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Rudolf Harbig - der Weltrekordmann aus Dresden

An Rudolf Harbig erinnert in Dresden nur der Name des Fußballstadions. Doch wer dieser Sportler war, der vor 110 Jahren geboren wurde, ist weitgehend in Vergessenheit geraten.

Von Ralf Hübner
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„Die Uhr muss kaputt sein“: Dresdner Rekordläufer Rudolf Harbig. Er stellte zwischen 1939 und 1941 mehrere Weltrekorde über verschiedene Distanzen auf.
„Die Uhr muss kaputt sein“: Dresdner Rekordläufer Rudolf Harbig. Er stellte zwischen 1939 und 1941 mehrere Weltrekorde über verschiedene Distanzen auf. © Archivfoto

Dresden. Sportlich ist in Dresden meist vom Fußball die Rede. Doch Rudolf Harbig, Läufer des Dresdner Sport-Clubs, hat die Stadt vor dem Krieg auch zu einer Hochburg der Leichtathletik gemacht. Er ist bis jetzt der weltweit einzige Mittelstreckler, der über die Distanzen von 400, 800 und 1.000 Metern gleichzeitig die Weltrekorde inne hatte. Doch ein Titel bei Olympischen Spielen blieb ihm verwehrt. 2008 wurde er in die "Hall of Fame des deutschen Sports" aufgenommen. Vor 110 Jahren wurde Harbig in Dresden geboren.Vor allem sein Lauf über 800 Meter am 15. Juli 1939 während eines Länderwettkampfes gegen Italien in Mailand ist in die Geschichte eingegangen.

Harbigs Kontrahent auf italienischer Seite war Mario Lanzi. "Mit 1:46,6 Minuten lief Rudolf Harbig eine Zeit, die zu erreichen von Fachleuten noch vor einigen Jahren glatt als Unmöglichkeit bezeichnet worden wäre", schrieben die Dresdner Nachrichten. Harbig hatte den bis dahin gültigen Weltrekord um 1,8 Sekunden unterboten.

Harbigs Tempo-Rekord: „Die Uhr muss kaputt sein“

Gleich am ersten Wettkampftag kam es in der Arena Civica zum Duell mit Mario Lanzi. Lanzi hatte dem Bericht zufolge ein "Höllentempo" vorgelegt, um dem Schlussspurt des Dresdners zu entgehen. Doch Harbig ließ sich nicht abschütteln. „In der Mitte der letzten Kurve musste sich entscheiden, ob Harbig noch die Kraft haben würde, seinen Endspurt voll auszuspielen. Plötzlich trat Harbig an“, berichtete der Reporter. "Schon eingangs der Zielgeraden tauchte er neben Lanzi auf, der sich verzweifelt wehrte, aber im Augenblick überspurtet war." Harbig siegte mit 15 Metern Vorsprung. Er soll von seiner Leistung selbst überrascht gewesen sein. "Die Uhr muss kaputt sein", soll er gestammelt haben. So zumindest ist es den Berichten zu entnehmen. Die Siegerzeit war so unglaublich, dass die Nachrichtenagenturen den Rekord in Worten statt Zahlen vermeldet haben sollen: Eins-sechs-und-vierzig-sechs.

Der spätere französische Weltklasseläufer Marcel Hansenne glaubte zunächst gar an Nazipropaganda. Die Dresdner empfingen Harbig bei der Rückkehr jubelnd am Bahnhof. Es dauerte bis zum 3. August 1955, ehe der Belgier Roger Moens schneller war.Der Aufstieg Rudolf Harbigs war nahezu unglaublich gewesen. Er entstammte einer einfachen Arbeiterfamilie. Mit Schulfreunden schloss er sich zunächst dem Turn- und Sportverein "Frischauf" Dresden an, wechselte dann zum SV Brandenburg und dann zum Athletikverein "Olympia". Er spielte Handball, trieb etwas Leichtathletik, unternahm Waldläufe in der Dresdner Heide, versuchte sich im Skilaufen, Boxen und Turnen.

Harbig lernte Stellmacher, fand aber keinen Job, es war Weltwirtschaftskrise. So schlug er sich durch, ging 1932 zur Reichswehr und wurde Gasmann bei der Drewag. Als er 1934 bei einem Wettkampf den 800-Meter-Lauf gewinnt, wird der damalige Leiter der Dresdner Olympia-Trainingsgemeinschaft Woldemar Gerschler auf ihn aufmerksam – ein Verfechter des damals noch neuen Intervalltrainings. Rasch zeigte die Leistungskurve Harbigs nach oben,1936 wurde er erstmals Deutscher Meister über die 800 Meter. Insgesamt gewann er sieben nationale Titel. Doch der 800-Meter-Wettbewerb während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin geriet für ihn zum Desaster. Durch einen Magen-Darm-Infekt geschwächt, wurde er nur Sechster. Mit der 4-mal-400-Meter-Staffel holt er dann doch noch Bronze.

Harbigs ganz große Zeit brach erst nach den Olympischen Spielen an. 1937 und 1938 eilte er von Sieg zu Sieg, gewann in Paris, wurde abermals Deutscher Meister über 800 Meter, feierte Erfolge bei Länderkämpfen gegen Frankreich, Polen, die USA und Schweden und siegte im Londoner White City Stadium über die 880 Yards, wurde 1938 in Paris über 800 Meter und mit der Staffel Europameister. Nach dem 800-Meter-Weltrekord von Mailand knackte Harbig bei einem Wettkampf in Frankfurt am Main auch die Bestmarke über die 400 Meter.

Am 24. Mai 1941 folgte auf der Ilgen-Kampfbahn, an der Stelle des jetzigen Rudolf-Harbig-Stadions, noch der Weltrekord über 1.000 Meter.Mit dem Zweiten Weltkrieg brach die Sportkarriere Harbigs ab. Er wurde Fallschirmjäger, kam an die Front und wurde mehrmals verwundet. Am 5. März 1944 verliert sich in der Ukraine bei Nowo Achangelsk/Olchowez seine Spur. Er gilt seither als verschollen.