagnose. Von vielen beschrieben und doch so persönlich und individuell.

Wovon Betroffene auch berichten, sind die Tage und Wochen danach, als ob ein schwerer Muskelkrampf sich langsam löst und der Schmerz, der Schrecken auch klaren Gedanken wieder Raum lässt.

"Die Nachricht, dass ich Brustkrebs habe, hat alles förmlich umgekippt und mein Leben auf den Kopf gestellt", erinnert sich Susan Uhlemann. "Doch mit jeder weiteren Untersuchung, jedem Testergebnis erfuhr ich mehr über meine Krankheit und darüber, wie sie sich behandeln lässt." Diese Etappe auf einem Weg, auf den sie gestoßen worden war, hat für die Unternehmerin eine große Bedeutung. Sie ist der Anfang der dringenden Notwendigkeiten und Bedürfnisse, die Menschen haben, wenn sie von einem Augenblick zum nächsten Krebspatienten sind.

Mit jedem Befund mehr Hoffnung

Jedes Jahr erkranken in Deutschland 70.000 Frauen neu an Brustkrebs. Täglich fast 200. Vor 15 Jahren gab es einen Tag, da war Susan Uhlemann eine von ihnen: 36 Jahre alt, Mutter eines dreijährigen Sohnes und eines Babys. Als sie die Verhärtung in ihrer Brust bemerkte, machte sie sich zunächst keine großen Gedanken.

"Ich stillte meinen kleinen Sohn gerade ab und hielt den Knoten für einen Milchstau." Trotzdem ging sie zeitnah zum Arzt, wurde ins Brustkrebszentrum überwiesen und erfuhr nach einer Biopsie den wahren Grund für ihre Beschwerden: ein aggressiver, hormonunabhängiger Tumor.

"Zum Glück bin ich an einen Arzt geraten, der sich sehr dafür eingesetzt hat, dass der Befund schneller als üblich aus dem Labor kam." Mit etwas Abstand und dank der verständlichen Erklärungen des Mediziners fühlte sie sich langsam gefasster. Nun wusste sie auch: Kein Lymphknoten ist betroffen, es haben sich keine Metastasen gebildet. "Mit jedem Schritt zur genaueren Diagnose habe ich mehr Hoffnung geschöpft."

Angst, Trauer und Zorn

Wenn Susan Uhlemann erzählt, ist alles wie gestern erst gewesen. Sätze, Blicke, Situationen haben sich tief ins Gedächtnis gegraben. Manches ist auch im Nebel der Fassungslosigkeit versunken. Heute gilt die 51-Jährige als geheilt.

Körperlich mag das zutreffen. Ausheilen wird die Krebserfahrung nie. Spätestens zu jeder Nach- oder Vorsorgeuntersuchung meldet sich die Angst zurück. Angst ist ein ganz zentrales, beherrschendes, unumgängliches Gefühl, das die wenigsten Betroffenen vorher in dieser Dimension kannten und beherrschen lernen mussten.

Rund acht Monate lang dauerte Susan Uhlemanns Behandlung mit Operation, Chemotherapie und Bestrahlung. So weit der physische Kampf gegen das Karzinom. Parallel dazu war sie mit Begleiterscheinungen der Erkrankung befasst, die man besser Symptome nennen sollte: Angst, Trauer und Zorn. Sie sind die Folgen des Traumas Krebs. "Wütend über das, was mich getroffen hat, war ich allerdings kaum. Auch habe ich die Frage, warum es gerade mich trifft, nicht gestellt."

Aber an eine Situation erinnert sie sich noch gut: Sie war mit ihrem Mann in einem Restaurant essen, noch mit Tuch auf dem Kopf wegen der verlorenen Haare. Draußen liefen Leute vorbei, und plötzlich sei sie zornig geworden und habe gesagt: Diese Frau da drüben, die hat doch gar keine Ahnung, wie übel es einem gehen kann! "Mein Mann antwortete: Du weißt doch gar nicht, was in ihrem Leben passiert. Und damit hatte er recht."

"Ich habe schnell verstanden, dass ich auch psychologische Unterstützung brauche"

Nach ihrem Wirtschaftsstudium mit der Spezialisierung auf Tourismus und Marketing begann Susan Uhlemann in der Agentur zu arbeiten, die sie heute mit leitet. Strukturiert und zielorientiert an Probleme heranzugehen, das liegt ihr und hat sich im Beruf bewährt. "Als ich krank wurde, habe ich schnell verstanden, dass ich auch psychologische Unterstützung brauche", sagt sie. Also suchte sie sich einen Psycho-Onkologen, was nicht leicht war. Wartezeiten auf Termine sind üblich. Außerdem muss die Chemie zwischen Patient und Therapeut stimmen.

Neben all den Sorgen um die eigene Gesundheit, die Kinder, die Familie, die Zukunft, prasseln weitere Nöte auf die krebskranken Frauen ein: Wie gehe ich nach der Operation mit meinem Körper um? Prothese, Wiederaufbau der Brust oder nichts von beidem? Wohin wende ich mich bei Haarverlust, wo finde ich einen guten Spezialisten für Haarersatz? Wie kann ich meinen Körper unter der Therapie stärken? Welche Ernährung ist gut für mich? Welchen Sport sollte ich treiben? Was kann ich überhaupt für mich tun, um gut und optimistisch durch diese harte Zeit zu kommen?

Ein Buch von Frauen für Frauen

"Meine Krebserkrankung liegt 15 Jahre zurück. Seitdem hat sich vieles geändert, und zumindest in den Städten gibt es inzwischen mehr Ansprechpartner als früher", sagt Susan Uhlemann. Große Brustkrebszentren pflegen Kooperationen mit Zweithaarspezialisten und Therapeuten. Susan Uhlemann musste sich jede Hilfe selbst suchen. Wie zermürbend das ist und zusätzlich Energie zieht, weiß sie nur zu gut.

Mit einer Spende von zehn Euro kann jeder das Ziel des Vereins unterstützen, allen Frauen, die neu an Brustkrebs erkrankt sind, diesen Begleiter in Buchform zu schenken.
Mit einer Spende von zehn Euro kann jeder das Ziel des Vereins unterstützen, allen Frauen, die neu an Brustkrebs erkrankt sind, diesen Begleiter in Buchform zu schenken. © PR

Vor mehr als drei Jahren hat Susan Uhlemann einen Verein mitgegründet. "LebensHeldin e.V." heißt er und agiert bundesweit. Betroffene und nicht betroffene Frauen haben sich zusammengetan, um etwas auf den Weg zu bringen, was so dringend nötig ist: Ein Zentrum, an dem Frauen mit Brustkrebs alle Unterstützungen finden, die sie brauchen, um den Krebs gut zu überwinden oder bestmöglich damit zu leben. In nur drei Jahren haben sich dem Verein rund 300 Mitglieder angeschlossen. Seine Arbeit begann mit Kursangeboten und Coaching-Wochenenden und wurde mit zwei Awards ausgezeichnet. Nun ist ein neuer Meilenstein geschafft.

Mit dem Buch "Du bist die Heldin Deines Lebens!" haben drei Autorinnen und zahlreiche Mitwirkende im Alter zwischen 23 und 60 Jahren eine Art Manifest fürs Leben herausgegeben. Auf fast 300 Seiten berichten insgesamt 21 Frauen von ihrem Umgang mit der Krankheit, und ihre Geschichten und Wege sind so unterschiedlich, wie es Menschen eben sind.

Alle Hilfen unter einem Dach

Auch die Dresdnerin Susan Uhlemann hat an dem Buch mitgewirkt. Es vereint Erlebnisberichte mit Fachbeiträgen über Prävention, Ernährung, Bewegung und den Umgang mit Stress - begleitet von starken, charakteristischen Porträtfotos der Protagonistinnen. Die Direktorin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Dresdner Uniklinikum, Pauline Wimberger, schrieb das Vorwort. Leserinnen finden außerdem Literatur-Empfehlungen und Tipps: Was kann ich aktiv für mich tun? Dafür wollen die Herausgeberinnen Anregungen geben, Hilfen und Lösungsvorschläge bündeln.

"Unser Ziel ist es, jeder Frau in Deutschland, die an Brustkrebs erkrankt, dieses Buch als Mutmacher zu schenken", sagt Susan Uhlemann. Pro Buch braucht der Verein dafür zehn Euro, finanziert über Spenden und Sponsoren. Im Buchhandel kostet es regulär 26 Euro.

"Unsere Gemeinschaft zu spüren, ob bei persönlichen Treffen oder auch im Buch, ist etwas ganz Besonderes", sagt Susan Uhlemann. Immer wieder sei sie beeindruckt, wie Frauen mit ihrer Erfahrung umgehen, wie grundlegend manche von ihnen ihr Leben daraufhin verändern. "Ich habe nicht den Beruf gewechselt, bin nicht ausgewandert oder auf Weltreise gegangen", sagt sie, "Die Liebe meiner Familie gibt mir die meiste Kraft. Diese Liebe und dieses Glück sind mir bewusster denn je."