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So erlebt Dresden das Weihnachts-Hochwasser 2023

Dresden erlebt rund um die Weihnachtsfeiertage ein überraschend heftiges Hochwasser. Wie sich die Stadt vorbereitet und wer aktuell vor den Fluten bangt.

Von Alexander Schneider
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Das Hochwasser der Elbe hat das Terrassenufer überspült.
Das Hochwasser der Elbe hat das Terrassenufer überspült. © René Meinig

Dresden. Am 25. Dezember gegen 11.45 Uhr: Der Pegel der Elbe pendelt zwischen 5,27 und 5,28 Metern. Die Anzeige auf dem Theaterkahn ist ein Hotspot von Schaulustigen mit Ortskenntnis. Genau hier an der Augustusbrücke wird der Dresdner Elbe-Pegel gemessen. Wenn die Straße unter der Brücke vom Flusswasser überspült wird, ist es ernst. Bei 5,27 Meter drückt die Elbe auf den Bürgersteig der flussabgewandten Seite unter dem Brückenbogen. Noch können die Schaulustigen unter der Brücke durch, ohne sich nasse Füße zu holen.

Weiße Flotte in der Zwangspause

Für Autofahrer ist das Terrassenufer bereits dicht. Sie müssen größere Umwege einplanen. Oberhalb des Kahns säumt sich die Weiße Flotte am Terrassenufer auf. Vier Schaufelraddampfer und zwei Salonschiffe sind zwischen Carola- und Augustusbrücke fest vertäut. Wenn die Stege zu den Schiffen nach oben gehen, ist die Elbe gut gefüllt. "Normalerweise" geht es abwärts an Deck. Noch kann man gerade so auf den Steg gelangen, so hoch steht das Wasser schon.

Manchem Mitarbeiter der Sächsischen Dampfschifffahrt hat das Hochwasser den Weihnachtsabend verhagelt. Der 24. ist der einzige Tag im Jahr, an dem alle freihaben. Doch am Sonntagabend um 21.44 Uhr schwappte die Elbe über die Kaimauer. Das ist das Signal im firmeneigenen Hochwasserschutz-Konzept. Zuerst musste noch in der Nacht das Ticket-Häuschen leer geräumt werden: Computer und andere Technik wurden gesichert.

Der Pegelstand der Elbe steigt weiter, viele Schaulustige beobachten die Anzeige auf dem Theaterkahn.
Der Pegelstand der Elbe steigt weiter, viele Schaulustige beobachten die Anzeige auf dem Theaterkahn. © René Meinig

Experten der Flotte beobachten die Entwicklung der Pegel in Tschechien, wussten daher früher, dass die Prognose des Landeshochwasserzentrums überholt war. "Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht", sagt Unternehmenssprecher Christoph Springer. Regen in Tschechien, Schmelze im Riesengebirge seien die Hauptursachen für die Wassermassen.

Derzeit stagnierten die Pegelstände in Schöna. Immerhin. Die bis Freitag geplanten Schiffsfahrten finden nicht statt, die Linienfahrten entfallen. Zum "Festtagslunch" und zu den "Winterlichtern" jedoch können Gäste die Schiffe entern, die Veranstaltungen finden "anliegend" statt. Am kommenden Wochenende, so hofft Springer, sollen die Dampfer wieder fahren.

"Aber so schlimm wie zwei wird es ni"

Den Stadtbummlern und Hochwasser-Fotografen genügen ein Blick auf die Dampfer und ein paar Fotos, dann laufen sie weiter. Ganze Scharen promenieren in der Innenstadt, umtänzelt und umkurvt von wenigen Joggern und Radsportlern, die offenbar schon dabei sind, ihren Festtagsbraten vom Heiligen Abend zu verbrennen.

Mittags spuckt die Hofkirche einen neuen Schwall Schaulustiger aus, die sich nach dem Gottesdienst an diesem ersten Weihnachtsfeiertag ein Bild vom Stand der Elbe machen wollen. Überrascht sind sie schon, die Prognosen hatten eigentlich besser geklungen. "Aber so schlimm wie zwei wird es ni", sagt eine ältere Dame und packt ihr Handy wieder ein und läuft weiter. Mit "zwei" meint sie das Jahrhunderthochwasser vom August 2002. Sie hätte auch "13" sagen können, auch 2013 gab es ein "Jahrhunderthochwasser", und viel öfter wurde die Elbe bei sogenannten Starkregenereignissen, bestimmten Wetterlagen oder Schneeschmelzen im Erzgebirge und Tschechien von Wassermassen wie jetzt heimgesucht. Ein Pegel jenseits der fünf Meter ist nichts Ungewöhnliches in der Stadt. Überraschende Prognosen, die eilig nach oben korrigiert werden, schon eher.

Erste Schutzmaßnahmen starten

Der "Radeberger Spezialausschank" steht für den beherzten Kampf gegen das Hochwasser. Die schmale Restauration klebt an der Stadtmauer unterhalb der Brühlschen Terrasse. Im Rücken Sachsens Oberstes Gericht und vorne Dresdens größte Gefahr. Jedenfalls für alle, die nah am Wasser gebaut sind. 2002 war der Kampf noch eine solidarische Aktion Hunderter Freiwilliger, die halfen, Dresdens Barock mit nächtlichen Schaufel-Aktionen vor der Flut zu retten. 2013 wurde auch noch mit Sandsäcken gearbeitet, ohne Erfolg. In späteren Jahren ergänzte eine ausgefeilte Hochwasserschutzwand den Schutz, die nun von Männern einer Spezialfirma errichtet wird. Tests waren erfolgreich, doch jetzt ist es Ernst.

Handwerker bauen erste Hochwasserschutzelemente auf.
Handwerker bauen erste Hochwasserschutzelemente auf. © SZ/Alexander Schneider

An diesem Weihnachtsmontagmittag ist es so weit. Erst kommen zwei Lkw mit Bauteilen, dann ein Radlader. Die Handwerker sperren den steilen Weg ab, legen die Verankerungen in der Festungsmauer und auf dem Straßenpflaster rund um das Lokal frei, denn stellen sie die Blanken auf. Dutzende Dresdner und Touristen verfolgen die Arbeiten der Helfer.

Die Mienen der Gastronomen sind angespannt. Der Pegel soll in den nächsten Tage über die Sechs-Meter-Marke ansteigen. "Ernst ist es immer", sagt ein Kellner, schon fast genervt. Doch der bangen Aussichten zum Trotz laufen die Geschäfte weiter. Wer hier im Warmen und Trockenen sitzt, hat den besten Blick auf die Wetterkapriolen draußen. Schließen ist keine Option. In dem Ausschank werden Gäste an diesen Tagen weiter versorgt, neue Kunden eingelassen.

Der Dresdner Weihnachts-Circus bangt

Eingelassen werden auch die Besucher des Dresdner Weihnachts-Circus auf dem Festplatz in der Pieschener Allee, gleich unter der Marienbrücke. Die zwei Montagsvorstellungen um 14 und 18.30 Uhr finden statt. Wie es am Dienstag jedoch weitergeht, ist ungewiss. "Gottesdienst am 26.12.2023 ABGESAGT" steht auf einem Blatt Papier am Kassenwagen. "Aus organisatorischen Gründen", erklärt ein freundlicher Kassierer hinter der Glasscheibe. Organisatorisch? Na ja, das hänge schon auch irgendwie mit dem Hochwasser zusammen, sagt er. Die Vorstellungen am Dienstag sollen, Stand jetzt, aber stattfinden. Gegen 13.30 Uhr steht der Pegel am Theaterkahn noch immer bei 5,28 Metern.

Die Gastwirte, Unternehmer und Artisten am Fluss eint, dass sie die Entwicklung der Pegel und der Prognosen genau verfolgen. Neben der Landeshochwasserzentrale informieren sich fiele auch über die Wasserstände in Tschechien. Das sei heute viel besser als bei früheren Hochwasser-Lagen, sagten sie.

Schweres Gerät am Fährgarten Johannstadt

Schweres Gerät ist auch am Johannstädter Fährgarten im Einsatz. Betreiber Jens Bauermeister dirigiert einen Kran, der die Riesenschirme aus dem Biergarten hebt und oberhalb des Elberadwegs ablegt. Etwa 20 Helfer haben schon am Sonntag angepackt, um das Gelände hochwassersicher zu machen. Die milden Temperaturen, die für ein gutes Weihnachtswochenende hätten sorgen können, sind nun der Anlass für die steigenden Pegel. Segen und Fluch.

Die Personenfähre "Elbflorenz" bringt hier niemanden mehr über den Fluss. Sie liegt festgemacht vor dem Biergarten, der Steg ist längst vom Wasser umspült. "Der Fährbetrieb ist zurzeit eingestellt" prangt in schwarzen Lettern auf einem orangefarbenen Plakat. "Wir bitten um Ihr Verständnis." Einige Meter Elbabwärts schrauben Mitarbeiter einer Firma die hölzernen Geräte auf den Piraten-Spielplatz ab, um auch diese Hindernisse vor dem Fluss in Sicherheit zu bringen.

Die letzte Hochwasser-Havarie liegt auch für Fährgartenbetreiber Bauermeister und sein Team zehn Jahre zurück. "Eine sehr nette Frau aus dem Umweltamt hat uns schon am Freitag informiert, die Elbe im Auge zu behalten", lobt der Wirt. So habe er sich schon zeitig um Helfer und Firmen kümmern können.

Doch die nach oben korrigierten Prognosen haben auch den Fährgarten kalt erwischt. Erst konnte man davon ausgehen, es reicht, die Keller leerzuräumen, um dann die Pumpen laufen zu lassen. Doch bei einer Prognose von sechs Meter und darüber bringen Pumpen nichts mehr. Schirme, Zelte, die Eisstockschieß-Anlage, alles muss vor der Elbe gesichert werden.

Auch im Fährgarten werden die Gäste weiter bedient. Mehrere Dutzend sind da, es ist ein Kommen und Gehen. Als es schon fast dunkel ist, schaut die Feuerwehr vorbei. Die Einsatzkräfte kontrollieren das Elbufer, wie es die Hochwasser-Alarmstufen vorsehen. Sie halten die Augen nach möglichen Gefahrenquellen offen.