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Dresdens Sozialbürgermeisterin: "Die Stadt kann den Zuzug von Geflüchteten nicht begrenzen"

Dresden hat erhebliche Probleme, Geflüchtete in der Stadt unterzubringen. Im Interview spricht Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) über den Schutz der Geflüchteten, teure Mieten und Prognosen für 2024.

Von Julia Vollmer & Andreas Weller
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Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann spricht im Interview über die Prognosen auch für 2024.
Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann spricht im Interview über die Prognosen auch für 2024. © Sven Ellger

Dresden. In der Nacht zum 30. September hatten Unbekannte versucht, eine geplante Flüchtlingsunterkunft an der Alexander-Herzen-Straße in Brand zu setzen. Die Täter kletterten über einen Zaun und schütteten eine brennbare Flüssigkeit an die Fassade des Gebäudes und entzündeten sie. In der gleichen Woche wurden ein Fenster im Gebäude eingeschmissen. Im Interview spricht Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) über den Schutz der Geflüchteten, teure Mieten und Prognosen für 2024. Im Interview spricht Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) über die Suche nach Objekten zur Unterbringung von Geflüchteten, die Anfeindungen von rechten Pöblern und die steigenden Kosten im Bereich Asyl.

Frau Kaufmann, es gab Ende September erfolgte und versuchte Anschläge auf die geplante Geflüchteten-Unterkunft in Klotzsche. Wie wollen Sie die Menschen in den Unterkünften davor schützen in Zukunft?

Die Anschläge auf die geplante Unterkunft in der Alexander-Herzen-Straße, die ab August 2024 in Betrieb gehen soll, befremden mich sehr. Das hat mit Meinungsäußerung nichts zu tun. Das ist einfach nur kriminell und wird für die Täter entsprechende Konsequenzen haben.

Die Unterkunft war glücklicherweise noch unbewohnt. Aber konkret: Wie sollen künftig die Geflüchteten vor einem möglichen Anschlag geschützt werden?

Verschiedene Sicherheitsmaßnahmen wurden ergriffen, zum Beispiel Einzäunung, Videoüberwachung, Notrufsystem, Polizeistreifen. Für bewohnte Unterkünfte gibt es Sicherheitskonzepte. Ein Wachdienst ist sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag vor Ort. Leider müssen wir diesen Aufwand betreiben. Die Unterbringung der Geflüchteten in Unterkünften wie dieser ist allemal besser als in Turnhallen. Um es klar zu sagen: die Stadt Dresden kann den Zuzug von Geflüchteten nicht begrenzen. Wir werden alle Geflüchteten, die uns die Landesdirektion zuweist, angemessen und mit hohem Schutz in unserer Stadt unterbringen.

Geflüchteten-Initiativen, aber auch Politikerinnen und Politiker sowie Journalistinnen und Journalisten sind aktuell wieder vermehrt Beschimpfungen von rechten Gruppen ausgesetzt. Welche Erfahrungen mussten Sie zuletzt machen?

Ich erlebe in den Quartieren, in denen bereits Geflüchtete leben, eine große Offenheit. Wie 2015 werden Menschen füreinander aktiv und unterstützen neue Nachbarinnen und Nachbarn. Willkommensinitiativen haben sich wiedergefunden und kümmern sich um die Menschen. Das ist toll und ich bin sehr dankbar dafür. Auf der anderen Seite gibt es auch Pöbler und Schimpfer mit rassistischen Ressentiments. Ihr Vokabular ist zum Teil sehr befremdlich und das ist nicht zielführend. Wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in den Staat nicht verlieren. Dazu müssen wir Probleme konsequent angehen und Lösungen entwickeln.

Sie suchen seit Monaten händeringend nach Objekten, um die Menschen unterzubringen. Wie ist der aktuelle Stand? Müssen Sie im schlimmsten Fall wieder auf die Unterbringung in Turnhallen zurückgreifen?

Die Belegung von Turnhallen und der Messe steht aktuell nicht zur Debatte, aber gänzlich ausschließen kann ich es leider nicht. Es wird ein schwieriger Herbst, das ist klar. Bis Jahresende erwartet Deutschland bis zu 300.000 Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Das sind in Summe 2.200 Geflüchtete für Dresden.

Seit Anfang des Monats erreichen uns täglich Bilder aus Israel und Gaza mit Todesopfern und verletzten Menschen. Sind schon Menschen aus Israel und Gaza in Dresden angekommen?

Bei uns kommen aktuell noch keine Schutzsuchenden aus Israel beziehungsweise den palästinensischen Gebieten an. Die Nachrichten zeigen allerdings deutlich, dass hunderttausende Vertriebene ihre Heimat verlassen haben. Noch ist es zu früh für eine Prognose, aber wenn die Menschen kommen, müssen und werden wir uns um sie kümmern.

Wie viele Plätze gibt es aktuell noch zur Unterbringung und wie viele Menschen erwarten Sie nach jetzigem Stand bis Jahresende?

Momentan haben wir noch ausreichend Platz zur Unterbringung. 880 Menschen erwarten wir noch bis Jahresende. Aktuell kommen wöchentlich etwa 80 Menschen nach Dresden. Ab November soll die Zahl steigen. Wir brauchen noch 114 neue Plätze bis Jahresende.

Wo und wie wollen Sie noch Kapazitäten schaffen?

Wir müssen einerseits die Menschen, die einen Aufenthaltstitel haben, schneller auf dem Wohnungsmarkt integrieren. Das schafft freie Plätze in den Unterkünften. Andererseits suchen wir weiter Wohnungen für Geflüchtete. Eigentümer und Vermieter finden alle Informationen zu den gesuchten Wohnungen unter www.dresden.de/asylunterkunft-melden. Und im Januar gehen die sechs mobilen Standorte an den Start, das sind 505 Plätze.

Es gibt kaum Wohnungen und die Mieten sind stark gestiegen.

Ich habe eine Weisung an das Jobcenter und das Sozialamt erlassen, dass wohnungslose Menschen und Geflüchtete, die sich nachweislich um Wohnungen bemühen und keine finden, übergangsweise auch zu höheren Kosten mieten dürfen. Das hilft schon mal weiter. Außerdem geht die Unterkunft in Alttorna in der kommenden Woche an den Start. Es gibt noch ein paar freie Plätze im Eventwerk und in den Wohnungen rund um den Wettiner Platz. Wir stocken die Plätze in den Heimen und Wohnungen auf und forcieren die angesprochene Vermittlung auf den Wohnungsmarkt. 80 Prozent der Menschen, die aktuell kommen, erhalten einen Aufenthaltstitel. Diese Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlinge brauchen dann Wohnungen, Sprachkurse und Plätze in Schulen und Kitas für ihre Kinder.

Gibt es Fortschritte bei der Zusammenarbeit mit den Ortschaften bei der Suche nach Flächen und Objekten?

Es gibt nichts Neues. An Wohnungsangeboten und Flächen für mobile Raumeinheiten mangelt es nach wie vor.

Der Ausländerrat hat zuletzt vorgeschlagen, eine Unterbringungspauschale für Dresdnerinnen und Dresdner zu zahlen, die geflüchtete Menschen unterbringen. Ist das nicht eine Option?

Ja, die Gastfreundschaftspauschale ist eine Option. Unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen ist sie für ukrainische Geflüchtete möglich. Das Prinzip ist auch übertragbar auf andere Geflüchtete. Die Empfänger der Pauschale, also diejenigen, die Geflüchtete in ihrer Wohnung aufnehmen, dürfen allerdings keine Sozialleistungsempfänger sein. Das Sozialamt prüft bereits, wie die Gastfreundschaftspauschale für Bleibeberechtigte und Geflüchtete mit Duldung umgesetzt wird. Das sollte bald geklärt sein.

Wie entwickeln sich die Kosten für Unterbringung und Betreuung?

Die Kosten steigen, vor allem wegen höheren Ausgaben für Wohnen und Energie und weil wir mehr Menschen unterbringen, versorgen und betreuen müssen. Das konnte bei der Haushaltsplanung niemand vorhersehen. Der Haushalt 2023/2024 wurde ja 2021, lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, aufgestellt. Die Kosten belaufen sich allein in diesem Jahr auf insgesamt 96 Millionen Euro, davon sind 41 Millionen Euro Mehraufwendungen.

Wie lautet denn die aktuelle Prognose für das kommende Jahr?

Das rechnen unsere Sozialplaner und Haushaltsexperten gerade durch. 2024 kalkulieren wir mit mehr Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, die uns die Landesdirektion zuweist, nach jetzigem Stand insgesamt 2.400. Fakt ist, dass es auch 2024 einen finanziellen Mehrbedarf gibt. Die Details teilen wir gegen Ende des Jahres dem Stadtrat mit. Unser großes Problem ist, dass das sächsische Erstattungssystem die Großstädte massiv benachteiligt.

Was heißt das konkret für Dresden?

Jeder weiß, dass die Unterkunftskosten in Dresden und Leipzig höher sind als im Umland. Unsere Ausgaben liegen über dem Landesdurchschnitt, aber die Asylpauschale ist für alle Landkreise und kreisfreien Städte gleich. Die Pauschale bildet die Pro-Kopf-Durchschnittskosten aller Kommunen ab. Unterm Strich erhält Dresden nur für einen Teil seiner Ausgaben eine Erstattung vom Freistaat. Für den Rest muss Dresden selbst aufkommen.

Wie hoch sind denn diese "Rest"-Kosten genau?

2022 waren das knapp 5.200 Euro pro Person. Das ist total ungerecht. Ich erwarte, dass die Landesregierung das Erstattungssystem nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz umgehend reformiert. Außerdem benötigen wir schnell Klarheit bei den Fördermitteln für den sozialen Wohnungsbau. Im Grunde sind sich alle Akteure einig, dass es mehr staatliche Hilfen braucht, damit der Neubau wieder in Gang kommt. Nur mit mehr bezahlbaren Wohnungen können wir den Druck vom Dresdner Wohnungsmarkt nehmen und den Kostenanstieg mittel- bis langfristig etwas mildern.