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Hohe Zahl Crystal konsumierender Schwangerer in Dresden

Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft Crystal und andere Drogen konsumierten, leiden oft an bleibenden Schäden. Am Uniklinikum finden die Familien Hilfe.

Von Julia Vollmer
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Frauen, die Drogen konsumieren, bemerken ihre Schwangerschaft zum Teil erst sehr spät, manchmal erst kurz vor der Entbindung.
Frauen, die Drogen konsumieren, bemerken ihre Schwangerschaft zum Teil erst sehr spät, manchmal erst kurz vor der Entbindung. © Mascha Brichta/dpa

Dresden. Sie wollte immer funktionieren. Während der Schichtarbeit in der Gastronomie, als Mutter ihrer großen Tochter und auch in der neuen Partnerschaft. Deshalb begann die Dresdnerin Melanie Crystal zu konsumieren. Auch während ihrer Schwangerschaft mit dem zweiten Baby.

Crystal wird künstlich aus Amphetamin hergestellt, der chemische Name lautet Methamphetamin. Oft wird der Stoff konsumiert, da er Hunger, Durst, Schlafbedürfnis und Schmerzempfinden unterdrückt und die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert wird. Doch der Crystal-Konsum schädigt Körper und Psyche enorm.

Der Crystal-Konsum der Dresdnerin Melanie in ihrer Schwangerschaft kam während einer gynäkologischen Untersuchung an der Uniklinik Dresden heraus. Auf ihren Wunsch hin wurde die werdende Mutter in das Programm "Mama denk an mich" aufgenommen. Dieses wurde extra für Mütter, die während der Schwangerschaft Drogen konsumieren, eingerichtet. Fälle wie der von Melanie kommen immer wieder vor. Um die Familie zu schützen, haben wir den Fall anonymisiert.

Zahl der Crystal konsumierenden Schwangeren stark gestiegen

Etwa 180 Babys kommen pro Jahr sachsenweit von Crystal konsumierenden Müttern zur Welt. Laut Dresdner Suchtbericht gab es in den Jahren 2007 bis 2015 eine relativ konstante Anzahl Neugeborener, deren Mütter Drogen konsumiert hatten. "Wohingegen die Anzahl mit pränatalem Crystal-Konsum überproportional zunahm." Seit etwa 2016 bleibt die Anzahl stationär aufgenommener Neugeborener nach mütterlichem Konsum sowohl für Methamphetamin – hier auf hohem Niveau – als auch andere Stoffe relativ konstant.

Im Regierungsbezirk Dresden waren es im Jahr 2021 rund 95 Kinder, sagt Professor Jürgen Dinger, stellvertretender Fachbereichsleiter an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Uniklinikums. 45 Kinder, deren Mütter Drogen vor oder während der Schwangerschaft konsumiert hatten, kamen 2022 allein am UKD zur Welt. "Der Löwenanteil war hier Crystal und in kleineren Anteilen Heroin und Cannabis", so Dinger. Oft konsumierten die Mütter aber auch Nikotin und Alkohol zusätzlich.

"Es ist wichtig, die Frauen nicht zu verurteilen"

Warum die Frauen Drogen nehmen, ist oft in ihrer Biografie zu finden, weiß die Sozialarbeiterin des Projektes, Judith Kunkis. "Oft haben sie in ihrer Kindheit Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung erfahren müssen und nutzen die Drogen als Flucht vor der Realität", sagt sie. Aber nicht alle Eltern von Drogen konsumierenden Frauen sind per se "schlechte Eltern", das ist der Sozialarbeiterin wichtig. Mit den Substanzen wurden Gefühle betäubt.

Während der Schwangerschaft und als Mütter wollen es die Frauen nun besser machen, aber der weg aus der Sucht ist nicht einfach und muss gut begleitet werden. "Es ist uns wichtig, den Frauen auf Augenhöhe zu begegnen und sie nicht zu verurteilen", sagt Kunkis.

Crystal-Kinder sind sehr ruhig und kommen häufig zu früh zur Welt

Das bestätigt auch ihr Teamkollegin Psychologe Jörg Reichert. "Eine Suchterkrankung ist eine Erkrankung wie Diabetes auch, das müssen wir als Gesellschaft akzeptieren und dann können wir den Betroffenen helfen." Keine Mutter wolle ihrem Kind absichtlich schaden. Oft bemerken die Frauen, die konsumieren, sehr spät ihre Schwangerschaft, manchmal erst in der 20 oder 30. Woche. "Wir hatten auch schon Fälle, in denen die Frauen in der 37. Schwangerschaft mit starken Schmerzen zu uns in die Klinik kamen, nichts von der Schwangerschaft wussten, und dann direkt entbunden wurde", so Professor Dinger.

Die Mediziner erkennen Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft Crystal konsumiert haben, an der kleinen Körpergröße, einem geringen Gewicht und Kopfumfang. "Anders als etwa Babys mit Heroin-Entzugserscheinungen sind Crystal-Kinder sehr ruhig und schlafen viel", so Professor Dinger. Oft kommen die Babys auch als Frühgeburten zur Welt.

Weniger Kinder müssen in Obhut genommen werden

Ziel des Programms ist es aber, die Mütter schon in der Schwangerschaft zu behandeln und dann zu einem Entzug bewegen zu können, damit der größte gesundheitliche Schaden abgewendet werden kann. Denn zu den Folgen können Entwicklungsverzögerungen zählen, aber auch Auffälligkeiten an Herz und Nieren.

"Am besten ist es also, wenn wir die Frauen schon in der Frühschwangerschaft behandeln und begleiten können", sagt Mediziner Dinger. Neben der gynäkologischen Betreuung und der ambulanten Entzugsbehandlung werden dann Gespräche und Begleitung mit der Sozialarbeiterin angeboten.

Mit dem Programm ist es gelungen, dass nun zwei Drittel statt vorher ein Drittel der Babys bei ihren Herkunftsfamilien bleiben können und nicht in Obhut genommen werden müssen vom Jugendamt. Zu Hause bekommen die Familien dann aber weiter Unterstützung vom Jugendamt. Lediglich wenn das Jugendamt keine gute und sichere Perspektive für die Babys sieht, werden die Kinder in Pflegefamilien betreut.