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Dresdner kümmern sich um hunderte verletzte und hungrige Tauben

Die Stadttauben-Initiative kümmert sich um verletzte und erschöpfte Tiere in Dresden. Hunderte retten die ehrenamtlichen Helfer jährlich. Die Stadt dagegen setzt auf Aushungern.

Von Kay Haufe
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Ein Herz für alle Tiere: Ines Teuber hat ihren Garten für Taubenvolieren zur Verfügung gestellt.
Ein Herz für alle Tiere: Ines Teuber hat ihren Garten für Taubenvolieren zur Verfügung gestellt. © Sven Ellger

Dresden. Verzweifelt flatternde Tauben, die keinen Weg mehr aus sogenannten Vergrämungsnetzen finden, verletzte und ausgehungerte Tiere, die sich mühsam vorwärts schleppen oder schon apathisch in einer Ecke sitzen - diese Anblicke kennen viele Dresdner von ihrem Weg zur Arbeit oder einem Innenstadtbesuch. Den Stadttauben geht es nicht gut. Geht es nach der Verwaltung, sollen sie ausgehungert und ihre Population so begrenzt werden. In Dresden besteht ein Fütterungsverbot für Tauben, das ansonsten nur noch für Ratten gilt. Wer dagegen verstößt, begeht laut Dresdner Polizeiverordnung eine Ordnungswidrigkeit und muss mit einem Bußgeld von bis zu 1.000 Euro rechnen.

Brieftaubenzüchter nehmen Tiere oft nicht zurück

Eine, die das Elend der Vögel live erlebt, ist Ines Teuber vom Verein Dresdner Stadttauben Initiative. Fast täglich ist sie unterwegs, um verletzte, erschöpfte oder fast verhungerte Tiere abzuholen. Die Informationen dazu erhält sie über die Facebookseite des Vereins, wo Notfälle gemeldet werden können. Auch die Tierrettung der Feuerwehr weiß, dass sie sich um Tauben kümmert und kontaktiert sie. Erst am Montag wurde die 55-Jährige ins Industriegelände gerufen, wo eine völlig entkräftete Brieftaube gefunden wurde. Die Tiere werden bei Wettbewerben weit entfernt von ihrer Heimat aufgelassen und müssen den Weg zurück so schnell wie möglich finden. Viele Tauben stammen von osteuropäischen Züchtern oder auch aus Holland. "Nicht alle schaffen den Weg zurück und um viele davon kümmern wir uns dann", sagt Teuber.

Zwar sind die meisten Brieftauben beringt und haben auch eine Telefonnummer des Züchters dabei. "Aber wenn wir die anrufen, heißt es mitunter, dass wir den Tauben doch gleich den Hals umdrehen sollen", sagt Jodie Lentwojt, eine von fünf Vorstandsmitgliedern im Verein. Bei maximal 20 Euro Aufzugskosten für eine Brieftaube sei die Anfahrt nach Dresden oder gar die Begleichung von Tierarztkosten für ihre Taube den meisten Züchtern zu teuer.

Sind die Tauben schwer verletzt, fährt Ines Teuber mit ihnen zu bestimmten Tierärzten. Weil in Dresden kaum einer auf Vögel spezialisiert ist, muss sie dafür nach Coswig, Weinböhla oder sogar Panschwitz-Kuckau. "Ich bin viel unterwegs."

Möglich wird ihr Einsatz nur, weil Ines Teuber als selbstständige Immobilienmaklerin und Hausverwalterin arbeitet und so zeitlich relativ flexibel ist. Aber sie wünscht sich wie alle anderen Vereinsmitglieder dringend Unterstützung. Ihr Tag beginnt zeitig, denn rund 200 Tauben warten in den Volieren des Vereins in Altmockritz morgens auf Futter. Das besteht aus Getreidekörnern, Mais und Hülsenfrüchten. Dinge, die die Stadttauben auf den Dresdner Straßen kaum finden. Deshalb ernähren sie sich von weggeworfenen Essensresten. Von Pommes und Co. bekommen die Tiere Durchfall, aber es ist meist das Einzige, was sie finden.

1.000 Euro Futterkosten pro Monat

Zwei 25-Kilo-Säcke verfüttert Ines Teuber wöchentlich an die Tauben in den Volieren, damit sind 46 Euro weg. "Die Futterkosten sind unser größter Posten", sagt Jodie Lentwojt. Fast 1.000 Euro gehen monatlich dafür drauf. Denn neben den Tieren in den Volieren kümmert sich die Stadttauben Initiative auch um mehrere Taubenschläge in der Stadt. Die Vögel haben darin einen festen Rückzugsort, an dem sie Futter erhalten und ein Dach über dem Kopf haben. Echte Eier, die sie im Schlag ausbrüten wollen, werden durch Toneier ersetzt. Aber nicht alle, ein bis zwei Prozent dürfen ausgebrütet werden, sonst verlieren die Vögel die Bindung an den Schlag, weil sie merken, dass sie hier nicht brüten können, sagt Lentwojt.

An der Budapester Straße gibt es bereits einen Taubenschlag. Er war errichtet worden, um das Taubenkot-Problem auf der Prager Straße zu lösen. Darüber hinaus werden unter anderem Schläge auf dem Dach der Centrum Galerie und der ehemaligen Markthalle am Bahnhof Mitte betreut. Gerade hat der Verein Land gepachtet, um einen weiteren Schlag zu bauen.

Generell sei ein Taubenschlag eine gute und langfristig auch nicht teurere Variante als Vergrämungsnetze oder Spikes, die viele Privatbesitzer einsetzten, um Tauben von ihren Gebäuden fernzuhalten, sagt Lentwojt. So, wie an der sanierten ehemaligen Oberpostdirektion und dem früheren Telegrafenamt am Postplatz. Denn die Tauben seien extrem standorttreu und würden ihren Bereich nicht verlassen. Auch, weil immer mehr Brachflächen in der Innenstadt wegfallen, wo sie leben könnten. Brutplätze sind also hart umkämpft. "Wir stehen gern zur Beratung bereit", sagt sie. "Die Netze müssen ja auch regelmäßig gewartet oder ausgetauscht werden, das ist nicht billig."

Publikumsliebling bei Verein des Jahres

Dass das Engagement der Stadttauben Initiative nicht unbemerkt bleibt, merken die Mitglieder nicht allein an zunehmenden Hinweisen auf verletzte Tiere, sondern auch direkt im Verein. "Der Tierschutzaspekt wird vielen Menschen wichtiger. Mittlerweile haben wir vom Studenten bis zur Rentnerin alle Altersgruppen bei uns vertreten", sagt Lentwojt. Doch sie sucht dringend nach weiteren aktiven Mitstreitern, die verletzte Tauben abholen, sie zeitweise als Pflegestelle aufpäppeln oder auch die Schläge betreuen. "Außerdem kann man uns finanziell unterstützen und zum Beispiel Futterkosten übernehmen oder eine Patenschaft für eine oder mehrere Tauben, die es ab 60 Euro gibt", sagt Jodie Lentwojt.

Für die zahlreichen Stunden ehrenamtlicher Arbeit wurde der Verein jetzt zum Publikumsliebling beim Wettbewerb Verein des Jahres von Ostsächsischer Sparkasse und Sächsischer Zeitung gewählt. Er belegte in der Kategorie Umwelt mit 327 Stimmen den ersten Platz. 1.500 Euro Preisgeld sind damit verbunden, sowie 500 Euro für ein Vereinsfest. Das Fest wurde am Samstag im Mockritzer Garten mit den Taubenvolieren gefeiert.

"Es ist schön, dass wir diese Anerkennung erhalten", sagt sie. Offensichtlich denken weitere Menschen wie sie, dass man Tiere nicht in Kategorien wie gut und böse, schön und hässlich oder nützlich und nutzlos unterteilen sollte. Das schlechte Image der Taube, die früher als "Ratte der Lüfte" bezeichnet wurde, ist längst durch mehrere Studien widerlegt.