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Oberlausitz: Drogensüchtigen wird jetzt Online geholfen

Die Görlitzer Suchtberatung ist eine von drei Anlaufstellen in Sachsen, die an einem bundesweiten Modellprojekt mitwirken. Wer sich hier Unterstützung holen möchte, muss nicht einmal sein Gesicht zeigen.

Von Marc Hörcher
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Crystal Meth hat ein hohes Suchtpotenzial. In Görlitz gibt es laut Polizei eine kleinere Drogen-Szene, die eher im Privaten handelt.
Crystal Meth hat ein hohes Suchtpotenzial. In Görlitz gibt es laut Polizei eine kleinere Drogen-Szene, die eher im Privaten handelt. ©  Symbolfoto: Claudia Hübschmann

Wie vermeintlich harmlos beginnender Drogenkonsum Menschen auf Abwege bringen kann, ist regelmäßig in Gerichtsverhandlungen am Landgericht Görlitz zu beobachten. Anfang des Jahres etwa saß dort ein damals 21-Jähriger aus Vierkirchen auf der Anklagebank. Den ersten Experimenten mit Mariuhana im Alter von 13 folgte ein "Abrutschen" ins Dealen, später während seiner Lehre nahm er größere Mengen, griff dann zu härteren Mitteln wie Kokain, Speed und Ecstasy, wie er dem Gericht schilderte. Große Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis und Wahnvorstellungen seien langfristige Folgen seines Konsums. Er landete im Gefängnis und schließlich in einer Entziehungsklinik. Nicht für jeden Suchtbetroffenen sind die Konsequenzen gleich so drastisch. Aber auch wer nicht auf der Anklagebank landet, kann durch Sucht in persönliche und gesundheitliche Probleme geraten. Die SZ interviewte im April einen damals 25-jährigen Görlitzer Studenten, der zugab, seinen Cannabis-Konsum nicht im Griff zu haben, was zu Psychosen und manisch-depressive Zustände führe beziehungsweise diese verstärke.

Um Fällen wie diesen vorzubeugen und Suchtprävention zu leisten, gibt es in Görlitz die "Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle". Fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klären dort über die Krankheit Sucht auf, eine Zweigstelle mit einer weiteren Mitarbeiterin besteht in Löbau. Die Fachleute erstellen Hilfepläne und vermitteln weiterführende Angebote, damit die Betroffenen gesundheitlich und sozial wieder auf geregelte Bahnen kommen.

Digitales Konsumtagebuch gehört dazu

Nach wie vor ist das Thema Sucht von Stigmatisierung betroffen. Wohl auch deswegen befinden sich die Räume des Vereins "Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle" in Görlitz auf der Jakobstraße 24, bei welchem sich Abhängige Hilfe suchen können, dezent und fast ein wenig versteckt im Hofbereich. Seit zehn Monaten fällt für Hilfesuchende die Grenze, sich persönlich bei den Beratern vorzustellen, weg. Denn seither nimmt die Görlitzer Einrichtung als Modellberatungsstelle an der digitalen Suchtberatung teil. Auf "DigiSucht" beraten Suchtberaterinnen und Suchtberater der Görlitzer Einrichtung Hilfesuchende per Chat oder Video-Chat. Damit ist sie eine von etwa 40 Modellberatungsstellen aus ganz Deutschland, die daran teilnimmt. Aus Sachsen sind es drei Beratungsstellen. Gefördert wird das Projekt vom Bund.

Neben den Beratungsterminen können die Betroffene "DigiSucht" auch nutzen, um Fragebögen zum Suchtverhalten auszufüllen und ein Konsumtagebuch zu führen. Der Andrang ist bislang allerdings noch überschaubar: 16 Personen nutzten das Angebot bisher seit Oktober, sagt der Görlitzer Suchttherapeut Frank Lehnert. Im selben Zeitraum suchten etwa 400 Betroffene die Suchtberatungsstelle persönlich auf. "Eine deutliche Mehrheit nimmt doch lieber den persönlichen Kontakt wahr, das zeigte sich bereits während der Corona-Pandemie", erklärt der 46-Jährige. Vielleicht liege es aber auch daran, dass das digitale Angebot bislang nur "moderat beworben" wurde. Die Flyer für das Angebot werden jetzt erst nach und nach verteilt, mit der Werbung möchte die Beratungsstelle weiter in die Offensive gehen. Sie erhofft sich davon größere Bekanntheit und speziell das Erreichen jüngerer Leute.

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Momentan ist in der Görlitzer Beratungsstelle zwei Mitarbeitern ein gewisses Zeitfenster pro Woche zugeteilt, um sich den Anfragen über die Online-Plattform zu widmen. "Wir nehmen Anfragen aus ganz Ostsachsen entgegen", sagt Lehnert. Die Registrierung auf der Plattform erfolgt anonymisiert über die Postleitzahl. Das Angebot sei vertraulich und kostenfrei. Der Übergang zu einer realen physischen Beratung ist, wenn gewünscht, möglich. Die Beratungsstelle hilft bei jeglichen Süchten. Das betrifft nicht nur Drogensucht, sondern auch Mediensucht, Spielsucht sowie andere Verhaltenssüchte.

Frank Lehnert, Suchttherapeut im Soziotherapeutischen Zentrum Görlitz-Weißwasser (STZ), in seinem Büro auf der Jakobstraße 24 in Görlitz.
Frank Lehnert, Suchttherapeut im Soziotherapeutischen Zentrum Görlitz-Weißwasser (STZ), in seinem Büro auf der Jakobstraße 24 in Görlitz. © Martin Schneider

Bis September 2023 soll ein nachhaltiger Betrieb der Plattform sichergestellt werden. "Dazu sollen langfristig tragende Organisationsstrukturen aufgebaut sowie eine nachhaltige Finanzierung der technischen Infrastruktur über die Länder sichergestellt werden", erklären die Initiatoren der Plattform. Ab 2024 ist dann der bundesweite Betrieb geplant.

Gerade im deutsch-polnischen Grenzbereich spiele Crystal Meth eine große Rolle, sagt Suchttherapeut Lehnert. Aber auch Konsumenten anderer Stoffe suchen die Beratungsangebote auf. Sollte die Cannabis-Legalisierung kommen, wie von der Ampel-Regierung geplant, erwarten die Berater, dass auch die Zahl der Cannabis-Süchtigen steigen wird und somit mehr Betroffene Beratungsangbote - online oder real - wahrnehmen werden.

Die Seite "DigiSucht" ist im Internet unter www.suchtberatung.digital zu erreichen.