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In Dresden auf der Reise zu sich selbst: "Ich bin kein Forrest Gump"

Der Holländer Mark Verdonschot befreit sich wandernd von Depression und Übergewicht. Dabei sammelt er Müll und pflanzt Bäume. Irgendwann will er 100.000 Kilometer gelaufen sein.

Von Nadja Laske
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Wandern für die mentale Gesundheit: Mark Verdonschot findet seinen Weg zum seelischen Wohlbefinden jeden Tag ein Stück mehr und ist vielen Menschen Inspiration.
Wandern für die mentale Gesundheit: Mark Verdonschot findet seinen Weg zum seelischen Wohlbefinden jeden Tag ein Stück mehr und ist vielen Menschen Inspiration. © Marion Doering

Dresden. Marks Traum war es, kein eigenes Haus zu haben. Das unterscheidet ihn von so vielen Menschen. Was ihn aber noch andersartiger macht: Er lebt seinen Traum. Jeden Tag, jede Etappe, jeden Atemzug in der Natur. Seit zwei Jahren ist der Holländer zu Fuß unterwegs. Insgesamt 100.000 Kilometer weit will er durch die Welt wandern, sie von Müll befreien und ein kleines bisschen grüner machen. Für ein paar Tage führte ihn sein Weg nun nach Dresden.

In kurzen Hosen, Funktionsshirt und Trekkingschuhen sitzt er in einer kleinen, gemütlichen Küche mitten in der Dresdner Neustadt, bei einem Freund, den er gerade erst gewonnen hat. Für ein paar Tage nahm der Dresdner Filmemacher und Autor Markus Weinberg den Reisenden bei sich zu Hause auf.

Reisen mit nicht ganz leichtem Gepäck

Mark ist es viel zu warm. Wenn er seine Herberge auf Zeit verlässt, wird er nicht mehr Kleidung und nur seine beiden Rucksäcke tragen - einen beinah 20 Kilogramm schweren auf dem Rücken und einen kleinen vor der Brust. Darin ist alles verstaut, was er in seinem ungewöhnlichen Alltag braucht: etwas Kleidung, Regencape, Waschzeug, Wasserfilter, Schlafsack und Isomatte, Propangaskocher mit Kochgeschirr, und sehr viel gesundes Essen. Nicht zu vergessen den Stoffbeutel voller gehäkelter Herzen in allen möglichen Farben.

Mark Verdonschot 102 Kilogramm schwer zu Beginn seiner Reise zu sich selbst.
Mark Verdonschot 102 Kilogramm schwer zu Beginn seiner Reise zu sich selbst. © privat

Die Haare stehen Mark zu Berge. Das gibt dem 40-Jährigen ein jungenhaftes Aussehen. Grüne Augen hinter eckigen Brillengläsern, weiß leuchtende Zähne im Vollbart. Als er sich Anfang 2021 auf seinen ganz persönlichen neuen Weg machte, hatte er sich den Traum ohne Haus bereits erfüllt. Damals wog er 102 Kilogramm, hatte seinen Job als Sozialarbeiter aufgegeben, zusammen mit seiner Freundin jedes Ding im gemeinsamen Eigenheim mit einem Preisschild versehen und alle Nachbarn, Bekannte und Freunde eingeladen, ihr bisheriges Leben zu kaufen.

Neunzig Prozent ihres gesamten Hab und Gutes machten die beiden zu Geld, den kleinen Rest verschenkten sie und reisten nach Neuseeland. Das war zwei Jahre vor der Idee, 100.000 Kilometer zu wandern. Corona lähmte bald die halbe Welt, doch die Aussteiger fanden ihre Schleichwege in Richtung Hoffnung auf ein neues Glück - das Mark zumindest nicht fand. "Es ging mir gar nicht gut, in unserer Beziehung nicht, mit meiner Lebenssituation nicht und auch nicht vor dem Hintergrund der aktuellen Lage", erinnert er sich. Doch was er bemerkt hatte, war die besondere Wirkung des Wanderns und des Lebens in der Natur.

"Ich dachte: Ich brauche mehr davon, doch in Neuseeland wollte ich nicht bleiben. Es zog mich zurück nach Europa." Zu dieser Zeit entwarf Mark sein neues Lebenskonzept, das er heute mit dem Slogan versehen hat: "Wandern ist die beste Medizin". Denn ein Heilmittel hatte er tatsächlich gesucht - Gesundung von seiner schweren, wechselhaften, zum Teil zerrütteten Biografie voller seelischem Schmerz, Depressionen und geprägt von Fluchtversuchen in den Alkohol, das Glücksspiel und ausschweifenden Sex.

Aus der Sehnsucht nach innerem Gleichgewicht wuchs Marks Plan, mental stabil zu werden, indem er im Gleichklang mit der Natur lebt. Körperliche Bewegung, Ruhe jenseits der urbanen Hektik, Zeit zum Nachdenken und Reflektieren, das alles tat ihm so gut, dass er mehr und mehr zu sich selbst fand.

Hauptsache, man ist okay mit sich selbst

Mehr als 7.000 Kilometer ist er im Laufe der vergangenen beiden Jahre gewandert. "Ich komme unterwegs mit den Menschen in Dörfern und Städten ins Gespräch, indem ich von meiner Reise erzähle und um Unterstützung bitte." Dabei geht es inzwischen nicht mehr nur um ihn selbst, sondern um die Welt. Denn Mark kam zu der Erkenntnis, dass es nicht reicht, nur so weit irgend möglich im Gleichklang mit der Natur zu leben.

"Ich sammle unterwegs Müll und Spenden für neue Bäume." Die lässt er in verschiedenen Ländern pflanzen. Auch darüber spricht er mit allen, die sich für seine Geschichte interessieren, und geben sie ihm ein wenig Geld für sein Projekt und einen Platz zum Schlafen für die nächste Nacht, dann schenkt er ihnen eins der kleinen Herzen, die er in seinem Rucksack bei sich trägt.

In seinem 20 Kilogramm schweren Rucksack trägt Mark Verdonschot alles mit sich, was er auf seinem 100.000 Kilometer langen Weg braucht.
In seinem 20 Kilogramm schweren Rucksack trägt Mark Verdonschot alles mit sich, was er auf seinem 100.000 Kilometer langen Weg braucht. © Marion Doering

Inzwischen wiegt Mark nur noch 76 Kilogramm und fühlt sich so wohl wie nie zuvor. "Ich bin zwar kein Forrest Gump", sagt er, "Aber ich wandere ohne feste Route einfach hin zum Leben und bin überzeugt davon, dass man zuerst mit sich selbst gut sein muss, bevor man es zu anderen Menschen sein kann."

Wann er die 100.000 Kilometer geschafft haben wird, kann er nicht bestimmt sagen, und es ist ihm auch nicht wichtig. Der Weg ist sein Ziel - weg von unguten Gefühlen, Stress und Neid. "Alle Leute sind dauernd gestresst, klagen darüber und manövrieren sich immer tiefer in Abhängigkeiten hinein", sagt er. Das mache sie unzufrieden.

Was wer am Ende vom Leben will, ist Mark gleich. "Es kann jemand ein großes Haus und viele Autos haben oder den ganzen Tag Cocktails am Strand trinken - Hauptsache, er ist okay mit sich." Dass viele Menschen es eben nicht sind, obwohl sie scheinbar alles haben, das stimmt ihn nachdenklich. "Aber wenn man es anders haben will, dann muss man eben losgehen und es anders machen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht."