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Pflege in Dresden: Als Schwester Heike noch die gelbe Simson fuhr

Seit mehr als 40 Jahren versorgt Heike Eckermann alte und kranke Menschen daheim: in der DDR zu Fuß und mit dem Rad, dann mit dem Motorrad und nun als Pflegedienstleiterin. Ein Traumberuf fürs Leben.

Von Nadja Laske
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Seit vier Jahrzehnten im Job: Die Dresdnerin Heike Eckermann kennt ihren Beruf als rasende Krankenschwester, ambulante Pflegerin und Chefin beim ASB in Dresden.
Seit vier Jahrzehnten im Job: Die Dresdnerin Heike Eckermann kennt ihren Beruf als rasende Krankenschwester, ambulante Pflegerin und Chefin beim ASB in Dresden. © Matthias Rietschel

Dresden. Als Heike Eckermann begann, für kranke und alte Menschen da zu sein, knatterte Schwester Agnes schon seit einigen Jahren mit ihrer weißen Schwalbe über Land. Damals war sie als Filmfigur so bekannt und beliebt, wie Schwester Heike es später in ihrer Region auch werden würde. Doch bis dahin brauchte es noch einige Zeit, Lehrjahre, Erfahrungen und glückliche Fügungen.

In Heike Eckermanns Büro beim ASB in Cossebaude hängt ein riesiges Bild an der Wand: Ostseelandschaft mit aufgeklebten Muscheln. Hommage an ihre alte Heimat Usedom. Dort ist die 61-Jährige geboren und groß geworden, auf dem Land bei Heringsdorf lag ihr Kindheitsidyll, an das sie gern zurückdenkt. "Am liebsten wäre ich Laborantin geworden", erzählt sie. Doch diese Lehrstellen waren sehr knapp, und sie folgte dem Vorschlag, eine Ausbildung zur Krankenschwester zu wählen.

Heike Eckermann ist Anpackerin mit sonnigem Gemüt

Wer Heike Eckermann heute erlebt, kann sich nichts Besseres vorstellen. Statt zwischen Petrischalen und Reagenzgläser gehört die Anpackerin mit Organisationstalent und sonnigem Gemüt unter Menschen - und zwar zu solchen, denen es besonders viel Kraft gibt, jemanden wie sie zur Seite zu haben. Einige davon öffnen gerade die Tür der ASB-Sozialstation Cossebaude, deren Pflegedienstleiterin Heike Eckermann seit fünf Jahren ist.

Ältere Frauen und Männer kommen gegen Mittag ins Begegnungszentrum, um dort gemeinsam Mittag zu essen. Gesundheitliche und soziale Pflege gehen hier Hand in Hand. Einen großen Schreibtisch, Computerprogramme und Verantwortungen als Leiterin zu haben, das konnte sich Heike Eckermann lange nicht vorstellen.

Während ihres Fachschulstudiums mit Praxis im Krankenhaus Wolgast hatte sie ihren Mann kennengelernt. Er diente bei der Marine und stammte aus Dresden. Die beiden heirateten sehr jung, wie damals nicht unüblich, und so kam die gerade ausgelernte Krankenschwester mit dickem Babybauch, Kinderwagen und Koffer als "Fischkopp" zu den sächsischen Landratten.

Die Stadtteile bereist sie wie Schwester Agnes als Gemeindeschwester

Dass die sie so freundlich aufnahmen, lag an Heike Eckermanns Wesen und an einem glücklichen Umstand: "Meine Schwiegermutter betrieb einen Schreibwarenladen, in dem ich während meiner halbjährigen Babypause aushalf und dadurch mit ganz vielen Kunden in Kontakt kam." So legte sie rasch den Grundstein für ihre Verwurzelung in Cossebaude und den benachbarten Stadtteilen, die sie später kreuz und quer wie Schwester Agnes als Gemeindeschwester bereisen würde - zunächst zu Fuß und mit Fahrrad, später deutlich kraftvoller.

Doch zunächst nahm sie eine Stelle als Sprechstundenhilfe an. "Da musste ich zweimal pro Woche bis 19 Uhr arbeiten. Mit Kind und Mann im Dreischichtdienst wurde das irgendwann unmöglich." Die nächste Station war eine Kinderkrippe, die damals zum Gesundheitswesen gehörte und Mitarbeiter brauchte. "Aber ich habe immer deutlich gemacht, dass ich bald wieder in meinem richtigen Beruf arbeiten möchte."

Mit der Simson von Termin zu Termin

Endlich gab es für den Traumjob die passende Traumstelle: als Gemeindeschwester. Zwischen Gohlis und Oberwartha, Stetzsch und Mobschatz fuhr Heike Eckermann nun zu Patienten, die daheim versorgt werden mussten. Zwischen null und 100 Jahren seien sie alt gewesen, erzählt sie. Denn auch Schwangere und junge Mütter mit ihren Babys gehörten dazu. Sie deckte Sprechstunden bei Ärzten ab, begleitete Reihenuntersuchungen in Betrieben und Schulen und war bald noch weiter bekannt. Weil Telefone nicht gerade verbreitet waren, schrieb sie Patienten Postkarten und kündigte sich an. Einen Kaffee gab es meistens, manchmal sogar Hefeklöße.

Wo heute die kleinen Flitzer des ambulanten Pflegedienstes in kürzester Zeit zum Ziel kommen, lief Heike Eckermann über Berg und Hügel oder strampelte sich auf dem Fahrrad ab. "Das wurde mir irgendwann so beschwerlich, vor allem bei Wind und Regen, dass ich ein Projekt anging, dass ich früher abgelehnt hatte: die Fahrerlaubnis."

Terminvergabe per Postkarte

Schon als Lehrling hätte sie die Möglichkeit gehabt, Auto fahren zu lernen. "Aber ich hatte absolut keinen Zugang dazu, obwohl mein Mann mich immer unterstützen wollte." Nun legte ihr ein Bekannter nahe, den Motorradführerschein zu absolvieren. Schwalben gab es, ja. Auch andere Mopeds. Etwas mehr Power aber durfte ein Gefährt schon haben, mit dem Heike Eckermann auf Tour ging. "Mir wurde ein Kleinstmotorrad empfohlen, das ich dann auch bekam, und zwar eine S70", erzählt sie. Die Simson war strahlend gelb und wurde neben allem, was Heike Eckermann als Gemeindeschwester ausmachte, zu ihrem Markenzeichen.

Heute steigt sie in eins der weißen Autos mit der rot-gelben Aufschrift ASB Arbeiter Samariter Bund und macht sich zu den Patienten auf den Weg, im sonnengelben Kasack. Bei Not am Mann springt sie ein. "Wir hatten in letzter Zeit so viele kranke Kollegen, da bin ich natürlich auch mit rausgefahren", sagt die Pflegedienstleiterin.

Seit nach der Wende der neue Träger ihr Arbeitgeber wurde, hat sich viel verändert - das meiste zum Guten. "Dazu zähle ich die um Längen besseren Materialien und Hilfsmittel in der Pflege und inzwischen auch die Bezahlung." Außerdem arbeiten endlich auch zahlreiche Männer in ihrer Branche, die in der DDR eine absolute Frauendomäne war.

Dass heute Zeit und Geld eine deutlich wichtigere Rolle spielen, auch wenn es um die Zuwendung für kranke und alte Menschen geht, bedauert Heike Eckermann. Bürokratische Zwänge und Personalmangel machen die Arbeit nicht gerade leichter. "Doch wir sind ein sehr gutes Team, gut etabliert und angenommen und begleiten in mancher Familie schon die nächste Generation." Der Traumberuf hat Jahrzehnte und politischen Wandel überdauert - ob Schwester Agnes oder Heike, mit Simson oder Schwalbe, in Weiß oder Gelb oder eben auf Tour mit den kleinen Flitzern, die zum Leben in der Stadt gehören.