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Dresdner Weihnachtszirkus zwischen atemberaubender Artistik und Archaik

Ein begeistertes Premierenpublikum und jede Menge Promis haben das Chapiteau des Dresdner Weihnachtszirkus mit altem Glanz erfüllt. Doch der Wandel der Wunderwelt wirkt unaufhaltsam.

Von Nadja Laske
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Die 19-jährige Daniella Arata aus den USA begeistert mit ihren scheinbar nicht vorhandenen Knochen und schickt ihren Pfeil in sehr ungewöhnlicher Weise auf die Reise.
Die 19-jährige Daniella Arata aus den USA begeistert mit ihren scheinbar nicht vorhandenen Knochen und schickt ihren Pfeil in sehr ungewöhnlicher Weise auf die Reise. © René Meinig

Dresden. Verständnislose Blicke ringsum. So derart verdattert schaut das Publikum am Premierenabend nur einmal: Wo bitte ist die zersägte Blondine hin? Schlauberger hatten gemeint, sie verstecke sich im Treppchen unter ihrem Schafott. Aber nein! Scott, der Sägenmann, nimmt ihnen diese Illusion mit einer noch viel besseren, die wohl jeden Zuschauer grübelnd zurücklässt. Die perfekte Nummer. Zumindest im Zirkus alter Schule, in dem es eben die Frauen sind, die zersäbelt werden.

Weniger gefährlich leben sie als Staffage der Artisten. Da dürfen sie knicksen und lächeln und winken und Messer reichen. Allesamt in glitzrigen Lycra-Leggins und kurzen Röckchen. Was fürs Auge halt. Nicht wirklich schlimm, weil ästhetisch. Aber der Klapps auf den Hintern? Irgendwie schleicht sich doch ein Zweifel in dieses archaische Metier: Ist das alles noch zeitgemäß?

Das Moderatorenpaar des Abends: Linda Feller und Wolfgang "Lippi" Lippert: Die beiden hatten ordentlich Lampenfieber. Bühne sind sie zwar gewöhnt und Profis im Rampenlicht, doch die Manege war ihnen ein ungewohntes Metier.
Das Moderatorenpaar des Abends: Linda Feller und Wolfgang "Lippi" Lippert: Die beiden hatten ordentlich Lampenfieber. Bühne sind sie zwar gewöhnt und Profis im Rampenlicht, doch die Manege war ihnen ein ungewohntes Metier. © Christian Juppe

Da spricht noch niemand von Tieren. Die hat die Politik, angetrieben von Tierschützern, schon länger auf dem Kieker. Thema Wildtierverbot. Am Premierenabend des 25. Dresdner Weihnachtszirkus haben sich Demonstranten neben der leuchtenden Zeltstadt auf dem Volksfestgelände versammelt. Dort halten sie Plakate hoch und kommen mit ihrem Trommeln doch nicht gegen die Stimmungsmusik im Zelt an. Aber sie sind da und mit ihnen die Frage: Ist das alles noch zeitgemäß?

Auf das Stehen in der Kälte waren die Demonstranten von verschiedenen Tierschutzorganisationen, unter anderen Peta, vorbereitet. Sie appellierten daran, das Vorführen von Tieren im Zirkus als Tierquälerei zu untersagen. Im Zelt war von ihnen jedoch nichts
Auf das Stehen in der Kälte waren die Demonstranten von verschiedenen Tierschutzorganisationen, unter anderen Peta, vorbereitet. Sie appellierten daran, das Vorführen von Tieren im Zirkus als Tierquälerei zu untersagen. Im Zelt war von ihnen jedoch nichts © Christian Juppe

Ist es nicht. Eigentlich gar keine Frage. Doch der Zauber ist groß, und so gern lassen sich nach zwei Jahren Corona-Zwangspause die Menschen von der Zauberwelt Zirkus umfangen. Die ist eben auch wirklich schön: Glanzvoll, bunt, schillernd, aufregend. Das ganze Gegenteil vom Alltag, zumal in dieser angespannten Zeit. Der Sog zu denken: Hier ist die Welt noch in Ordnung. Doch man muss weder Feminist noch Tierschützer sein, um ein Unbehagen zu spüren.

Dass alle Künstler, die das hochkarätige Programm des Dresdner Weihnachtszirkus gestalten, achtenswerte Leistungen erbringen - unbenommen. Da ist Daniella Arata aus den USA, die nicht nur eine schön anzusehende und sportlich beeindruckende Darbietung zeigt, sondern auch mit einem goldflitterigen Knall die Manege verlässt, nachdem ihr Pfeil rückwärtig traf.

Die Nachfolge ist gesichert: Clown Totti Alexis mit seinen beiden Söhnen, die ihn bei seinen Nummern souverän unerstützen. Das kleinste Kind, ein Töchterlein, ist ein Baby und noch zu klein für einen solch langen Abend.
Die Nachfolge ist gesichert: Clown Totti Alexis mit seinen beiden Söhnen, die ihn bei seinen Nummern souverän unerstützen. Das kleinste Kind, ein Töchterlein, ist ein Baby und noch zu klein für einen solch langen Abend. © René Meinig
Joszef Richter und seine Zirkusgruppe aus Ungarn bringt Feuer in die Manege. Per Schleuderbrett fliegen sie durch die Luft und formieren sich zu Pyramiden.
Joszef Richter und seine Zirkusgruppe aus Ungarn bringt Feuer in die Manege. Per Schleuderbrett fliegen sie durch die Luft und formieren sich zu Pyramiden. © René Meinig
Mädchen kommen ins Schwärmen - weniger wegen Dompteur Joszef Richter, sondern wegen seiner wunderschönen Pferde.
Mädchen kommen ins Schwärmen - weniger wegen Dompteur Joszef Richter, sondern wegen seiner wunderschönen Pferde. © René Meinig
Da gerät das Herz ins Stocken: Wenn die Artisten der Gruppe The Robles aus Kolumbien auf dem Seil wandeln und sogar Rad fahren, herrscht höchste Anspannung.
Da gerät das Herz ins Stocken: Wenn die Artisten der Gruppe The Robles aus Kolumbien auf dem Seil wandeln und sogar Rad fahren, herrscht höchste Anspannung. © René Meinig
Kraftvoll und elegant fliegt Patrick Marinelli an den Strapaten durch die Luft. Was ganz leicht und elegant aussieht, verlangt sehr viel Muskelspannung.
Kraftvoll und elegant fliegt Patrick Marinelli an den Strapaten durch die Luft. Was ganz leicht und elegant aussieht, verlangt sehr viel Muskelspannung. © René Meinig
Nicht nur für die Darbietung junge Artistin Daniella Arata spielt das Orchester live. Es begleitet alle Vorstellungen und ist damit eine echte Besonderheit.
Nicht nur für die Darbietung junge Artistin Daniella Arata spielt das Orchester live. Es begleitet alle Vorstellungen und ist damit eine echte Besonderheit. © René Meinig

Ebenfalls kraftvoll und formvollendet schwingt sich ihr Landsmann Patrick Marinelli an seinen Strapaten hoch über den Köpfen der Zuschauer durchs Chapiteau. Rasant fliegen die Artisten rund um Joszef Richter per Schleuderbrett durch die Luft und stapeln sich zu Pyramiden auf - eine Performance, die mit Fröhlichkeit und Temperament einfach Spaß macht.

Auch stockender Atem darf nicht fehlen. Patrick und Josue Marinelli sorgen mit ihrem Salto Mortale auf dem Rad des Todes dafür. Ebenso das kolumbianische Ensemble The Robles mit einem wahren Drahtseilakt in schwindelerregenden Höhe. Jongleur Michael Ferreri aus Spanien steht mit seinen 390 Ballkontakten bei einer Jonglage mit fünf Bällen im Guinnessbuch der Rekorde.

Ein Zirkusmann vom alten Schlag: Zirkusdirektor Mario Müller Milano hat den Weihnachtszirkus einst gerettet und über Jahre geprägt. Nun zieht er sich bald zurück. Seine Frau Giesela gestaltet den Zirkus inzwischen maßgeblich mit.
Ein Zirkusmann vom alten Schlag: Zirkusdirektor Mario Müller Milano hat den Weihnachtszirkus einst gerettet und über Jahre geprägt. Nun zieht er sich bald zurück. Seine Frau Giesela gestaltet den Zirkus inzwischen maßgeblich mit. © Christian Juppe

Dass es unter Leitung Mario Müller-Milanos keinen tierfreien Zirkus geben wird, gilt als in Stein gemeißelt. Der Retter und Gestalter des Dresdner Weihnachtszirkus ist ein Zirkusmann alter Schule, ein leidenschaftlicher, hoch anspruchsvoller Programmmacher, dem die Manege in den Genen liegt.

Zirkusgenerationen haben ihn geprägt. Seine Mutter Sonja war mit ihrer Löwen-Nummer weltberühmt und wurde von ihrer Lieblingslöwin schwerstverletzt, als diese unvermittelt das Maul schloss, in das die Dompteurin ihren Kopf gelegt hatte. Wenn Dressuren missglücken, hat der Artist einen Fehler gemacht, so Müller-Milano. Das ist sicher richtig. Genau so wie Artisten die Liebe zu ihren Tieren und die Sorge um deren Wohl nicht abzusprechen ist.

Mit einer satten Stunde Verspätung fing das Premierenprogramm am Donnerstagabend an. Es gab eine lange Schlange am Eingang, und die Gäste standen zum Teil eine habe Stunde lang an.
Mit einer satten Stunde Verspätung fing das Premierenprogramm am Donnerstagabend an. Es gab eine lange Schlange am Eingang, und die Gäste standen zum Teil eine habe Stunde lang an. © Christian Juppe

Und doch mischt sich ein Unwohlsein in die Faszination, die von galoppierenden Rappen und parierenden Raubkatzen ausgeht, von Männchen machenden Elefanten und all den Tieren, die in Manegen vorgeführt werden. Früher wurden Menschen anderer Kulturen bestaunt und Handikaps dem Gelächter des Publikums preisgegeben. Das ist Gott sei Dank vorbei. Muss man wirklich glühender Tierfreund sein, um nicht mehr zu wollen, dass uns diese Wesen zur Unterhaltung zur Verfügung stehen?

Der Manager Andreas Uhlig, der Künstler Kay Leo Leonhardt und Schauspieler Wolfgang Stumph mit Familie sind feste Größen unter den Premierengästen und voller Freude, sich nach zweijähriger Corona-Pause in diesem Rahmen endlich wiederzusehen.
Der Manager Andreas Uhlig, der Künstler Kay Leo Leonhardt und Schauspieler Wolfgang Stumph mit Familie sind feste Größen unter den Premierengästen und voller Freude, sich nach zweijähriger Corona-Pause in diesem Rahmen endlich wiederzusehen. © Christian Juppe
Zora Schwarz, Chefin des Varietétheaters Carte Blanche, war mit ihrem neunjährigen Sohn Milan auf der Premiere und begeistert. Am 8. Januar gastiert sie mit ihrem Ensemble im Zirkuszelt auf dem Volksfestgelände.
Zora Schwarz, Chefin des Varietétheaters Carte Blanche, war mit ihrem neunjährigen Sohn Milan auf der Premiere und begeistert. Am 8. Januar gastiert sie mit ihrem Ensemble im Zirkuszelt auf dem Volksfestgelände. © Christian Juppe
Künstler und Galerist Holger John immer zu enem Scherz aufgelegt. Voller Ernst erzählt er später, was als Kind seine Berufswünsche waren: Klavierspieler, Vagabund, Zuckerbäcker - und Clown im Zirkus. "Irgendwie bin ich alles ein bisschen geworden", sagt er.
Künstler und Galerist Holger John immer zu enem Scherz aufgelegt. Voller Ernst erzählt er später, was als Kind seine Berufswünsche waren: Klavierspieler, Vagabund, Zuckerbäcker - und Clown im Zirkus. "Irgendwie bin ich alles ein bisschen geworden", sagt er. © Christian Juppe
Zwei große Freunde des Fantastischen: Pantomime Rainer König und Lichtkünstler und Theatermacher Tom Roeder beobachteten etwas abseits den Premieren-Rummel des Sehens und Gesehen-Werdens.
Zwei große Freunde des Fantastischen: Pantomime Rainer König und Lichtkünstler und Theatermacher Tom Roeder beobachteten etwas abseits den Premieren-Rummel des Sehens und Gesehen-Werdens. © Christian Juppe

Mag der Dresdner Weihnachtszirkus in diesem Jahr noch all das sein, was er immer war: ein klassischer Zirkus voller Glanz und Geruch nach Sägespänen, Peitschenknallen, knicksenden Damen, tänzelnden Pferden, rüsselnden Elefanten. Aber dann ist auch genug damit. Dann muss er sich neu erfinden - für die jungen Zuschauer, die anders ticken als die alten und die Faszinierten von morgen sein wollen.

Tickets unter 0180 3302330 sowie am Kassenwagen und auf www.dwc.de