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Dresdner Azubi der besonderen Art: Felix wird Tätowierer

Ein offizieller Ausbildungsberuf ist das Tätowieren nicht. Die Chefs eines Dresdner Tattoo-Studios bilden trotzdem aus und wollen, dass ihre Branche besser anerkannt ist.

Von Nadja Laske
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Bevor Felix die Tätowier-Maschine in die Hand nahm, studierte er BWL. Nun lebt er sein Faible für die Kunst auf der Haut aus.
Bevor Felix die Tätowier-Maschine in die Hand nahm, studierte er BWL. Nun lebt er sein Faible für die Kunst auf der Haut aus. © Christian Juppe

Dresden. Von wegen Schweinehaut. Als Felix zum ersten Mal die Tätowier-Maschine in die Hand nahm, lag da statt eines Übungsmodells ein richtiger Arm vor ihm. Doch das, was er damit vorhatte, war keine Schnapsidee, kein Streich am Rande einer feucht-fröhlichen Party. Das erste Motiv zu stechen, galt als wichtiger Teil seiner Ausbildung mit der Ansage: Wir halten uns nicht mit halben Sachen auf. Wenn schon, denn schon.

Alexander Groß durfte so herangehen. Er ist einer von Felix Ausbildern und kennt seine Leute genau. Jeder im Team ist so stark tätowiert, dass es auf ein, womöglich missglücktes, Wanna-Do nicht ankommt. So nennt man kleine Applikationen wie Smileys, Früchte, Blüten, die als "Möchtegern-Tattoos" mehr oder weniger präsent sind und sich zum Sammeln eignen.

Außerdem gibt es kein Gesetz, das vorschreibt, was wann wie zu lehren ist, weder theoretisch noch praktisch. Tätowierer gilt nicht als offizieller Ausbildungsberuf. Und doch ist Felix im Dresdner Tattoo-Studio Inklabs Azubi.

Das erste Motiv unter der Haut

"Mein erstes Motiv waren zwei Glöckchen", erinnert er sich. Er stach sie einem Kollegen, auf dessen gut gefüllter Haut auch dafür noch Platz war. "Ich bin extrem aufgeregt gewesen, und das blieb auch die nächsten zehn, zwanzig Male so."

Als sich seine Chefs Alexander Groß und Sebastian Müller vor neun Jahren entschlossen, ihre Faszination zum Geschäftsmodell zu machen und ein eigenes Studio zu gründen, ahnten sie noch nicht, was darauf in recht kurzer Zeit erwachsen würde. Beide liebten Tattoos und beide kommen sie aus Berufen, die dafür prädestiniert sind, ein solides Management aufzubauen. Alex ist gelernter Friseur und war als Immobilienhändler tätig. Sebastian ist studierter Unternehmensberater.

Ihre Idee: ein Rundum-Sorglospaket für Tätowierer nach dem Motto "Wir kennen das Business und die Künstler können Kunst", wie es Sebastian Müller auf den Punkt bringt. Die Gründer mieteten in der Neustadt eine kleine Dreiraumwohnung an, richteten sie stylisch ein und engagierten Tattoo-Artists, die dort ihre Kunden empfangen.

Um Reiseplanung, Unterkunft, Verträge kümmert sich die Firma. Nichts soll die Kunst ablenken. Alles nach dem Vorbild der Musikbranche oder des Profisports. Inklabs wollte dazu beitragen, dass die Tätowierbranche aus den Hinterzimmern herauskommt und sich mehr Menschen mit ihrem Image wohlfühlen.

Internationale Künstler für Tattoos made in Dresden

"Anfangs hatten wir überwiegend regionale Künstler unter Vertrag, doch unser extrem professionelles Herangehen hat auf Dauer nicht jedem gefallen", erzählt Alexander Groß. Sein Partner und er mussten sich den Vorwurf der Kommerzialisierung gefallen lassen und akzeptieren, dass das Gros ihrer Artists ihnen den Rücken kehrten. "Da standen wir erst mal allein da und wussten nicht, wie es weitergehen soll." Doch wie sagt man so schön: Schließt sich eine Tür, öffnet sich ein Tor.

Sein erstes Motiv ließ sich Felix bei seinem heutigen Ausbilder stechen. Es folgten viele Tattoos mehr.
Sein erstes Motiv ließ sich Felix bei seinem heutigen Ausbilder stechen. Es folgten viele Tattoos mehr. © Christian Juppe

Dieses Tief war der Start eines Höhenfluges, der bis heute anhält - der Beginn des gezielten Engagements internationaler Tattoo-Künstler. Zum Pool derer, die knapp zehn Jahre nach Gründung regelmäßig bei Inklabs arbeiten, gehören rund 300 freie Tätowiererinnen und Tätowierer. "Aber wir hatten den Wunsch, einen aus unseren Reihen zu entwickeln und haben dazu aufgerufen, sich für eine Ausbildung bei uns zu bewerben", erzählt Alexander.

Die Resonanz war riesig. Nach nur einer Woche nahm er die Anzeige wieder aus dem Internet und sichtete die 50 Mappen mit Zeichnungen und Skizzen, die Bewerber bis dahin eingereicht hatten. Felix Arbeiten waren auch dabei - und begeisterten. So bekam der 26-Jährige eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. "Sein Stil hat uns gut gefallen und die Chemie stimmte auch noch, also haben wir ihm einen Vertrag gegeben", so Alexander.

Tätowieren ist gesellschaftsfähig geworden

Dass diese Ausbildung eine Eigenkreation sein würde, war allen klar. Doch so muss es ja nicht bleiben. Das Tätowieren ist so gesellschaftsfähig geworden, dass man sich durchaus fragen kann, warum in der Berufsschule nicht auch Tätowierer-Azubis sitzen. Die Inklabs-Chefs wollen sich dafür auf jeden Fall verwenden und erarbeiten nötige Ausbildungsinhalte. Doch bis es so weit ist, lernt Felix bei der täglichen Arbeit. Dazu gehören bei weitem nicht nur tausende kleine Nadelstiche, sondern auch Hygienevorgaben, Kundengespräche, Büroangelegenheiten.

Mit letzterem dürfte er keine Probleme haben. Schließlich hat er Betriebswirtschaftslehre und Management studiert. "Nebenbei habe ich immer gern gezeichnet und den japanischen Stil gemocht", erzählt er. Vor fünf Jahren entschied er sich für sein erstes Tattoo und fuhr dafür von Zwickau, wo er studierte, nach Dresden zu Inklabs - für eine Schlange, die sich um einen Dolch windet und seinen rechten Arm verziert.

Während seiner Ausbildung lernt er alle erdenklichen Stile, Motive, Techniken kennen, die die internationalen Künstler auszeichnen. Die meisten sind für ihre ganz speziellen Handschriften bekannt, viele sogar berühmt. Wie in der Mode erscheinen ständig Neuheiten und Altes kommt zurück, im Kern verhaftet mit moderner Nuance. So wie zum Beispiel das sogenannte Arschgeweih, Tribals, die nun besser platziert organischer wirken und nicht mehr wie ein Stempel überm Hosenbund.

Drei Jahre kann Felix Lehre dauern, muss sie aber nicht. Schon jetzt betreut er eigene Kunden und wird gut in der Lage sein, von seiner Kunst zu leben. Das mit dem Lernen ist ohnehin nie vorbei. Gute Tätowierer entwickeln sich ein Leben lang. So wie die ganze Branche bis ans Ende aller Tage in Bewegung sein wird.