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KI revolutioniert Hautkrebs-Früherkennung: Wie eine 45-Jährige in Dresden davon profitiert

Mandy Schimm hat schwarzen Hautkrebs. Künstliche Intelligenz hilft ihr am Uniklinikum Dresden, frühzeitig neue Melanome zu entdecken. Ersetzt Technik bald den Hautcheck beim Hautarzt?

Von Sandro Pohl-Rahrisch
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Patientin Mandy Schimm und Dermatologin Sarah Hobelsberger vor dem Ganzkörperscanner des Uniklinikums. Dieser soll die Früherkennung von schwarzem Hautkrebs revolutionieren.
Patientin Mandy Schimm und Dermatologin Sarah Hobelsberger vor dem Ganzkörperscanner des Uniklinikums. Dieser soll die Früherkennung von schwarzem Hautkrebs revolutionieren. © René Meinig

Dresden. Mandy Schimm hätte den Krebs zweifellos gern besiegt. Inzwischen lebt sie jedoch seit sechs Jahren mit ihm. Die Betonung liegt auf "lebt". Dass die Krankheit in Schach gehalten werden kann, ist nicht nur Medikamenten zu verdanken. Künstliche Intelligenz (KI) sucht den Körper der 45-Jährigen immer wieder nach neuen Hautveränderungen ab – sehr viel präziser, als es das menschliche Auge vermag.

Mandy Schimm sitzt im März 2018 bei ihrem Hautarzt. Routine-Hautcheck. "Ich bin völlig unbedarft zu diesem Termin gegangen", sagt sie. Seit ihrer Geburt hat sie viele Leberflecke am Körper. War einer auffällig, wurde er herausgeschnitten und fertig. Auch bei diesem Termin entdeckt ihr Arzt eine verdächtige Läsion und entfernt sie. Und fertig? Nicht dieses Mal. Der Fleck stellt sich als schwarzer Hautkrebs heraus. "Mein erster Gedanke war: Sehe ich meine Kinder noch aufwachsen?"

Schwarzer Hautkrebs: Überlebenschance bei über 50 Prozent

Hautkrebs hat in den vergangenen zehn Jahren um mehr als die Hälfte zugenommen. Ursache Nummer eins ist zu häufige und intensive UV-Bestrahlung durch die Sonne im Kindes- und Jugendalter. "Die Anzahl der nach der Geburt erworbenen Pigmentmale ist der höchste Risikofaktor für das maligne Melanom", erklärt die Deutsche Krebshilfe. Menschen mit mehr als 100 Pigmentmalen hätten ein siebenfach erhöhtes Risiko, an schwarzem Hautkrebs zu erkranken.

Pro Jahr werden in Deutschland mehr als 300.000 Neuerkrankungen (schwarzer und weißer Hautkrebs) diagnostiziert - das ist entspricht mehr als der Hälfte der Dresdner Bevölkerung. Die Überlebenschance von Patienten mit schwarzem Hautkrebs liegt dank moderner Therapien bei über 50 Prozent. Je eher ein Melanom erkannt und entfernt wird, umso besser ist die Prognose. Die Entfernung von Hauttumoren ist der häufigste Eingriff an der Klinik für Dermatologie des Dresdner Uniklinikums.

"Ich hatte sofort die Frage im Kopf, ob ich zu den anderen 50 Prozent der Patienten gehöre", erinnert sich die zweifache Mutter. Sie meint jene, die es nicht überleben. Zunächst sieht alles gut aus: Am Uniklinikum wird an der betroffenen Stelle ein zweites Mal geschnitten. Dieses Mal zur Sicherheit, um eventuell zurückgebliebene Krebszellen in den direkt angrenzenden Hauptpartien zu entfernen. Drei Jahre lang erholt sie sich von der Erkrankung.

Ganzkörperscanner kartiert jeden Quadratmillimeter der Haut

2021 ist der Krebs allerdings zurück. Er hat bösartige Zellen im Körper verteilt – Lunge, Wirbelsäule und Lymphknoten sind "infiziert". "Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen", sagt Mandy Schimm. Eine sogenannte Immuntherapie schlägt nicht an. Dabei soll das Immunsystem mit Antikörpern dazu angeregt werden, die Krebszellen zu bekämpfen. Aufgeben kommt aber weder für sie noch ihre Ärzte infrage. Sie setzen den Kampf mit neuen Medikamenten in Tablettenform fort. Und sie helfen.

"Momentan lebe ich ganz gut damit. Die Tabletten haben dazu geführt, dass sich die Krebszellen zurückgebildet haben und bislang nichts Neues dazugekommen ist." Gute Nachrichten, aber die Skepsis bleibt. "Noch", sagt Mandy Schimm, als es darum geht, dass die Tabletten den Krebs in Schach halten. Schon einmal dachte sie, alles wäre gut.

Mandy Schimm lässt sich mehrmals jährlich im Ganzkörperscanner auf Melanome untersuchen. Normalerweise geschieht das unbekleidet - für das Foto hat sie ihre Kleidung anbehalten.
Mandy Schimm lässt sich mehrmals jährlich im Ganzkörperscanner auf Melanome untersuchen. Normalerweise geschieht das unbekleidet - für das Foto hat sie ihre Kleidung anbehalten. © René Meinig

Könnte der Krebs wieder die Überhand gewinnen? An diesem Vormittag steht Mandy Schimm in einem Ganzkörperscanner des Dresdner Universitätsklinikums. Gerade einmal acht von diesen Geräten gibt es laut Herstellerangaben in Deutschland. Viermal im Jahr stellt sich die Neugersdorferin unbekleidet zwischen die beiden portalähnlichen, überlebensgroßen Segmente, spreizt die Beine und hebt die Arme. In Sekundenschnelle macht der Scanner 92 Bilder von ihr und erstellt daraus einen 3D-Avatar. Früherkennung auf dem neuesten Stand der Technik - mit Künstlicher Intelligenz.

Sogenannte Auflichtmikroskope oder Dermatoskope, mit denen Hautärzte täglich millionenfach Leberflecke in ihren Praxen checken, haben die Früherkennung von schwarzem Hautkrebs bereits deutlich verbessert. Die KI-basierte 3D-Ganzkörperfotografie - es kommt keine Strahlung zum Einsatz - könnte der nächste Meilenstein sein. Der Scanner kartiert jeden Quadratzentimeter der Haut. Sämtliche Pigmentmale werden einzeln erfasst und in eine Datenbank aufgenommen. Die Software vergleicht spätere Aufnahmen mit früheren und zeigt den Medizinern alle Pigmentmale, die größer geworden sind, ihre Farbe und Form verändert haben und neu dazugekommen sind. Mittels digitaler Dermatoskopie können auffällige Male anschließend genauer untersucht werden.

"Die meisten Melanome konnten in einem frühen Stadium gefunden werden"

Darüber hinaus gleicht die KI die Fotos mit Bildern in ihrer Datenbank ab, von denen sie weiß, dass es sich um Melanome handelt. Das Ergebnis ist ein Score - eine Art Wahrscheinlichkeitswert für Krebs. Der Hersteller trainiert die KI mit Bildern, Patientenaufnahmen vom Uniklinikum werden nicht weitergegeben.

Sarah Hobelsberger spricht von einer Ergänzung zu den Hautchecks. Vor allem die Größen- und Farbvergleiche seien eine enorme Unterstützung, sagt die Oberärztin, die am Uniklinikum die bildgebende Diagnostik der Hautklinik leitet. "Es gibt Menschen mit mehr als 1.000 Pigmenten am Körper", erklärt sie. Diese Menschen hätten ein erhöhtes Hautkrebsrisiko. Nachzuvollziehen, wie sich all diese Pigmente über die Jahre verändert haben, und sie von neuen zu unterscheiden, sei für Hautärzte bisher kaum möglich gewesen.

Die KI-gestützte Software des Ganzkörperscanners erfasst jedes Pigmentmal und vergleicht Größe, Form und Farbe mit vorherigen Aufnahmen.
Die KI-gestützte Software des Ganzkörperscanners erfasst jedes Pigmentmal und vergleicht Größe, Form und Farbe mit vorherigen Aufnahmen. © Repro: René Meinig/Quelle: Universitätsklinikum Dresden

Ihren Job sieht Sarah Hobelsberger durch den 3D-Ganzkörperscanner nicht in Gefahr. Es brauche einen Arzt, der die Patienten und ihre Krankengeschichten kennt, Läsionen einschätzt und schließlich die Entscheidung trifft, zu operieren oder nicht.

Der Nutzen des Scanners im klinischen Alltag wird derzeit im Rahmen einer langangelegten Studie überprüft. Daran nehmen Personen mit erhöhtem Hautkrebsrisiko und Patienten teil, die schon einmal an schwarzem Hautkrebs erkrankt waren. Die Studie läuft seit zweieinhalb Jahren, weitere siebeneinhalb Jahre sind geplant. Erste Ergebnisse zeigen: Durch den Scanner konnten bisher signifikant mehr invasive und nicht-invasive Melanome bzw. Vorstufen entdeckt werden als bei regulären Hautchecks, sagt Sarah Hobelsberger. "Die meisten Melanome konnten in einem frühen Stadium oder als nicht-invasive Variante gefunden werden. Diese sind sonst schwerer zu erkennen."

"Ich bin froh, dass es so etwas gibt"

Die Studiengruppen sind zwar voll, das Gerät steht aber auch allen anderen Patienten zur Verfügung. Mit einer Einschränkung: Die Ganzkörperfotografie wird derzeit nur als privatärztliche Leistung angeboten, die gesetzlichen Krankenversicherungen kommen dafür nicht auf. Gesetzlich Versicherte haben als Selbstzahler die Möglichkeit, sich scannen zu lassen. Kosten insgesamt: rund 150 Euro.

Für Mandy Schimm bedeutet der Scanner vor allem eines: ein Stück Sicherheit. Die Sicherheit, neue Melanome rechtzeitig zu entdecken. "Ich bin froh, dass es so etwas gibt", sagt sie. Um anderen Hautkrebspatienten Mut zu machen, gründete Mandy Schimm vor etwa zwei Jahren mit anderen Erkrankten die Selbsthilfegruppe Yoko Dresden, die sich an Menschen in ganz Ostsachsen richtet.