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Theater, Kinos, Kulturpalast zu – der Katastrophenwinter 1978/79 in Dresden

Harte Winter sind in Zeiten des Klimawandels selten in Dresden geworden. Der Winter vor 45 Jahren gilt als eines der ungewöhnlichsten Wettereignisse des vergangenen Jahrhunderts.

Von Ralf Hübner
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Tief verschneit war Anfang 1979 auch der Dresdner Zwinger. Die Theater, Kinos sowie der Kulturpalast mussten wegen der „gegenwärtigen Energielage“ schließen, wie es in der Sächsischen Zeitung hieß.
Tief verschneit war Anfang 1979 auch der Dresdner Zwinger. Die Theater, Kinos sowie der Kulturpalast mussten wegen der „gegenwärtigen Energielage“ schließen, wie es in der Sächsischen Zeitung hieß. © SZ/Brigitte Anklam

Dresden. Schneesturm, strenge Minustemperaturen, meterhohe Schneeverwehungen – schon länger hat sich der Winter in Dresden nicht mehr so unerbittlich gezeigt. Auch vor 45 Jahren war es noch zu Weihnachten frühlingshaft mild. Doch ab dem 29. Dezember 1978 brach in nur wenigen Stunden ein Jahrhundertwinter über Mitteleuropa und Dresden herein. In der damaligen Bundesrepublik starben 17 Menschen. In der DDR blieben die genauen Zahlen im Dunkeln. Es wird von mindestens fünf Toten ausgegangen.

„Zehntausende Werktätige trotzen dem extremen Wetter“, titelte die Sächsische Zeitung Anfang Januar 1979. Täglich wurde vom „heldenhaften und aufopferungsvollen Kampf“ an der Wetterfront berichtet. „Genossen der Zivilverteidigung des VEB Mansfeldkombinat unterstützten gestern die Mitarbeiter der Kippanlage des Kraftwerkes Dresden-Mitte beim Entladen der Kohlezüge“, hieß es da.

Kollektives Schneeschippen

„Mit Hilfe langer Brechstangen musste die gefrorene Kohle losgestochert werden.“ In der Brotfabrik des VEB Mühlen- und Brotwerke hätten die Kollegen Sonderschichten eingelegt. Die Brotwagen hätten bis auf zwei Ausnahmen pünktlich die Fabrik verlassen, wurde den Bürgern versichert. Die Werktätigen des VEB Schlacht- und Verarbeitungsbetriebes Dresden böten alle Kräfte für die Sicherung der planmäßigen Fleisch- und Wurstversorgung auf.

Nur nach und nach gelang es den Räumdiensten, die Hauptstraßen vom Schnee zu befreien. Schon geräumte Abschnitte wurden oft schnell wieder zugeweht. Die Straßenbahn der Linie 7 fuhr am 3. Januar erstmals wieder bis nach Weixdorf, nachdem Verwehungen die Strecke zuvor unpassierbar gemacht hatten. In einigen Schulen fiel für Tage der Unterricht aus.

Die Belegschaften der Betriebe und die Bürger wurden zum kollektiven Schneeschippen geschickt. Ältere und alleinstehende hilfsbedürftige Menschen wurden von Brigaden der Hauswirtschaftspflege und Ortsgruppen der Volkssolidarität betreut. Schwere Winter gab es in Dresden immer wieder. Im Januar 1963 ist bei teils extremen Minustemperaturen die Elbe bei Dresden das letzte Mal zugefroren. Dieses Ereignis ist in den bis ins Mittelalter zurückreichenden Aufzeichnungen insgesamt nur 37 Mal notiert.

Wenige Jahre zuvor behinderten am 7. Februar 1956 meterhohe Schneeverwehungen den Verkehr in Dresden. Am 6. März 1970 lagen ebenfalls 50 Zentimeter Schnee, der erst am 20. März wegtaute. Der Kälterekord von minus 30,5 Grad in der Dresdner Innenstadt wurde am 11. Februar 1929 gemessen, gefolgt vom 9. Februar 1956 mit minus 27 Grad.

Beim Katastrophenwinter zum Jahreswechsel von 1978 zu 1979 hatte sich das Unheil von Norden her genähert. Ein Hochdruckgebiet über Skandinavien traf über der südlichen Ostsee mit einem Tief über dem Rheinland zusammen. Milde Atlantik-Luft eines Tiefs über dem Rheinland stieß dort auf Luftmassen von minus 30 Grad eines Hochs über Skandinavien zusammen. Diese Luftmassengrenze schob sich immer mehr nach Süden. Auf Entfernungen von etwa 100 Kilometern gab es Temperaturunterschiede von bis zu 20 Grad. Nach einem fast dreitägigen Schneesturm war die Insel Rügen von der Außenwelt praktisch abgeschnitten.

So wie hier sah es wohl in vielen Gebieten der DDR aus.
So wie hier sah es wohl in vielen Gebieten der DDR aus. © dpa

Rund 3.000 Urlauber, die ihre Weihnachtsferien auf der Insel verbracht hatten, saßen fest. Straßen waren unpassierbar. Eisregen war niedergegangen, Freilandleitungen rissen unter der Eislast. Strom und Heizung fielen aus. Es gab kein Licht, kein warmes Wasser, weder Radio noch Fernsehen.

In den eiskalten Ställen ging das Vieh zugrunde. Vereiste Weichen stoppten den Bahnverkehr. Bis zu sechs Meter hohe Schneeverwehungen versperrten Hilfskräften den Weg. Manche Schneeberge wurden von der Armee gesprengt und Lebensmittel teilweise per Hubschrauber oder mit Kampfpanzern herangeschafft. Auch Kranke und Schwangere erhielten auf diese Weise Hilfe – wenn sie Glück hatten. In der DDR wurde der Katastrophenalarm ausgelöst, während Staatschef Erich Honecker im warmen Mosambik auf Staatsbesuch weilte.

Komplizierte Lage in Tagebauen

Auf dem Fichtelberg war die Temperatur vom Mittag des 31. Dezember bis zum Neujahrsmorgen von einem Grad plus auf27 Grad minus gefallen. Dresden traf es zwar nicht ganz so hart, doch auch dort gingen in der Neujahrsnacht kurzzeitig die Lichter aus.

Die Theater, Kinos sowie der Kulturpalast mussten wegen der „gegenwärtigen Energielage“ schließen, wie es in der Sächsischen Zeitung Anfang Januar hieß. Wegen der „komplizierten Lage in den Braunkohletagebauen und den Kraftwerken“ seien vorübergehende Abschaltungen bei der Strom- und der Wärmeversorgung „unvermeidbar“. Straßen- und Schaufensterbeleuchtungen sowie Lichtreklame blieben aus. Die Einwohner wurden zum „sparsamsten Energieverbrauch“ angehalten.

Mitte Februar 1979 sollte sich wiederholt eine gefährliche Lage einstellen. Mitte März folgte noch eine dritte Schneewelle. Danach war der Winter überstanden. In einigen Gegenden soll die weiße Pracht erst nach Wochen vollständig weggeschmolzen sein.