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So lief der rassistische Terror in Hanau

Ein Deutscher tötet in Hanau neun Menschen, seine Mutter und sich selbst. Der Täter war offenbar ein rechter Verschwörungstheoretiker.

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Einsatzkräfte der Polizei stehen vor einem der Tatorte, einem Kiosk in Hanau.
Einsatzkräfte der Polizei stehen vor einem der Tatorte, einem Kiosk in Hanau. © dpa
  • Insgesamt elf Menschen sterben nach Schüssen in Hanau, viele der Opfer hatten Migrationshintergrund
  • Mutmaßlicher Täter war 43-jähriger Deutscher mit rassistischer Gesinnung
  • Generalbundesanwalt ermittelt wegen Terrorverdachts
  • In Dresden wird der Toten gedacht
  • Bundeskanzlerin stellt sich „gegen all jene, die unser Land spalten wollen“
  • Sachsens Innenminister sieht neues Täterprofil

Hanau/Berlin. Bei einem mutmaßlich rechtsradikalen und rassistischen Anschlag hat ein Deutscher im hessischen Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Anschließend soll der 43-jährige Sportschütze seine 72 Jahre alte Mutter und sich selbst getötet haben. Der Mann habe eine "zutiefst rassistische Gesinnung" gehabt, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag in Karlsruhe. 

Das habe die Auswertung von Videobotschaften und einer Art Manifest auf dessen Internetseite ergeben. Die Todesopfer seien zwischen 21 und 44 Jahre alt gewesen und hätten Migrationshintergrund gehabt. Der Täter habe sechs weitere Menschen verletzt, einen schwer.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte am Morgen in Wiesbaden, der Generalbundesanwalt ermittle wegen des Verdachts einer terroristischen Gewalttat - Frank selbst sprach am Nachmittag nicht davon. Nach einer Telefonschalte der Innenminister von Bund und Ländern sagte der bayerische Ressortchef Joachim Herrmann (CSU), man gehe davon aus, "dass es sich um einen rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Hintergrund handelt". Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel verurteilten die Tat und Rassismus auf das Schärfste.

Mindestens fünf Türken unter den Toten

Der mutmaßliche Todesschütze Tobias R. kommt laut den Behörden aus Hanau. Gegen 22.00 Uhr am Mittwochabend eröffnete er in einer Shisha-Bar das Feuer. Danach schoss er in einer weiteren Bar und einem Kiosk um sich. Die türkische Botschaft in Berlin erklärte, unter den Todesopfern seien fünf türkische Staatsbürger. Der Sportschütze habe nach der Tat in der eigenen Wohnung erst seine Mutter und dann sich selbst erschossen, sagte Beuth. Der Sportschütze habe die Waffen legal besessen.

Die Bundesanwaltschaft teilte mit: "Es liegen gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat vor." Der mutmaßliche Täter habe auf seiner Internetseite auch wirre Gedanken und abstruse Verschwörungstheorien geäußert. Man prüfe, ob der mutmaßliche Täter Mitwisser oder Unterstützer für seinen Anschlag hatte. Dazu würden das Umfeld und die Kontakte des Mannes im In- und Ausland abgeklärt, sagte Frank.

Beuth hatte zuvor gesagt, der Mann habe wohl allein gehandelt. "Bislang liegen keine Hinweise auf weitere Täter vor." Der mutmaßliche Täter sei zuvor nicht im Visier der Ermittler gewesen. Er sei weder als "fremdenfeindlich" bekannt gewesen noch polizeilich in Erscheinung getreten. 

© Andreas Arnold/dpa
© Boris Roessler/dpa
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Attentat als persönliche Botschaft an Amerikaner

Wenige Tage vor dem Verbrechen hatte der mutmaßliche Täter nach Informationen aus Sicherheitskreisen ein Video bei Youtube veröffentlicht. In diesem Video spricht der Mann in fließendem Englisch von einer "persönlichen Botschaft an alle Amerikaner". Der Clip, der am Donnerstagmorgen weiter im Internet zu sehen war, wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen, ins Netz gestellt wurde er vor wenigen Tagen.

Darin sagt der Mann, in den USA existierten unterirdische Militäreinrichtungen, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde auch dem Teufel gehuldigt. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände "jetzt kämpfen". Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten. Er behauptet auch, Deutschland werde von einem Geheimdienst gesteuert. Außerdem äußert er sich negativ über Migranten aus arabischen Ländern und der Türkei.

Der mutmaßliche Todesschütze war in einem Frankfurter Schützenverein aktiv. Er sei Mitglied im Schützenverein Diana Bergen-Enkheim gewesen, sagte Thilo von Hagen, Sprecher des Deutschen Schützenbundes (DSB), in Wiesbaden am Donnerstag. Laut dem Verein selbst war Tobias R. ein "eher ruhiger Typ", der in keiner Weise auffällig geworden sei.

"Er hat keinerlei ausländerfeindliche Sprüche geklopft", sagte der Vorsitzende Claus Schmidt. Auch im Umgang mit Vereinsmitgliedern mit Migrationshintergrund habe R. kein auffälliges Verhalten gezeigt. Seit 2012 sei der 43-Jährige Mitglied bei Diana gewesen. Er habe mit eigenen Waffen geschossen, was aber üblich sei. Dass Tobias R. im Internet wirre Gedanken und abstruse Verschwörungstheorien äußerte, sei nicht bekannt gewesen. "Mit dem konnte man sich ganz vernünftig unterhalten", sagte Schmidt. 

So lief die Tat ab:

Es ist ein Verbrechen, das die beschauliche und nur wenige Kilometer östlich von Frankfurt gelegene Stadt in ihrer jüngeren Geschichte noch nicht erlebt hat. Einer der Tatorte ist eine Shisha-Bar am Heumarkt, einer Straße, die etwas am Rande der Innenstadt von Hanau mit seinen rund 100.000 Einwohnern liegt. Es ist eine Gegend mit Spielhallen, Wettlokalen und Döner-Imbissbuden - und am späten Mittwochabend auch Polizeisirenen, Blaulicht und Absperrband.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • gegen 22 Uhr: In Hanau fallen in zwei Shisha-Bars und in einem Kiosk Schüsse.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • gegen 23.30 Uhr: Medien vermelden nach Polizeiangaben, dass in Hanau mehrere Menschen erschossen wurden.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • 0.18 Uhr: Das Polizeipräsidium Südosthessen gibt per Pressemitteilung die Großfahndung nach "noch unbekannten Tätern" bekannt.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • 0.49 Uhr: In einer Pressemeldung der Polizei wird bestätigt, dass "acht Personen tödlich verletzt wurden".

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • 5.03 Uhr: Per Twitter teilt die Polizei Südosthessen mit, dass der mutmaßliche Täter leblos in seiner Wohnung gefunden wurde. Spezialkräfte entdecken dort eine weitere Leiche. Die Zahl der Toten liegt mittlerweile bei insgesamt elf.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • 6.19 Uhr: Regierungssprecher Steffen Seibert twittert im Namen der Bundesregierung: "Tiefe Anteilnahme gilt den betroffenen Familien, die um ihre Toten trauern."

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • gegen 7.30 Uhr: Aus Sicherheitskreisen wird bekannt, dass ein Bekennerschreiben und ein Video gefunden wurden. Der Clip, der zunächst noch im Internet zu sehen war, wurde vor wenigen Tagen ins Netz gestellt. Ein Hinweis auf die Tat ist darin nicht enthalten.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • gegen 8.30 Uhr: Die Bundesanwaltschaft teilt mit, dass der Generalbundesanwalt bereits in der Nacht die Ermittlungen übernommen habe. Es gebe Hinweise auf ein ausländerfeindliches Motiv.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • gegen 10 Uhr: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) teilt mit: Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt wegen Terrorverdachts. Bei dem mutmaßlichen Täter handele es sich um einen 43-jährigen Deutschen. Er wurde wie seine Mutter tot in seiner Wohnung gefunden.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • gegen 10.50 Uhr: Aus Sicherheitskreisen wird bekannt, dass unter den Toten viele Menschen mit Migrationshintergrund sind.

Die Nacht in Hanau im Protokoll

  • gegen 11.40 Uhr: Die deutschen Innenminister gehen nach Angaben des bayerischen Ressortchefs Joachim Herrmann (CSU) von einem rechtsradikalen Hintergrund aus. Der Täter habe "eine Reihe überwiegend aus dem Ausland stammender Menschen erschossen".

Quelle: dpa

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Der zweite Tatort ist fast in Laufnähe, mit dem Auto sind es bis dahin nur etwa fünf Minuten. Der Kurt-Schumacher-Platz liegt in einem Wohnviertel. Dort befindet sich im Erdgeschoss eines Wohnblocks eine Art Kiosk, mit der Aufschrift "24/7 Kiosk" auf der großen Glasscheibe, auf einem Reklame-Leuchtschild steht "Arena Bar & Café". Der Blick ins Innere ist versperrt, die Scheiben sind teils halbhoch mit orangefarbener Folie beklebt.

© Grafik: A. Brühl, Redaktion: D. Loesche

Ein 24-Jähriger, der nach eigenen Angaben der Sohn des Kioskbesitzers ist, erzählt, er sei bei der Tat nicht vor Ort gewesen - sein Vater auch nicht, wie er erst später erfahren habe. Als er von den Schüssen gehört habe, sei er sofort hergekommen. "Ich habe erstmal einen Schock bekommen." Die Opfer seien Leute, "die wir jahrelang kennen". Es seien zwei Mitarbeiter und eine Person, die er schon von klein auf kenne. Wer verübt solch ein Verbrechen? Der 24-Jährige ist ratlos: "Wir kennen sowas nicht, wir sind auch nicht mit Leuten zerstritten. Wir können es uns gar nicht vorstellen. Es war ein Schock für alle."

Steinmeier gedenkt der Opfer von Hanau

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Donnerstag die Tatorte des Anschlags in Hanau besucht. Gemeinsam mit anderen Politikern, darunter Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), und seiner Frau Elke Büdenbender gedachte er dort  mit einer Schweigeminute der Opfer. Anschließend wollte Steinmeier bei einer Mahnwache der Stadt Hanau auf dem Marktplatz eine kurze Ansprache halten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier neben seiner Frau Elke Büdenbender (l) und Ursula Bouffier (r). 
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier neben seiner Frau Elke Büdenbender (l) und Ursula Bouffier (r).  © dpa

Mahnwache in ganz Deutschland

Tausende Menschen haben in Hessen bei Mahnwachen der Opfer gedacht. Allein in Hanau versammelten sich rund 5.000 Menschen. Friedliche Gedenkveranstaltungen gab es nach Angaben der Polizei auch in Frankfurt, Kassel, Fulda, Gießen oder in Darmstadt. In Frankfurt versammelten sich an der Paulskirche nach Polizeiangaben rund 3.500 Menschen. 

Auch das Dresdner Bündnis "Hope – fight racism" rief am Donnerstagabend zu einer Mahnwache gegen rechte Gewalt auf. Diese fand um 18 Uhr am Jorge-Gomondai-Platz in der Neustadt statt. Für 19 Uhr war außerdem eine Demonstration auf dem Albertplatz und ein Friedensgebet in der Dreikönigskirche geplant.

>>> Weitere Infos zu den Veranstaltungen

Merkel: "Rassismus ist ein Gift. Hass ist ein Gift"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit einem deutlichen Statement Stellung zum Anschlag bezogen. „Rassismus ist ein Gift. Hass ist ein Gift, das in unserer Gesellschaft existiert“, sagt Merkel am Donnerstagmittag. Sie sprach den Angehörigen der Opfer ihre tiefste Anteilnahme aus.

Auch wenn es noch keine abschließende Klarheit gebe, weise derzeit alles darauf hin, dass der Täter aus rechtsextremen, rassistischen Motiven gehandelt habe, so die Kanzlerin. Aber „wir unterscheiden nicht nach Hautfarbe und Religion. Wir stellen uns all jenen entgegen, die unser Land spalten wollen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich am Donnerstag im Bundeskanzleramt zum Anschlag in Hanau. 
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich am Donnerstag im Bundeskanzleramt zum Anschlag in Hanau.  © Kay Nietfeld/dpa

Die Kanzlerin sagte wegen des Gewaltverbrechens außerdem einen geplanten Besuch in Sachsen-Anhalt ab. Sie werde an diesem Donnerstag nicht wie geplant zum Amtswechsel an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina nach Halle fahren, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert im Kurznachrichtendienst Twitter mit. "Die Bundeskanzlerin lässt sich fortlaufend über den Stand der Ermittlungen in Hanau unterrichten." Zuvor hatte er getwittert: "Die Gedanken sind heute Morgen bei den Menschen in Hanau, in deren Mitte ein entsetzliches Verbrechen begangen wurde." Er fügte hinzu: "Tiefe Anteilnahme gilt den betroffenen Familien, die um ihre Toten trauern." Seibert äußerte die Hoffnung, dass die Verletzten bald wieder gesund werden.

Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) wird am Donnerstag nicht wie geplant an einem Treffen zur Digitalisierung in der Verwaltung teilnehmen. Ein Sprecher seines Ministeriums sagte, der Bundesinnenminister werde sich von einem Staatsekretär vertreten lassen. Seehofer wolle sich stattdessen fortlaufend über die neuesten Entwicklung in dem Fall informieren lassen.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hat das Gewaltverbrechen ebenfalls als furchtbares Verbrechen bezeichnet. Es schockiere, mache sprachlos und "unendlich traurig", sagte der Regierungschef am Donnerstag in Wiesbaden. Die Taten in Hanau seien ein Verbrechen, das in seiner Dimension außergewöhnlich sei.

"Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir Einiges wissen, vieles noch nicht", erklärte Bouffier. Es werde sehr viel spekuliert. Bouffier rief die Bürger auf, sich nicht an diesen Spekulationen zu beteiligen. Es sei noch zu früh für eine Beurteilung der Lage.

Er habe am Morgen bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefoniert, um sie über die vorliegenden Erkenntnisse zu informieren, sagte Bouffier.

Rassistischer Terror in Deutschland 

  • Halle, Oktober 2019: Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur will ein schwerbewaffneter Deutscher eine Synagoge stürmen. Eine schwere Holztür verhindert ein Blutbad. Vor der Festnahme erschießt der 27-Jährige zwei Unbeteiligte. Er gesteht rechtsextreme und antisemitische Motive.

Rassistischer Terror in Deutschland

  • München, Juli 2016: Am Olympia-Einkaufszentrum in München erschießt ein 18-Jähriger neun Menschen und sich selbst. Die meisten Opfer sind Jugendliche mit südosteuropäischen Wurzeln. Motive des Täters mit deutscher und iranischer Staatsbürgerschaft: Mobbing, psychische Probleme und rechtsradikale Ansichten. Die Waffe hatte er sich im sogenannten Darknet besorgt.

Rassistischer Terror in Deutschland

  • Düsseldorf, Juli 2000: Bei einem Attentat auf Zuwanderer aus Osteuropa werden zehn Menschen verletzt, ein ungeborenes Kind stirbt. Der Sprengsatz war an der S-Bahn-Station Wehrhahn befestigt. Das Landgericht spricht einen Verdächtigen mit Kontakten in die rechte Szene wegen «dürftiger Beweislage» Mitte 2018 frei. Die Tat ist weiter ungeklärt.

Rassistischer Terror in Deutschland

  • Solingen, Mai 1993: Bei einem Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Großfamilie werden fünf Frauen und Mädchen getötet, 14 Menschen verletzt. Die vier Täter aus der Solinger Neonaziszene werden wegen Mordes verurteilt.

Rassistischer Terror in Deutschland

  • Mölln, November 1992: Neonazis setzen ein von Türken bewohntes Haus in der schleswig-holsteinischen Stadt in Flammen. Drei Frauen sterben. Ein Täter muss lebenslänglich in Haft, sein jugendlicher Komplize zehn Jahre.

Rassistischer Terror in Deutschland

  • München, Februar 1970: Sieben Menschen sterben bei einem nächtlichen Brandanschlag auf das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde. Brennendes Benzin hatte den Opfern den Fluchtweg versperrt. Wer für das Attentat auf die jüdischen Bewohner verantwortlich ist, wird nie geklärt. (dpa)

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"Der rassistische Anschlag von Hanau ist kein Unfall"

Ähnlich wie Steinmeier und Bouffier äußerten sich auch andere Spitzenpolitiker aus Berlin. SPD-Chefin Saskia Esken nannte die Tat "entsetzlich". Sie sprach auf Twitter von "rechtem Terror". "Viel zu lange haben wir uns davor gescheut, es mit klaren Worten zu benennen", schrieb Esken. FDP-Chef Christian Lindner betonte auf Twitter: Der "offenbar rassistische Terror" von Hanau sei erschütternd. "Dem Rechtsextremismus müssen wir uns mit aller Entschlossenheit entgegen stellen", mahnte Lindner.

Die Generalsekretäre von CDU und CSU, Paul Ziemiak und Markus Blume zeigten sich auf Twitter "fassungslos". Linke-Parteichefin Katja Kipping twitterte in deutscher, türkischer und kurdischer Sprache: "Wir trauern". In einem weiteren Tweet meinte Kipping mit Verweis auf die AfD: "Der rassistische Anschlag von Hanau ist kein Unfall. Solche Taten werden angefeuert von rechter Hetze, die von "wohltemperierter Grausamkeit" (Höcke) und "Remigration" redet und Menschen ihre Würde abspricht. 

Ebenso wie die Linken-Politikerin griff auch Michael Roth von der SPD die AfD scharf an. "Das Milieu von Taten wie in Hanau wird ideologisch genährt von Faschisten wie Höcke", schrieb der Staatsminister im Auswärtigen Amt am Donnerstag auf Twitter mit Blick auf den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. "Demokratieverachtung, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus & Islamfeindlichkeit fallen auf fruchtbaren Boden." Deshalb bleibe er dabei: "Die AfD ist der politische Arm des Rechtsterrorismus!"

In einem anknüpfenden Tweet schrieb Roth über "die größte Bewährungsprobe seit Nationalsozialismus & RAF-Terrorismus". Er forderte umgehend ein gemeinsames Vorgehen aller demokratischen Kräfte, um den freiheitlichen Rechtsstaat wehrhafter zu machen "gegen seine rechtsterroristischen Feinde".

Dritter rechtsextremer Anschlag innerhalb eines Jahres

Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock twitterte: "Was für eine furchtbare Nachricht." Es sei gut, dass wegen des "offenbar rassistischen Hintergrunds" die Bundesanwaltschaft jetzt ermittele.

Die AfD-Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, schrieb auf Twitter von einer "schrecklichen Tat" und ergänzte: "Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Den Verletzten wünsche ich schnelle und vollständige Genesung." Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski fragte über den Kurznachrichtendienst: "Ist das wirklich noch das 2017 von der Merkel-CDU beschworene "Deutschland in dem wir gut und gerne leben"?

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) rief unterdessen zu verstärktem Kampf gegen rechten Terror aufgerufen. "Rechtsterrorismus ist wieder zu einer Gefahr für unser Land geworden", betonte Maas am Donnerstag auf Twitter. Es sei längst Zeit zu erkennen: "Demokratie muss sich wehren gegen die Feinde der Freiheit." Das gelte für den Rechtsstaat. "Das gilt aber auch für uns alle."

Wenn sich der Verdacht erhärte, sei die grauenhafte Tat in Hanau der dritte rechtsextreme Mordanschlag in Deutschland in einem Jahr, so Maas mit Blick auf die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und den Anschlag in Halle.

Gauland wirft anderen Parteien Instrumentalisierung von Hanau vor

AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland hat Vorwürfe mehrerer Parteien nach einer indirekten Mitverantwortung seiner Partei AfD mit Blick auf den Anschlag in Hanau zurückgewiesen. "Ich halte es für schäbig, in der Phase so etwas zu instrumentalisieren", sagte Gauland am Donnerstag in Potsdam. "Man kann nicht etwas instrumentalisieren, was so furchtbar ist und wo wir nicht wissen im Moment, was diesen offensichtlich völlig geistig verwirrten Täter bewogen hat, so zu handeln."

Auf die Frage, ob es einen Zusammenhang etwa von Äußerungen aus der AfD-Bundestagsfraktion mit der Tat in Hanau gebe, sagte Gauland vor Journalisten: "Das hat bestimmt nichts mit Bundestagsreden zu tun."

Ein Projektil in unmittelbarer Nähe des Tatorts am Heumarkt.
Ein Projektil in unmittelbarer Nähe des Tatorts am Heumarkt. © dpa

Reaktionen auch aus Sachsen

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sieht unterdessen eine neue Herausforderung für die deutschen Sicherheitsbehörden. Solche Taten zeigten, dass "wir es zunehmend mit Einzeltätern zu tun haben, die über einen langen Zeitraum unauffällig bleiben und sich im Verborgenen radikalisieren", sagte Wöller am Donnerstag in Dresden. Auf diese neue Herausforderung des "Täterprofils mit langer Inkubationszeit" müssen sich die Sicherheitsbehörden einstellen: "Dazu gehören auch hinreichend gesetzliche Befugnisse zur Gefahrenabwehr."

>>> Weitere Reaktionen sächsischer Politiker auf den Anschlag in Hanau

Karnevalisten sagen Umzug ab

Der Hanauer Faschingsumzug an diesem Samstag wird wegen des Gewaltverbrechens  abgesagt. Das teilte der Hanauer Carnevalszug Verein (HCV) am Donnerstag auf seiner Seite im sozialen Netzwerk Facebook mit: "Wir drücken hiermit den Hinterbliebenen der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aus!" Die Stadt Hanau bestätigte die Absage.

Die Kölner Karnevalisten gedachten der Opfer am Donnerstag unterdessen mit einer Schweigeminute. Das Kölner Dreigestirn aus Prinz, Bauer und Jungfrau und die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker haben am Donnerstag mit einem Schweigemoment im Historischen Rathaus innegehalten, bevor sie anschließend um 11.11 Uhr den Straßenkarneval offiziell eröffneten. Reker sprach den den Angehörigen der Opfer, den Verletzten und allen Hanauern ihre tief empfundene Anteilnahme aus. "Hier in Köln wollen wir in den kommenden Tagen das Leben feiern, wie wir es jedes Jahr machen", sagte die parteilose Politikerin, die 2015 selbst von einem fremdenfeindlichen Attentäter lebensgefährlich verletzt worden war. Das "furchtbare Ereignis" in dem nur 200 Kilometer entfernten Hanau bedrücke alle Feiernden "auf ganz besondere Weise", sagte Reker. 

Gedenkminute bei Berlinale

Mit einer Gedenkminute für die Opfer der Gewalttat von Hanau haben in Berlin die Internationalen Filmfestspiele begonnen. Zum Auftakt der 70. Berlinale sprach sich die Festivalleitung für Toleranz, Respekt, Offenheit und Gastfreundschaft aus. "Wir sind in unseren Gedanken bei den Opfern, bei den Familien in Hanau", sagte Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek am Donnerstagabend.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters rief dazu auf, die Berlinale auch als vielstimmige Demonstration gegen Ausgrenzung und gegen Rassismus zu begreifen. "Nie wieder sollten Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe in Deutschland um ihr Leben fürchten müssen", sagte die CDU-Politikerin und fügte hinzu: "Die Wirklichkeit sieht anders aus."

Die Staatsministerin begründete dies damit, dass nicht zuletzt "neue politische Kräfte nationalsozialistische Verbrechen relativieren und mit Hetzparolen Ressentiments schüren". Niemals dürfe es eine "wie auch immer geartete politische Zusammenarbeit mit diesen rassistischen und völkischen Kräften geben. Nirgendwo". Dafür bekam Grütters lang anhaltenden Beifall, die Gäste erhoben sich von ihren Plätzen. (dpa)