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Dresdner Jazztage: Kilian Forster lässt sich den Protestbart scheren

Zweieinhalb Jahre lang wuchs der Kinnschmuck des Musikers und Jazztage-Intendanten Kilian Forster. Warum er den Bart nun abgelegt hat.

Von Nadja Laske
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Jazztage-Organisator Kilian Forster ist seinen Bart los.
Jazztage-Organisator Kilian Forster ist seinen Bart los. © René Meinig

Dresden. Windige zehn Grad am Montag. Rund um das Quartier Frauenkirche zieht es einigermaßen, als Kilian Forster seinen Bus am Eingang zum QF parkt, um ein Leihstück zurückzugeben: den Barberstuhl, auf dem er Sonntagnachmittag geduldig gesessen hat - für eine Aktion, die viele witzig finden, andere albern, und nicht wenige machte sie nachdenklich. Seitdem ziehe es ihm gewaltig an den empfindlichen Stellen, gibt Forster lachend zu.

Unter dem Motto "Bart ab!" hat der Musiker und Intendant der Jazztage Dresden vor 500 Zuschauern in dem Ostra-Dome die Haarschneidemaschine ansetzen lassen. Seit Beginn des ersten Lockdowns Mitte März 2020 war er in den Rasierstreik getreten.

"Ich hatte gedacht, die Maßnahmen werden höchstens zwei bis vier Wochen dauern, doch es wurden Jahre daraus", sagte er auf der Bühne, die ab 15 Uhr der Saxofonistin Tina Tandler gehören sollte. Und tatsächlich wurde die Bühne pünktlich freigegeben - sauber gekehrt und gesaugt. Schließlich leidet die Musikerin an einer Haarallergie, verriet Kilian Forster am Rande und versprach die restlose Entsorgung seines Kinnschmucks.

Der war umstritten wie seine Ansichten zu Corona und den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Am Sonntag nahm er Bezug dazu: "Corona - da muss man nichts leugnen. Ich habe selbst zweimal Corona gehabt." Aber über die Frage der Verhältnismäßigkeit in Sachen Infektionsschutz könne und müsse man streiten.

Allerdings nun nicht mehr so sehr wie früher. Denn dass sich Kilian Forster von seinem Protestbart trennt, liegt an der veränderten Lage. "Wir konnten die Jazztage so veranstalten, wie wir es vorhatten und ohne jede Einschränkungen erleben", sagt er. Zwar gebe es immer noch Lebensbereiche, wo Tests und Masken verlangt seien. Doch selbst die Ständige Impfkommission spreche mittlerweile vom Ende der Pandemie. Also sei es an der Zeit, sich des Protestbartes zu entledigen.

Etwa zwei Jahre hatte der Bart von Kilian Forster Zeit zu wachsen.
Etwa zwei Jahre hatte der Bart von Kilian Forster Zeit zu wachsen. © Jazztage/PR
Jetzt ist der ab.
Jetzt ist der ab. © René Meinig

Der hatte eine gewaltige Dimension angenommen und war mehr als 30 Zentimeter lang geworden. Nun ließ der Barbier die Bartschneidemaschine surren, und es blieben noch einige publikumswirksame Minuten des offiziellen Abschiedes vom "old look", den Kilians Frau und seine Tochter offensichtlich sehr bedauern. Küsschen hier, Umarmung da, dann nahm Forster auf dem Frisierstuhl Platz: "Das ist ein wehmütiger Augenblick", sagt er. Doch 52 Jahre lang sei er ohne Bart ausgekommen und freue sich darauf, sich wieder leichter im Gesicht zu fühlen.

Rund eine halbe Stunde lang dauerte das Bartputzen vom "Rechten Barbier" des Salons Orgaenic Salon Dresden by Brockmann und Knoedler, der sich - ganz anders als in Adelbert von Chamissos Ballade - nicht zitternd vor Angst vor dem herausfordernden Kunden aus dem Staub machte und den Azubi schickte, sondern mit kecken Sprüchen sein Werk kommentierte. Und auch Kilian Forster blieb locker. Wer seine Beweggründe nicht kannte und im Laufe der vergangenen beiden Jahre den Stilwechsel nur aus der Ferne beobachtet hatte, war etwas ratlos geblieben - oder gleich an Forster vorbeigegangen, ohne ihn zu erkennen.

Am Ende der halbstündigen Session frohlockte Forster, nun kehre er in eine Art Anonymität zurück und könne auch optisch mit früheren Facebook-Posts nicht mehr in Verbindung gebracht werden. So etwas wie Reue? "Wir sind in der Familie alle ungeimpft. Aber ich will nicht agitieren und finde, jeder muss ungeimpft bleiben dürfen oder die Impfung für sich besser finden, wenn es eine freie Entscheidung ist." Ebenso wie das Tragen von Masken. Gegen eine Infektion dusche er schon seit Beginn der Pandemie ausschließlich kalt.

Keine kalte Dusche sind für ihn die diesjährigen Jazztage geworden. "Insgesamt sind wir sehr zufrieden. Es lief besser als befürchtet." Dennoch betrage die Auslastung nur 50 Prozent von der des Jahres 2019 bei auf 140 Prozent gestiegenen Kosten. Viele Menschen haben seiner Erfahrung nach noch immer Angst vor vollen Räumen, sind bequem geworden oder haben sich einfach entwöhnt. "Sie müssen erst wieder erleben, wie schön es ist, Musik live und in Gesellschaft zu genießen."

Noch bis Sonntag: www.jazztage-dresden.de