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Wie ein junger Afghane in Dresden zum Verkäufer wurde

Shirzada Salarzai kommt 2015 aus Afghanistan nach Deutschland, um hier zu arbeiten. Doch daraus wird zunächst nichts. Wie viele Menschen es braucht, um einem Migranten zu einem Job zu verhelfen.

Von Nora Domschke
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Kerstin Liebstein ist Ausbildungsleiterin im Dresdner Unternehmen Vorwerk Podemus. Shirzada Salarzai hat sie auf seinem Weg zum Einzelhandelskaufmann begleitet.
Kerstin Liebstein ist Ausbildungsleiterin im Dresdner Unternehmen Vorwerk Podemus. Shirzada Salarzai hat sie auf seinem Weg zum Einzelhandelskaufmann begleitet. © Christian Juppe

Dresden. Unbesetzte Ausbildungsplätze auf der einen Seite - junge Menschen, die aus dem Ausland nach Dresden kommen, auf der anderen Seite. Das zusammenzubringen, ist in Deutschland noch immer eine schwierige Sache. Doch es kann klappen, wie das Beispiel von Shirzada Salarzai und Bernhard Probst zeigt. Der junge Mann aus Afghanistan und der Dresdner Landwirt und Biomarktbetreiber haben sich beruflich gefunden. Bernhard Probst suchte einen Auszubildenden für den Verkauf, Shirzada Salarzai einen Job.

Was so einfach klingt, war ein langer und bürokratischer Weg, den beide ohne Hilfe nicht gegangen wären, sagen sie heute. Denn Migranten, die nicht aus einem europäischen Land nach Deutschland kommen, finden nur schwer Zugang zum Arbeitsmarkt. Bereits 2016 hatte das sächsische Wirtschaftsministerium deshalb ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht, von dem nun auch Bernhard Probst und Shirzada Salarzai profitierten. Sogenannte Arbeitsmarktmentoren fungieren dabei als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Migranten. Sie vermitteln ein Praktikum, an das sich im besten Fall eine Berufsausbildung oder eine Anstellung anschließt.

Biolandwirt Bernhard Probst findet für seine Ausbildungsplätze oft keine Bewerber. Über ein Programm des Freistaates bekam er den jungen Mann aus Afghanistan vermittelt.
Biolandwirt Bernhard Probst findet für seine Ausbildungsplätze oft keine Bewerber. Über ein Programm des Freistaates bekam er den jungen Mann aus Afghanistan vermittelt. ©  Archiv: Rene Meinig

Vorwerk Podemus ist eines von insgesamt 1.600 sächsischen Unternehmen, die sich an dem Projekt bislang beteiligten. Bernhard Probst kämpft seit Jahren damit, dass sich nur noch wenige junge Menschen auf seine Ausbildungsplätze bewerben. Allein die zwei Plätze für die Ausbildung zum Landwirt bekomme er ohne Probleme jedes Jahr besetzt. Richtig problematisch ist die Lehre zum Fleischer und zum Fleischfachverkäufer, sagt der Bio-Landwirt. "Diesen Job will niemand mehr machen, er hat einen schlechten Ruf."

Anders sieht das bei den angehenden Verkäufern aus. Hierfür habe er zwar immer genug Bewerber, aber viele von ihnen hätten schlechte schulische Leistungen oder schon eine andere Lehre abgebrochen. Von 14 deutschen Azubis im ersten Lehrjahr blieben oft nur zehn oder weniger übrig. Also ließ sich Bernhard Probst 2019 davon überzeugen, den jungen Mann aus Afghanistan in die Ausbildung zu übernehmen. "Shirzada hat sich durchgebissen, er ist sehr ehrgeizig. Größtes Problem war die Sprachbarriere."

Shirzada Salarzai lacht. "Es gab so viele fremde Begriffe, beim Obst und Gemüse zum Beispiel." Kohlrabi - in seiner Heimat Afghanistan kennt dieses Gemüse niemand. Auch die vielen verschiedenen Sorten Käse, Brot oder Brötchen waren eine Herausforderung für ihn. "Ich habe tagelang die Getreidesorten gelernt." Das bestätigt auch Kerstin Liebstein, die Ausbildungsleiterin in den Biomärkten ist. "Er war und ist extrem fleißig." Das wünsche sie sich manchmal auch von den anderen Azubis. "Er hatte einen unbedingten Willen, die Ausbildung zu schaffen."

Zum Nichtstun verdammt

Und das ist dem jungen Mann auch gelungen. Nach zwei Jahren Lehre zum Verkäufer schloss er ein weiteres Jahr für die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann an. Seit 2021 hat er diese in der Tasche und arbeitet im Bio-Bahnhof Klotzsche. Hier verkauft der heute 27-Jährige die Waren an der Fleischtheke und am Backstand und berät die Kunden, wenn sie Fragen haben. "In Klotzsche sind die Menschen alle sehr nett."

Als er Afghanistan Ende 2015 verlässt, hat er eigentlich einen anderen Traum: In Deutschland wollte er eine Ausbildung zum Automechaniker machen. Nach einer kurzen Zwischenstation in einem Erstaufnahmeheim in München wird er nach Dresden verwiesen. Auch hier kommt er zunächst in einer großen Sammelunterkunft an der Hamburger Straße unter, wechselt später in eine kleinere Asylunterkunft an der Fritz-Reuther-Straße. "Das Schlimmste war, dass wir nichts zu tun hatten. Wir waren nur im Heim, haben geschlafen oder rumgehangen." Sechs, sieben Monate ging das so, erinnert sich Salarzai.

Deutsch lernen die jungen Flüchtlinge in dieser Zeit nur ein bis zwei Stunden pro Woche von Dresdner Ehrenamtlern. "Dadurch war es sehr schwer, deutsche Freunde zu finden. Ich wollte ja gern, aber ich konnte mich nicht verständigen." Integration sei so praktisch unmöglich, sagt er. "Ich war enttäuscht, denn ich bin hergekommen, um zu arbeiten. Aber ich durfte nicht." In Afghanistan hatte er nur sieben Jahre lang die Schule besucht, eine berufliche Perspektive gab es für ihn nicht. Daran erinnert er sich damals, als er hier in Dresden im Heim zum Nichtstun verdammt ist.

"Ein Arbeitsplatz ist der beste Weg der Integration"

"Ich bin dann einfach jeden Tag raus gegangen, in ein Café oder in die Bibliothek." Schließlich hat er die Möglichkeit, sich einer Dresdner Rugby-Mannschaft anzuschließen. Der Sport wird sein erster richtiger Zugang zu den Menschen in der Stadt. "Das war so wichtig." Durch den Kontakt zu den deutschen Sportlern lernt er die Sprache nach und nach. Er will mehr - und hat Glück, denn die Malteser-Mitarbeiter, die die Unterkunft, in der er lebt, betreiben, hatten vom neuen Förderprogramm des Freistaates erfahren.

Im Februar 2017 trifft er zum ersten Mal André Werner, der ihn fortan als Arbeitsmarktmentor begleiten wird. Werner knüpft Kontakt zum Vorwerk Podemus, organisiert für Shirzada Salarzai ein Praktikum und kümmert sich um alle nötigen Papiere und Anträge, damit der junge Mann seine Ausbildung beginnen kann. "Das kann allein niemand schaffen", sagt André Werner. Selbst Deutsche seien mit der Bürokratie oft überfordert, für einen Migranten ist sie unüberwindbar, vor allem, wenn es mit der Sprache hapert. Bei seiner Arbeit im Biomarkt lernt Salarzai ganz schnell deutsch, wie Bernhard Probst bestätigt. "Das ist einfach der beste Weg der Integration."

Mehr als 70 Unterstützer sachsenweit im Einsatz

Der Arbeitsmarktmentor erweist sich als großes Glück für den Afghanen. Denn André Werner kümmert sich damals nicht nur um seinen beruflichen Weg, er besorgt ihm auch eine eigene Wohnung. Heute lebt Shirzada Salarzai mit einem indischen Studenten in einer WG in der Dresdner Neustadt, auch eine Freundin hat der junge Mann inzwischen an seiner Seite. "Ich mag die Stadt, vor allem gehe ich gern an der Elbe joggen oder in der Heide spazieren." Es sei ein gutes Gefühl, sein eigenes Geld zu verdienen.

Sachsenweit kümmern sich heute 72 Arbeitsmarktmentoren um Migranten und Unternehmen. Im vergangenen Jahr stellte der Freistaat mit 3,6 Millionen Euro noch einmal deutlich mehr Geld für das Programm zur Verfügung. Seit 2020 wurden rund 3.000 Arbeitssuchende und 1.300 Arbeitgeber beraten. 1.300 der Teilnehmer haben darüber inzwischen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden, 370 wurden in eine Ausbildung vermittelt. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) stellte bei einem Besuch an diesem Mittwoch im Bio-Bahnhof in Aussicht, dass mit einem neuen Zuwanderungsgesetz auch Hürden für den Arbeitsmarkt abgebaut werden. "Schön wäre es, wenn die Arbeitsmarktmentoren künftig weniger zu tun hätten."