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Wie Sammer von der DHfK in Leipzig profitiert

An der sächsischen Sport-Uni wurden Trainer und Funktionäre auf international höchstem Niveau ausgebildet - bis sie 1990 abgewickelt wurde. Das ist die Geschichte.

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Die Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport, kurz DHfK, in Leipzig begeht den 70. Jahrestag ihrer Gründung – doch bereits vor 30 Jahren ist sie mit der Wende der Abwicklung zum Opfer gefallen.
Die Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport, kurz DHfK, in Leipzig begeht den 70. Jahrestag ihrer Gründung – doch bereits vor 30 Jahren ist sie mit der Wende der Abwicklung zum Opfer gefallen. © Zentralbild/Koch

Von Andreas Müller

Seit Beginn des neuen Jahrtausends treffen sich alljährlich am 22. Oktober ehemalige Professoren, Wissenschaftler und Mitarbeiter im Leipziger „Ratskeller“. Das Datum steht deshalb so fest, weil an diesem Tag die Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport, kurz DHfK, gegründet worden ist. Hier haben sie gelehrt, geforscht, gearbeitet und studiert. Diesmal gilt es für den Kreis der Ehemaligen, den 70. Geburtstag ihrer Hochschule zu feiern – und zugleich ihres von der sächsischen Staatsregierung unter CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf besiegelten Endes vor 30 Jahren zu gedenken.

„Es gibt da keinen großartigen offiziellen Teil. Es ist eher eine private Zusammenkunft zum Gedankenaustausch und zur Erinnerung an gemeinsame Zeiten“, erklärt Karsten Schumann. Dabei beschleichen den 57-Jährigen, einen der letzten DHfK-Absolventen und Mit-Verfasser einer umfassenden Chronik über die Hochschule, gemischte Gefühle.

Rückblickend herrscht bei ihm Dankbarkeit für eine erstklassige Ausbildung vor. „Das war eine Einrichtung von Weltruf, dieses Diplom war ein Gütesiegel“, sagt Schumann. Nach der Wende war er mehr als zehn Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Matthias Sammer in seinen Funktionen als Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes und Vorstand Sport beim FC Bayern München tätig. Heute arbeitet Schumann freiberuflich als Dozent, unter anderem mit einer Professur an einer privaten Hochschule.

Olympische Solidarität

Was die internationale Ausstrahlung der DHfK betrifft, wurden allein rund 2.000 Teilnehmer aus 90 Nationen in Kursen im Rahmen der „olympischen Solidarität“ zu Fachleuten auf dem Gebiet des Sports ausgebildet. National galt die DHfK als Hochschule mit „universeller Konzeption“, die in der Spitze Weltmeister- und Olympiasieger-Macher ausbildete, Trainer und Funktionäre für alle Ebenen und Spezialisten für sämtliche Themen-Bereiche des DDR-Sports – vom Militärsport bis zu den Segmenten des Freizeit- und Erholungs-Sports.

Bei Gründung 1950 unterrichteten zehn Lehrkräfte insgesamt 96 Studenten, im September 1953 kamen die ersten 296 Fernstudenten hinzu. Sieben Jahre später waren es 2.515 Studenten, davon knapp die Hälfte im Fernstudium. Es gab sieben Außenstellen in Rostock, Berlin, Magdeburg, Cottbus, Dresden, Chemnitz und Erfurt sowie sechs Konsultationsstützpunkte in Schwerin, Potsdam, Neubrandenburg, Frankfurt an der Oder, Oberhof und Jena.

Nicht zu vergessen das separate Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport, das seit Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre infolge der Konzentration auf den Leistungssport aus der DHfK heraus entwickelt wurde und dann als selbstständige, gut abgeschottete Einheit wirkte. Eine Facette, an die jene ersten nach dem Zweiten Weltkrieg immatrikulierten Studenten des Instituts für Körpererziehung der Humboldt-Universität Berlin garantiert nicht dachten, als sie im Februar 1949 den Stein für die Leipziger Sport-Uni ins Rollen brachten nach der Devise: Wir brauchen so eine Hochschule unbedingt und dringend!

Matthias Sammer (l.) mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter: DHfK-Absolvent Karsten Schumann.
Matthias Sammer (l.) mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter: DHfK-Absolvent Karsten Schumann. © Carsten Kattau

Mit Blick in die Gegenwart und Zukunft des bundesdeutschen Leistungssports kommentiert Schumann das DHfK-Aus eher nüchtern. „Die DHfK als Institution war eingebettet in eine historisch einmalige Leistungssport-Konzeption, die es heute nicht mehr gibt. Zudem ist dieser Name untrennbar mit einem umfassenden interdisziplinären Konzept verbunden“, erklärt er. „Ohne dieses Konzept würde eine Neugründung unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen den Namen beschädigen.“

Von einer Neugründung hält deshalb auch DHfK-Absolvent Lutz Nordmann nichts, der heute als Direktor der Trainer-Akademie in Köln tätig ist. Mit jedem Jahrgang kann der 63-Jährige dem Spitzensport gerade mal 30 seiner Absolventen zuführen. In Leipzig waren es vor der Wende zuletzt pro Jahrgang knapp 400 Studenten im Direkt- und Fernstudium. „Wo wollen wir denn heute mit so vielen Leuten hin? Für den aktuellen Bedarf wäre eine solche Hochschule völlig überdimensioniert“, sagt Nordmann, wenngleich er weiß: Pro Jahr werden derzeit kontinuierlich etwa 120 gut ausgebildete Berufseinsteiger benötigt, um jene Trainerinnen und Trainer ersetzen zu können, die nun sukzessive in den Ruhestand gehen.

In Sachsen ist derzeit mehr als ein Viertel der 161 landesfinanzierten Trainerinnen und Trainer älter als 55 Jahre. Das heißt, in den nächsten zehn Jahren gehen etwa 45 von ihnen in Rente und brauchen zwingend Nachfolger. Im gesamten Sportsystem ist derzeit fast die Hälfte der knapp 3.500 von Bund, Ländern oder der Bundeswehr finanzierten Bundes- und Landes-Trainer über 50 Jahre alt.

Verein setzt die Tradition fort

Trainer, das ist im bundesdeutschen Leistungssport der Gegenwart gleichbedeutend mit einem Synonym für „Großbaustelle“. Woher also die dringend benötigte neue Trainer-Generation nehmen, wenn nicht auch aus den Reihen der Quereinsteiger? Die Akademie in Köln jedenfalls kann die Lücke unmöglich ausfüllen – und eine Leipziger Hochschule früherer Dimension wäre gleich mehrere Nummern zu groß. „Ein Gebilde irgendwo dazwischen wäre vielleicht sinnvoll“, meint Schumann. „Aber dann bitte nicht unter dem Kürzel DHfK.“

Stoff für Diskussionen bei der kleinen Feier gibt es genügend. Derweil lebt die einst weltbekannte Abkürzung weiter im Sport-Club DHfK Leipzig e. V., der am 20. September 1954 gegründet wurde. Mit knapp 6.500 Mitgliedern ist er unter den 4.453 Sportvereinen im Freistaat Sachsen die Nummer vier. Zu seinem Portefeuille gehören 18 Abteilungen, darunter die Bundesliga-Handballer. Kindersport, Fitness und Gesundheit werden großgeschrieben. Außerdem gibt es Sparten wie Floorball, Flossenschwimmen, Inline-Skating oder Synchronschwimmen. Gepflegt wird der Sport in seiner ganzen Vielfalt und Bandbreite, genauso wie es der Vereinsname nach dem Vorbild der 1950 eröffneten und 1990 geschlossenen Hochschule nahelegt.