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Dresdner Jugendamtsleiterin: "Wir sind am Limit und darüber hinaus"

Jugendamtschefin Sylvia Lemm über die gehäuft in Dresden auftretenden Überfälle von Jugendlichen auf Jugendliche und die hohe Zahl an Inobhutnahmen.

Von Julia Vollmer
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Die kommissarische Leiterin  des Jugendamtes Sylvia Lemm.
Die kommissarische Leiterin des Jugendamtes Sylvia Lemm. © Sven Ellger

Dresden. Über 200 Überfälle auf Jugendliche hat die Polizei seit Dezember in Dresden gezählt. Die Dresdner Jugendamtsleiterin Sylvia Lemm über die Motivation der Täter, den teilweise fehlenden Schulbesuch und die kritische Lage im Kinder- und Jugendnotdienst.

Frau Lemm, seit Monaten gibt es immer wieder Überfälle von Jugendlichen auf Jugendliche. Wo sehen Sie die Ursachen für diese Häufung?

Wir haben nicht in jedem Fall eine genaue Kenntnis zu den Hintergründen. Machtdemonstration spielt sicher eine Rolle. Wie stark bin ich? Wie stark bin ich in der Gruppe? Es gehört bis zu einem gewissen Punkt auch zur Entwicklung von Jugendlichen, sich auszutesten. Jungs und Mädchen sind da verschieden, Mädchen nutzen für die Präsentation in der Gruppe eher die sozialen Medien und den verbalen Austausch. Die physische Machtdemonstration in der Gruppe beobachten wir eher bei Jungs.

Welche Rolle spielt dabei die fehlende Tagesstruktur? Unter den Tätern und Tatverdächtigen sind auch Jugendliche, die keine Schule besuchen.

Von den uns bisher bekannten Tätern kämpfen etwa 50 Prozent mit Schulabsentismus, also besuchen nicht oder nicht regelmäßig die Schule. Das heißt aber auch 50 Prozent gehen regelmäßig zum Unterricht.

Mussten Sie schon Jugendliche, die immer wieder zum Täter werden, in Obhut nehmen aufgrund der Überfälle?

Nicht aus diesem Grund. Wenn es nötig ist, unterstützen unsere Sozialarbeitenden die Familien mit Hilfen zur Erziehung. Kriminalität ist für den Fokus der Jugendhilfe eher eine Nebenerscheinung, wir schauen bei den Familien dann auf andere Probleme wie Vernachlässigung und Überforderung. Und fragen: Wie können wir hier unterstützen?

Wie gehen Sie als Jugendamt konkret vor, wenn ein Jugendlicher wiederholt zum Täter wird?

In Einzelfällen gibt es Konferenzen zum Fall mit Polizei, Schule und Jugendamt. Wir brauchen die Schulen insbesondere an Bord, wenn Schulabsentismus ein Thema ist. Hier müssen wir ansetzen.

Helfen kann auch die Jugendgerichtshilfe. Wie funktioniert das genau?

Hier gibt es das Interventions- und Präventionsteam, das Gespräche mit den Jugendlichen und den Eltern führt, berät und hilft. Darüber hinaus erhalten junge Menschen Hilfe bei richterlich angeordneten Konsequenzen wie zum Beispiel Sozialstunden.

Wie erfolgreich sind diese Maßnahmen? Wie viele Täter werden zu Wiederholungstätern?

Hier kann ich noch keine Zahlen nennen, dafür müsste man langfristig auf die Entwicklung schauen.

Welche Konsequenzen drohen denn den Tätern langfristig, wenn die Maßnahmen der Jugendgerichtshilfe nicht greifen?

Die Ausstellung eines Führerscheins kann im Zweifelsfall problematisch werden, wenn es viele Einträge im Strafregister gibt. Auch wer später einmal zum Beispiel bei der Polizei oder in der Jugendhilfe arbeiten will, sollte ein eintragungsfreies Führungszeugnis haben. Bei künftigen Arbeitgebern kommt es sicher nicht gut an, wenn ein Aufenthalt in einer Jugendstrafvollzugsanstalt im Lebenslauf steht.