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Wenn die eigenen Eltern zuschlagen

Häusliche Gewalt ist weitverbreitet. Ein Pirnaer Sozialarbeiter fordert eine kostenlose Rufnummer. Die Polizei sei als Ansprechpartner ungeeignet.

Von Luisa Zenker
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Häusliche Isolation, Beleidigungen, Geldverweigerung oder Ohrfeigen - Häusliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche kann verschiedene Formen annehmen.
Häusliche Isolation, Beleidigungen, Geldverweigerung oder Ohrfeigen - Häusliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche kann verschiedene Formen annehmen. ©  Foto: dpa

Ein junges Mädchen wählt am Abend eine Nummer, weil ihr Vater sie geschlagen hat. Doch der Anruf läuft ins Leere. Ein Jugendlicher will telefonieren, weil er von seinen Eltern belästigt wurde. Aber er hat kein Geld mehr auf der Handykarte. Beide Kinder werden nicht gehört, denn die einzige Möglichkeit wäre es, bei der Polizei anzurufen. Doch wer zeigt schon gern seine eigenen Eltern bei der Polizei an?

Was hier fiktiv erdacht ist, kann in Wirklichkeit passieren, aber niemand bemerkt es. Ein Problem, das Sozialarbeiter Rocco Geißdorf vom Jugendverein "Hanno" in Pirna gerade jetzt stärker öffentlich thematisieren möchte. Denn es gebe zwar Rufnummer mit Hilfsangeboten für solche Fälle, aber keine davon sei kostenlos und noch dazu rund um die Uhr besetzt. Das müsse sich ändern.

Wozu ist die Nummer gegen häusliche Gewalt da?

Derzeit gibt es eine Beratungsnummer bei häuslicher Gewalt, die vom Landkreis Sächsische-Schweiz-Osterzgebirge angeboten wird. Die Aufgabe übernimmt der Verein Sozialdienst katholischer Frauen (SKF). Die Rufnummer richtet sich an alle, insbesondere Kinder und Jugendliche, die eine Beratung bei Gewaltdelikten brauchen. Wer dabei nur an die Ohrfeige denkt, liegt falsch: Häusliche Gewalt kann verschiedene Formen annehmen. Sie kann sexueller, psychischer, physischer, ökonomischer oder sozialer Natur sein.

Was ist das Problem an der Rufnummer?

Die Nummer ist zu regulären Öffnungszeiten unter der Woche erreichbar. Doch laut Rocco Geißdorf geschähen viele Gewalthandlungen eher am Abend oder am Wochenende. Er fordert deshalb eine Hotline, die jederzeit erreichbar ist. Doch eine ganztägige Nummer sei derzeit nicht möglich, erklärt Maria Dabrunz vom SKF. Dazu fehle das Personal.

Sozialarbeiter Rocco Geißdorf fordert außerdem, dass die Nummer kostenlos erreichbar sein sollte. Die Gleichstellungsbeauftrage Theresa Schubert und Maria Dabrunz vom SKF halten das für eine gute Idee. "Uns rufen oft Jugendliche an, die fragen, ob wir sie zurückrufen, weil sie kein Geld auf dem Handy haben", erklärt Maria Dabrunz und verweist darauf, dass nicht jeder eine Flatrate habe.

Gibt es andere kostenlose Nummern, die jederzeit erreichbar sind?

Das Landratsamt verweist darauf, dass Kinder und Jugendliche auch die Polizei anrufen könnten. Oder aber die deutschlandweite Nummer gegen Kummer. Die Gleichstellungsbeauftrage vom Landkreis gibt aber zu Bedenken, dass viele Kinder Angst hätten, die Polizei zu rufen. Die Hemmschwelle sei einfach zu hoch.

Und Maria Dabrunz vom SKF berichtet: "Bei uns rufen viele Kinder an, die sich unsicher sind, ob das überhaupt Gewalt ist, was sie da erleben." Viele der betroffenen Jugendlichen wüssten nicht um ihre Rechte. Ebenso sei die bundesweite Nummer gegen Kummer nicht die richtige Lösung. Diese Hotline behandle vielmehr alle möglichen Probleme, auch Liebeskummer, Eifersucht oder Krankheit.

Wie ist die Lage angesichts von Corona?

Gerade jetzt im Lockdown über Weihnachten warnen viele Experten vor zunehmender häuslicher Gewalt. Und auch Teresa Schubert sowie Maria Dabrunz stellen fest, dass die Anzahl an Anrufen hoch sei. Doch Maria Dabrunz vom SKF macht auch darauf aufmerksam, dass es zur Zeit schwieriger wäre, die Kinder zu erreichen: "Viele Jugendtreffs haben geschlossen. Veranstaltungen, in denen man sonst den Jugendlichen nahe kommt, sind abgesagt."

Wie reagiert der Landkreis auf die Forderung?


Alle wichtigen Nummern im Überblick für den Landkreis