Das sind die neuen Kleingärtner in Sachsen

Eine Kolonne von Schubkarren bewegt sich durch die Gänge zwischen den blühenden Forsythien-Hecken hindurch. Die meisten Karren sind voll mit Ästen und Laub, das an diesem kühlen Morgen gegen einen schmalen Taler im großen Container entsorgt werden kann. Vor allem die älteren Gartenfreunde in der Kleingartenanlage "Alte Elbe" im Dresdner Süden nehmen dieses Angebot gern wahr, weil sie sich so den mühsamen Weg zum Wertstoffhof sparen.
Auch Sandra und Mirko sind früh aufgestanden. In ihre Schubkarren stapeln sie allerdings Zementsäcke und Betonsteine, die sie vom Eingang der Gartenanlage aus zu ihrer Parzelle bewegen. Die beiden wollen ihre Laube vergrößern. Erst im Dezember haben die 36-Jährige und ihr 38-jähriger Freund den Garten übernommen, nachdem der vorherige Pächter ihn altersbedingt aufgegeben hatte. Mirko hat Erfahrung mit dem Gärtnern. Jahrelang half er seinem Vater in dessen Garten in einer anderen Ecke der Stadt. Mit über 80 hat der nun aber die Harke aus der Hand gelegt.

Auf ihrem neuen Stück Grün begannen Sandra und Marko sogleich damit, Teile des Rasens abzustechen, um pflichtgemäß die Anbaufläche für Obst und Gemüse zu erweitern. Außerdem legten sie ein Hügelbeet an, das momentan zwar noch eher an ein überdimensionales Grab erinnert, aber immerhin schon mit Frühblühern bepflanzt ist. Nun also steht der Laubenausbau an, wobei die beiden von Anfang an die Regeln im Blick behalten. Laut Bundeskleingartengesetz, Paragraf 3, ist eine Laube in einfacher Ausführung mit höchstens 24 Quadratmetern Grundfläche zulässig – einschließlich überdachtem Freisitz. Da bleiben die beiden locker drunter. Vorerst stapeln sie das Baumaterial auf dem Linoleumboden, interessiert beobachtet von ihrem zweijährigen Töchterchen Juna und Möpsin Gerda. Ist der Ausbau erst fertig, kann die Gartensaison für die Familie so richtig beginnen.
Am Gartenzaun steht der Vereinschef und nickt zufrieden. "Das sind echte Vorzeige-Neupächter", sagt Erik Schütze, der den Tag des Arbeitseinsatzes nutzt, um Bestätigungen für diverse Bauanträge zu verteilen. "Liebesbriefe", wie er sie gern nennt. Obwohl er selbst erst 31 ist, führt er die traditionsreiche Kleingartenanlage bereits seit fünf Jahren. Der Verein "Alte Elbe" wurde 1927 gegründet und umfasst heute 126 Parzellen.

Die Nachfrage nach Kleingärten ist in Dresden groß und durch die Einschränkungen in der Pandemiezeit noch einmal spürbar gestiegen. Längst nicht jeder Wunsch kann daher sofort erfüllt werden. Auf Schützes Warteliste stehen derzeit um die 25 Namen – alles junge Leute, wie er sagt, die meisten mit Kindern. Auch Sandra und Mirko hatten sich vergangenen Sommer zunächst auf die Liste setzen lassen, bevor sie fünf Monate später zum Zug kamen. "Die Fluktuation ist gerade recht hoch", sagt Schütze. "Der Generationswechsel ist in vollem Gange." Etwa ein Drittel der Parzellen würden inzwischen von Pächtern unter 40 Jahren beackert, schätzt er.
Schon ein Jahr vor Beginn der Corona-Pandemie kam die Studie "Kleingärten im Wandel" im Auftrag des Bundesinnenministeriums zu dem Ergebnis, dass das Interesse am Gärtnern in großen Städten spürbar wachse, insbesondere bei den jungen Leuten. "Insgesamt spiegelt sich darin auch ein zunehmendes Bedürfnis wider, sich mehr für den Natur- und Umweltschutz zu engagieren und Grün- und Freiflächen gerade in den Ballungszentren als Orte der Erholung und Entspannung zu nutzen, zu sichern und attraktiver zu machen", heißt es in der Studie.
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Kleingarten-Land Nummer eins
Anders ausgedrückt: Während die Kleingärten früher vor allem dazu dienten, sich mit Obst und Gemüse zu versorgen, das es nicht ausreichend zu kaufen gab, ist dieser Nutzen in den Hintergrund gerückt. Gurken und Tomaten gibt es jetzt das ganze Jahr über im Supermarkt. Wenn sich nun jedoch viele Gärtner fragen, ob sie sich das lästige Jäten deswegen sparen können, sind Konflikte unausweichlich. Steht doch die "Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf" laut Gesetz noch immer im Mittelpunkt des Kleingartenwesens.
Sachsen ist mit rund 200.000 Mitgliedern Deutschlands Kleingarten-Land Nummer eins. Zum Vergleich: Das sind mehr als in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Hessen zusammen. Allein die Zahl von derzeit 3.670 Kleingartenvereinen im Freistaat macht Eindruck, allerdings unterscheidet sich die Situation in den Großstädten immens von der in ländlicheren Regionen. Dort nämlich stehen auch in Sachsen viele Parzellen leer. Das Angebot ist weit größer als die Nachfrage. Zahlreiche Vereine kämpfen deshalb um ihre Zukunft.

"Wir haben einen riesigen Überbestand aus DDR-Zeiten übernommen, wo die Kleingärten auch ein Überdruckventil für die fehlende Reisefreiheit waren", sagt Tommy Brumm, Präsident des Landesverbandes Sachsen der Kleingärtner. Seit der Wende seien schon mehr als 25.000 Parzellen im Freistaat zurückgebaut worden. In den kommenden 15 Jahren würden weitere 30.000 verloren gehen, schätzt er. Was sich dramatisch anhört, ist in erster Linie ein Gesundschrumpfen – in der Realität aber oft ein schmerzhafter Prozess.
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Von engagierten jungen Gärtnern, die sich zuhauf um Parzellen bewerben und die Zukunft mitgestalten wollen, kann zum Beispiel Rudi Schulze nur träumen. Der 69-Jährige leitet den Verein "Wiesengrund" in Hoyerswerda, der in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiert, wobei aber keine großen Feierlichkeiten geplant sind. 81 Parzellen gibt es hier. "Eigentlich müsste ich die Hälfte rausschmeißen", sagt Schulze, der die Anlage Anfang der 1980er-Jahre selbst mit aufgebaut hat. So trist wie gerade sah sie nie aus. Die einen lassen ihren Garten verwildern, die anderen pfeifen auf die Pflicht zum Anbau von Obst und Gemüse und verteilen stattdessen massenhaft bunte Kieselsteine in ihren Parzellen. In etlichen Fällen laufen Mahnverfahren und Räumungsklagen. Wer seinen Garten freiwillig aufgibt und zwei Jahre lang keinen Nachpächter findet, der wenigstens einen symbolischen Euro zahlt, der muss sich selbst um den Rückbau der oftmals massiven Laube kümmern. Das kostet allerdings einige Tausend Euro.

Etliche grüne Wiesenflächen werden nur noch ab und zu von Nachbarn gemäht. Am liebsten würde Schulze ein Drittel der gepachteten Gesamtfläche an die Stadt zurückgeben. Vielen der rund 50 Kleingartenvereine in und um Hoyerswerda geht es ähnlich. Aber wie ist die Wende zu schaffen? Auf die jungen Leute zählt Schulze nicht. "Die wissen doch nicht mehr, wie man anpackt, und diskutieren erst einmal endlos, bevor sie einen Spaten in die Hand nehmen." Einsatz für Gemeinschaft könne man von denen leider nicht erwarten. Zum Beweis zeigt er zerfetzte Trampoline und Gärten, die zwar mit Schaukeln und Sandkästen ausgestattet sind, aber kein einziges Beet zu bieten haben. Seine Frau habe ihn schon gefragt, warum er sich das alles noch antue, sagt Vereinschef Schulze, aber das sei nun mal seine Aufgabe.
Auch Dietmar Klinger umtreibt die Sorge um die Zukunft seiner Kleingartenanlage. Seit 2009 führt der inzwischen 70-Jährige den Verein "Spreequelle" in Neugersdorf. Von ursprünglich sieben Vorstandsmitgliedern sind hier nur noch vier übrig, die sich die Aufgaben teilen. Keiner von ihnen ist unter 60. Das jedoch soll sich möglichst bald ändern. Ein Kandidat für den Chefposten, auf den Klinger große Stücke hält, ist Jens Weber, ein Mann von geradezu jugendlichen 49 Jahren. Erst im vergangenen Herbst übernahm er eine Parzelle in der Anlage und signalisierte leise die Bereitschaft, Aufgaben zu übernehmen. Damit war sein Weg in den Vorstand quasi schon geebnet. Eine Webseite für den Verein hat er bereits gestaltet. Sollte Weber bei der Wahl im kommenden Jahr die meisten Stimmen erhalten, wird es eine seiner ersten und wichtigsten Aufgaben sein, weitere junge Leute um sich zu versammeln. Vielleicht kann er ja gleich seinen Sohn Nico mit einbinden. Der 20-Jährige hilft seinem Vater schon jetzt bei der Erneuerung des Laubendachs und könnte den Altersschnitt an der Vereinsspitze enorm nach unten drücken. Zum Verein gehören inzwischen bereits etwa 25 Kinder. Tendenz: langsam steigend.

Dietmar Klinger macht keinen Hehl daraus, dass ihm nicht an einer Revolution gelegen ist. "Wir brauchen hier keine Spielplätze zur Belustigung, sondern die kleingärtnerische Nutzung soll weiterhin im Vordergrund stehen", betont er. Öffnen müsse man sich trotzdem – und dabei möglichst früh ansetzen. Zum Gartenfest im Sommer werden Kindergartenkinder eingeladen, die ein Programm aufführen. Als Dank erhält die Einrichtung den Erlös eines kleinen Bauernmarktes, für den die Pächter Gemüse aus eigener Ernte bereitstellen. Eine ungenutzte Parzelle wurde außerdem kostenfrei einer Abiturklasse zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug leisten die Schüler 20 Arbeitsstunden auf dem Vereinsgelände. Gemüse anbauen müssen sie in ihrem Garten nicht. Ein anfangs geplantes Hochbeet ist auch nach zwei Jahren nur zur Hälfte mit Gestrüpp gefüllt.
Dass neue Pächter wie Ronny und Peggy Müller mit ihren sechs Kindern und großem Elan als erstes einen Gartenteich anlegten und einen Traktorreifen bepflanzten, nimmt Klinger in Kauf, auch wenn er lieber nicht zu genau hinschaut.

Ein Schicksal wie das der Neugersdorfer Kleingartenanlage "Spreewäldchen" will Klinger seiner "Spreequelle" gern ersparen. Der kleine Verein mit zwölf Parzellen wird gerade aufgelöst. "Es ist so schade zu sehen, wie eine früher so schöne Anlage total verwildert ist", sagt die letzte Vorsitzende Daniela Flickrick. "Die Alten, die noch engagiert waren, sind gestorben oder mussten ihre Gärten aufgeben", so die 42-Jährige. "Und von den wenigen jungen Leute macht niemand mehr was."
In Ausnahmefällen kann in solchen Situationen ein Notvorstand durch den Verband gestellt werden. Immer deutlicher ist jedoch zu erkennen: In Teilen von Sachsens Kleingartenwelt muss sich Grundsätzliches verändern, damit dieses Kulturgut überall eine blühende Zukunft hat. Noch bis zuletzt galt der sächsische Kleingarten als Domäne der alteingesessenen Gärtner, die hier seit Jahrzehnten auf Ordnung und Mittagsruhe achteten und das Bild vom spießigen Laubenpieper prägten.
Sprachlos und kopfschüttelnd
In gewisser Weise tat man ihnen damit immer Unrecht, machten sie doch nichts anderes, als die Gesetze befolgen, durch die allein Kleingärtner in Deutschland Kleingärtner sein dürfen. Nur so können sie die Gemeinnützigkeit des Vereins und ihr eigenes Fleckchen Erde erhalten – mit Pachtkosten von wenigen Hundert Euro im Jahr.
Die neuen Mitglieder wurden von den Älteren anfangs äußerst skeptisch beäugt. Die wollen doch sicher nur Party machen und können sich an keine Regeln halten, war der Tenor. Wahrscheinlich bringen die riesige Pools und Trampoline mit und lassen den Löwenzahn sprießen, dessen Samen der Wind dann in der ganzen Anlage verteilt. Nach ein paar Monaten sind die eh wieder weg, sobald sie merken, dass ein Garten auch Arbeit macht.
Die jungen Gärtner belächelten im Gegenzug oftmals die Alteingesessenen für deren Gartenzwerge und bunte Streifenvorhänge vor den Türen. Die schneiden ihre Rasenkanten doch mit der Nagelschere und spritzen mit ihren Giftmischungen noch den letzten Marienkäfer tot, so die weit verbreitete Annahme.

Sprachlos und kopfschüttelnd lebten Alt und Jung lange Zeit in direkter Nachbarschaft und ihre einzige unausgesprochene Übereinkunft lautete: Die Alten behalten im Verein das Sagen, prüfen die Finanzen, kümmern sich um das Anstellen des Wassers und das Ablesen der Stromzähler. Warum? Weil die das einfach schon immer gemacht haben und die Jungen weder Ahnung von noch Lust oder Zeit für derartige Aufgaben haben.
Nun allerdings zeigen die Gärtner der Generationen u40 vielerorts, dass sie durchaus gewillt sind, Verantwortung zu übernehmen. Zumindest in der Großstadt. Als der Vorsitzende des Kleingartenvereins "Friedenseck" in der Dresdner Neustadt krankheitsbedingt seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen konnte, beschloss die Mitgliederversammlung als höchstes Gremium eine Neuwahl. Zur Vereinsvorsitzenden wurde die 39-jährige Jacqueline Wehlt bestimmt und auch alle anderen Ämter im Vorstand – vom Kassenwart bis zum Schriftführer – wurden mit jungen Leuten zwischen 26 und 43 besetzt.
Unterstützt durch den Dresdner Stadtverband machte sich das motivierte, aber unerfahrene Team an die Arbeit und begann, einige Dinge neu auszurichten. Die Vorstandssitzungen finden nun grundsätzlich virtuell statt. Dokumente sollen so weit wie möglich digitalisiert werden, E-Mails die Briefpost ersetzen. Außerdem ist eine grundlegende Überarbeitung der Vereinssatzung von 1994 geplant. "Wir wollen diese Welt nach unseren eigenen Vorstellungen gestalten", betont Jacqueline Wehlt. "Auf dem Weg werden wir aber auch die älteren Gärtner mitnehmen." Einmal im Monat gibt es künftig eine persönliche Sprechstunde.
"Am besten hineinwachsen"
Sachsens oberster Kleingärtner hofft darauf, dass der Generationswechsel stetig, aber nicht zu plötzlich voranschreiten wird. "Die jungen Gärtner sollten am besten langsam in ihre Aufgaben hineinwachsen", sagt Tommy Brumm. "Es ist nicht gut, wenn das zu schnell geht." Das bringe die Gefahr mit sich, dass unerfahrene Neulinge Regeln aufweichen und ohne Absprache mit dem Verband ihre Befugnisse überschreiten. Das verbotene Pflanzen von Parkbäumen oder die Errichtung von Schwarzbauten könnten die Zukunft des ganzen Vereins gefährden.
Ideal wäre es aus Brumms Sicht, wenn in den Vereinen die mittlere Generation um die 50 die Fäden in den Händen hielte, während die Älteren ihre Erfahrung und die Jüngeren ihre Ideen einfließen ließen. An den zuletzt angebotenen virtuellen Onlineschulungen hätten Gärtner aller Altersklassen Interesse gezeigt, sagt Brumm.

Um die wenigen zum Ehrenamt motivierten Gärtner nicht zu überfordern und damit rasch zu verschleißen, sollen die Kleingartenvereine in Sachsen künftig Verwaltungsaufgaben in professionelle Hände von Verbandsmitarbeitern abgeben können. Irgendwann wird der Zählerstand aus der Laube mit einem Klick an die Stelle geschickt, wo die Rechnungen erstellt werden. "Das ist das Ziel, wo wir hinwollen."
Die älteren Gärtner muss diese Vision nicht erschrecken. Natürlich dürfen sie auch weiterhin ihre Gartenzwerge aufstellen, nur sollten sie vielleicht noch ein wenig mehr darüber nachdenken, ob "diese Jugend von heute" nicht vielleicht doch ein Gewinn für ihre Gemeinschaft sein kann. Ihre Zukunft ist sie allemal.