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Die rollende Gefahr: Mit dem Rad durch den Berufsverkehr in Dresden

Dresden gehört zu den gefährlichsten Städten für Radfahrer, immer wieder gibt es Unfälle. Wie ist es, mit dem Rad im Berufsverkehr unterwegs zu sein? Ein Selbstversuch.

Von Fionn Klose
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Im Berufsverkehr ist Radfahren in Dresden gefährlich. SZ-Redakteur Fionn Klose wagt den Selbstversuch.
Im Berufsverkehr ist Radfahren in Dresden gefährlich. SZ-Redakteur Fionn Klose wagt den Selbstversuch. © René Meinig

Dresden. "Warum blockiert die Karre denn jetzt den Radweg?", frage ich mich. Ein blauer Kombi hat sich beim Rechtsabbiegen am Straßburger Platz direkt auf den Radweg gestellt, um die Fußgänger vorbeizulassen. Ein paar Meter habe ich noch. Der Regen peitscht mir ins Gesicht. Ich bremse leicht und ziehe den Lenker nach rechts, um vor dem Auto vorbeizufahren. Plötzlich fährt es los. Ich mache eine Notbremsung, mein Rad stellt sich auf dem nassen Asphalt quer, aber ich kann mich mit dem Fuß abstützen. Das war knapp.

Laut Zahlen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Sachsen fühlen sich 80 Prozent der Radfahrer in Dresden gefährdet. Für über die Hälfte der 2.026 Befragten ist Radfahren in der Landeshauptstadt Stress. Laut Zahlen des Unfallatlasses 2022 waren an mehr als der Hälfte aller Unfälle mit Verletzten Radfahrer beteiligt. Am häufigsten - 604-mal - kollidierten Radfahrer und Autos miteinander, vor allem an Kreuzungen beziehungsweise beim Einbiegen. "Mit 1.348 verletzten Radfahrern im vergangenen Jahr stellt Dresden im bundesweiten Vergleich leider das Schlusslicht dar", sagt Polizeipräsident Lutz Rodig. Es bestehe Handlungsbedarf seitens Stadt und Polizei. Er selbst fühle sich aber sicher auf dem Rad in Dresden. "Das hat aber viel mit meiner eigenen Fahrweise zu tun." Seitdem er als Radfahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Kleintransporter verletzt wurde, versuche er, gefährliche Stellen zu meiden.

Warten, Mut haben, Einreihen

Eine dieser gefährlichen Stellen ist die Könneritzstraße. Schon vom World Trade Center in Richtung Kraftwerk Mitte auf der Ammonstraße zu fahren, ist eine Herausforderung. Der Radweg direkt neben der Straße ist gerade mal ein paar Zentimeter breiter als mein Lenker. Laster und Autos überholen mich mit lautem Rauschen, der Abstand ist knapp. Dann geht es auf den gemeinsamen Fuß- und Radweg, der ist breit, hier lässt es sich gut fahren. Aber dann endet er wegen einer Baustelle plötzlich an der Haltestelle Bahnhof Mitte. Und jetzt? Einreihen in den Berufsverkehr. Da muss man Mut haben. Ich halte und sehe den Autos beim Vorbeifahren zu. Dann kommt eine Lücke. Einreihen, weiterfahren. Das Auto hinter mir überholt mich nicht. Richtig so.

Auf der Könneritzstraße fühle ich mich auf dem Rad echt unwohl. Tausende Radfahrer fahren täglich über die Straße. "Die Könneritzstraße ist ein Paradebeispiel für schlecht gemachte Infrastruktur", sagt ADFC Dresden-Geschäftsführer Edwin Seifert. "Die völlig unstete Radverkehrsführung ist einfach Mist." Man habe dort eine Straße, in die der Radweg reingebastelt wurde. Und sie ist gefährlich. Ende August wurden am selben Tag eine Radfahrerin und ein Radfahrer bei Unfällen mit Autos leicht verletzt.

Zwischen Schweriner Stelle und Friedrichstraße plant die Stadt Verbesserungen in der Radverkehrsführung.

"Die Stadtverwaltung bemüht sich"

Eine schlechte Straßenraumgestaltung ist laut dem ADFC für die hohen Unfallzahlen verantwortlich. Radwege seien zu schmal oder fehlten völlig. Aber dennoch verbessere sich etwas, so Edwin Seifert. "Die Stadtverwaltung bemüht sich, wir brauchen aber definitiv mehr stationäre Blitzer und ausreichend breite Radwege ohne Lücken", sagt er. "Unfallhäufungsstellen müssen schneller beseitigt werden."

Der ADFC hat die Unfallhäufungsstellen mit den meisten Fahrradunfällen analysiert. Am häufigsten in Unfälle verwickelt wurden Radfahrer in den letzten drei Jahren demnach an der Waldschlößchenbrücke, und zwar an der Auf- und Abfahrtskreuzung auf der Johannstädter Seite. 24 Radunfälle wurden hier verzeichnet.

Das Problem Rechtsabbiegen

Von der Bautzner Straße fahre ich jetzt den Hügel herunter zur Waldschlößchenbrücke. Der Fahrtwind pfeift mir um die Ohren. Auf der Brücke ist der Radweg angenehm befahrbar. Es fühlt sich nicht so an, als würde man über Stock und Stein fahren wie auf der Königsbrücker Straße. Hinter der Brücke können Autos aufs Käthe-Kollwitz-Ufer einbiegen. Als Radfahrer kommt man schnell von der Brücke runtergefahren. Es ist leicht, von Autofahrern übersehen zu werden, weil der große Kurvenradius zum flotten Rechtsabbiegen einlädt.

Die Problemstelle an der Waldschlößchenbrücke. Wenn Autofahrer hier keinen bewussten Schulterblick machen, kann ein Unfall schnell passieren.
Die Problemstelle an der Waldschlößchenbrücke. Wenn Autofahrer hier keinen bewussten Schulterblick machen, kann ein Unfall schnell passieren. © René Meinig

Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Ein Auto fährt an mir vorbei, setzt den Blinker nach rechts. "Oha", denke ich mir. "Das wird spannend." Ich bremse schon mal runter, damit ich nicht direkt in der Beifahrertür lande, falls ich übersehen werde. Aber das Auto bremst ab, hält vor dem Radstreifen und lässt mich vorbei.

Entschärfung bis 2024

Die Stadt will etwas gegen die unsichere Stelle an der Waldschlößchenbrücke unternehmen: "Die bisher großzügige Gestaltung soll so geändert werden, dass ein rechtwinkliges Abbiegen erfolgt", teilt die Stadt auf Anfrage von Sächsische.de mit. So solle die Fahrgeschwindigkeit der Autos reduziert werden. "Eine bauliche Umsetzung ist für das Frühjahr 2024 vorgesehen." Tempo 30 oder ein stationärer Blitzer seien nicht geplant.

Der ADFC fordert den Rückbau von großen Kurvenradien und Tempo 30. Rechtsabbiegen würde dadurch an 90-Grad-Ecken erfolgen, wodurch Autofahrer deutlich abbremsen müssten. "Die Anpassung von Kurvenradien empfiehlt sich, wo diese zu groß dimensioniert sind und die zu gewährleistenden Schleppkurven dies ermöglichen", so die Stadt. Tempo 30 sei eine Maßnahme gegen Unfälle, aber eine Einzelfallentscheidung, die an den betreffenden Stellen geprüft werden müsse.

Ich fahre auf der St. Petersburger Straße in Richtung Hauptbahnhof. 2019 wurden die Parkplätze verbannt und Halteverbotsschilder aufgestellt. Vor drei Jahren wurden zwischen Georgplatz und Sidonienstraße neue, etwa drei Meter breite Radwege markiert. Hier fährt es sich schön, die Autos sind weit genug von mir entfernt. Ich fühle mich gleich viel sicherer. So sollte es überall in Dresden sein.