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Die neue Sicht auf die Wechseljahre

Noch nie waren so viele Frauen wie jetzt in der Hormonumstellung. Allein in Sachsen sind es mindestens 388.000. Kaum eine weiß, was da eigentlich mit ihr passiert. Aber fast alle eint die große Angst vor der Hormonersatztherapie. Wie begründet ist sie?

Von Susanne Plecher
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Die Wechseljahre werden auf einmal zum Thema. Es gibt Podcasts und Dokus. Die Wechseljahre müssen raus aus der Tabuzone
Die Wechseljahre werden auf einmal zum Thema. Es gibt Podcasts und Dokus. Die Wechseljahre müssen raus aus der Tabuzone © Getty Images

Das Brennen kommt aus der Mitte und durchwandert den Körper, bis es sich in den Finger- und Zehenspitzen ausläuft. Ein Feuer, als müsste der Körper etwas aus sich heraustreiben. Kalter Schweiß selbst auf den Unterarmen. So fühlt sich eine Hitzewelle in den Wechseljahren an. Sie kommt immer unpassend, mitten in der Nacht, beim Meeting im Büro, beim Elternabend. In den Kühlschrank könnte frau kriechen, stünde einer herum. Aber, wer will so was wissen?

Hitzewellen nerven. Sie sind das Hauptsymptom der Wechseljahre, die generell alles andere sind als sexy. Frau fühlt sich schlapp, wattig im Kopf, fremd im eigenen Körper. Plötzlich alt. Die Gelenke tun weh. Der Schlaf ist brüchig, die Stimmung gereizt. Dazu haben etliche eklatante Probleme, ihr Gewicht zu halten. Als wäre das nicht alles schon schrecklich genug, wachsen auf einmal auch noch Haare, wo bislang keine waren. Gute Gründe, um über den ganzen Schlamassel öffentlich kein Wort zu verlieren, so wie das Generationen von Frauen bislang gehalten haben. Oder?

„Ganz im Gegenteil. Die Wechseljahre müssen raus aus der Tabuzone“, sagt Dr. Katrin Schaudig, Gynäkologin aus Hamburg. „Ich kann Ihnen auch sagen warum: weil wir so viele sind. Die Gruppe der Frauen, die jenseits der 50 sind, war noch nie so groß. Sie wollen wahrgenommen und gehört werden. Früher hat man zum alten Eisen gehört. Das ist jetzt nicht mehr so.“

Frauen in den Wechseljahren stehen mit beiden Beinen im Leben und gehen heute selbstbewusster mit dem Thema um.
Frauen in den Wechseljahren stehen mit beiden Beinen im Leben und gehen heute selbstbewusster mit dem Thema um. © iStock 1007231682

Die Gesellschaft überaltert. Aus Bevölkerungspyramiden ist längst ein wulstiger Pilz geworden. Die dickste Stelle bilden die 45- bis 60-Jährigen. Sind Frauen in dieser Lebensphase, sind sie entweder kurz vor den Wechseljahren, stecken mitten drin oder haben sie gerade hinter sich gebracht. Das betrifft derzeit etwa neun Millionen Frauen in Deutschland. Mindestens 388.000 davon leben in Sachsen. Aber kaum eine weiß, was in ihrem Körper vorgeht. „Wir gehen davon aus, dass 50 bis 80 Prozent nicht gut genug informiert sind“, sagt Schaudig. „Leider betrifft das auch viele Ärzte.“

Katrin Schaudig ist Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft. Ja, so was gibt’s. Schon seit 1996. Mit mehr als 3.100 Mitgliedern, hauptsächlich Gynäkologen, aber auch Hausärzten, Internisten und Psychologen, ist die DMG eine große wissenschaftliche Fachgesellschaft. Sie hat begonnen, auf ihre Arbeit intensiver aufmerksam zu machen: Sie veranstaltet eine große Fachtagung an diesem Wochenende, hat am 18. Oktober, dem Weltmenopausetag – ja, auch den gibt’s –, bei einem fraktionsübergreifenden parlamentarischen Abend im Bundestag über Frauengesundheit und Wechseljahre gesprochen. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Bei der ersten Online-Infoveranstaltung der DMG für Laien Ende Oktober hatten die zugeschalteten Frauen so viele Fragen, dass zwei Stunden nicht ausreichten. Auch hier wird es Fortsetzungen geben.

Wechseljahre können schon ab Anfang 40 beginnen

Die Wechseljahre werden auf einmal zum Thema. Geo Wissen hat dazu ein ganzes Heft veröffentlicht, es gibt Podcasts und Dokus. Prominente, so wie kürzlich Naomi Campbell, trauen sich aus der Deckung und berichten über ihre Beschwerden. Sach- und Ratgeberbuchverlage listen etliche Titel wie „Die gereizte Frau“, „Midlife“ oder „Das Menopause Manifest“. Einige haben es auf die Spiegel Bestsellerliste gebracht. Besonders erfolgreich war das Buch „Woman on Fire“ von Frauenärztin Sheila de Liz aus Wiesbaden. Dass sich nur so wenige Frauen mit den Wechseljahren auskennen, sei für sie ein Skandal gewesen. „Ich will, dass jede Frau gut informiert ist und ihre Optionen kennt“, erklärt sie ihre Motivation. 380.000 Exemplare sind seit September 2021 verkauft worden, inzwischen ist die 21. Auflage auf dem Markt. Es war wohl Zeit für ein solches Buch.

Was viele offenbar wirklich nicht wissen, ist, dass die Wechseljahre, die auch als Klimakterium oder Perimenopause bezeichnet werden, schon ab Anfang 40 beginnen können. In Ausnahmefällen gehen sie noch eher los. „Die ersten Anzeichen werden oft übersehen, weil die meisten Frauen voll in familiäre und berufliche Herausforderungen eingebunden sind“, sagt Katrin Schaudig. Dass die Monatsblutungen in sehr stressigen Zeiten gelegentlich schwanken, kommt vor. Doch wer in diesem Alter zusätzlich plötzlich Schlaf- und Konzentrationsprobleme hat, die länger andauern und die es vorher nicht gab, sollte aufmerksam werden. Das gelte auch für depressive Verstimmungen oder die tiefe Erschöpfung, die die hormonelle Umstellung auslösen kann. „Ich wette, dass die meisten Frauen in den Burn-Out-Kliniken zwischen Anfang 40 und Ende 50 sind“, sagt Sheila de Liz. „Es darf nicht passieren, dass Frauen in die Psychoecke geschoben werden, weil keiner die Symptome erkennt“, so DMG-Präsidentin Schaudig.

Es geht ihr um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Frauen. Aber es hat auch eine volkswirtschaftliche Relevanz, wenn die Betroffenen falsche Therapien erhalten. Frauen in der Lebensmitte sind Leistungsträgerinnen mit langjähriger Berufserfahrung. Viele arbeiten im Dienstleistungssektor, in der Bildung und in der Pflege – all das sind systemrelevante Bereiche. Nun kann sich jeder selbst ausmalen, wie kreativ, gut gelaunt und produktiv man ist, wenn man nachts nicht mehr zur Ruhe kommt.

© SZ

Wann die Wechseljahre tatsächlich beginnen, ist von Frau zu Frau verschieden. Auch, wie sehr sie die Symptome als Belastung empfinden. „Untersuchungen zeigten, dass 20 Prozent wenige, 50 Prozent vorübergehende und 30 Prozent starke, dauerhafte Beschwerden haben“, sagt Professorin Pauline Wimberger. Sie leitet die Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der TU Dresden und gibt eine kurze Übersicht über die Plagen, auf die sich jede einstellen sollte.

Dass sich mehr Falten bilden, weil die Haut weniger Wasser einlagert, der Körper dafür mehr Fett, vor allem am Bauch ansetzt, sind noch die geringsten Probleme. Die Scheide wird trocken, damit sinkt nicht nur die Lust auf Sex, sondern das Risiko einer Harninkontinenz steigt. Auch das Osteoporoserisiko nimmt zu – jede Dritte leidet unter dem Knochenschwund. Die Merkfähigkeit kann abnehmen. Frauen können unter Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Migräne, Schmerzen, Abgeschlagenheit und Depressivität leiden. Was sich wie ein einziges Horrorszenario liest, ist völlig normal. „Das ist alles nichts Schönes. Aber keine Frau ist davor gefeit“, sagt Pauline Wimberger. Keine.

Etwa 400 Eisprünge gibt es im Leben einer gesunden Frau. Sind die Eier aufgebraucht, kommt das Hormonchaos. Denn im Lauf der Wechseljahre stellen die Eierstöcke die Produktion von Östrogen und Progesteron ein. Die letzte natürliche Blutung ist die Menopause. Sie tritt durchschnittlich mit 51 bis 52 Jahren ein. „Danach ist Ruhe“, sagt Katrin Schaudig.

Homöopathische Präparate können helfen

Im weiblichen Körper werden die Hormone von Follikeln gebildet, den Eibläschen. In der ersten Hälfte des Monatszyklus, wenn eines dieser Bläschen im Eierstock heranreift, steigt der Östrogenspiegel an. Mit dem Eisprung nimmt er abrupt ab. Aus dem geplatzten Eibläschen wird der Gelbkörper. Er ist für die nächsten 14 Tage zuständig für die Produktion von Gestagen, dem Gelbkörperhormon.

„Was früher präzise wie ein Uhrwerk funktionierte, kommt jetzt komplett durcheinander“, sagt Gynäkologin Dr. Anneliese Schwenkhagen, Vorstandsmitglied der DMG. „Statt Ebbe und Flut haben wir jetzt Tsunamis und Springfluten, die den Körper beuteln, vor allem am Anfang der Wechseljahre.“

Sind Sie schon drin?

Die Deutsche Menopause Gesellschaft hat eine Checkliste mit typischen Wechseljahressymptomen zusammengestellt. Beobachten Sie eines oder mehrere davon über einen längeren Zeitraum an sich, sind Sie sehr wahrscheinlich schon „drin“

  • Ihre Zykluslänge hat sich in den letzten Monaten verändert oder ist geschwankt.
  • Die Monatsblutungen waren in letzter Zeit unterschiedlich lang oder unterschiedlich stark.
  • Längere blutungsfreie Zeiträume sind bereits aufgetreten.
  • Ihre Stimmung war in den letzten sechs bis zwölf Monaten im Vergleich zu vorher beeinträchtigt.
  • In letzter Zeit haben sich Schlafprobleme entwickelt, die Sie vorher nicht kannten.
  • Auch Konzentrationsschwierigkeiten sind neu aufgetreten, die es vorher nicht gab.
  • Die Leistungsfähigkeit ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Sie haben Hitzewallungen, wenigstens gelegentlich.

Östrogene – es gibt etwa 30 verschiedene– und Progesteron sind nicht nur für den weiblichen Zyklus zuständig. Daher auch die multiplen Beschwerden, wenn sie plötzlich fehlen. Östrogene sind an der Blutdruckregulation beteiligt, beeinflussen den Zuckerstoffwechsel positiv und schützen vor Gefäßverkalkung. Gestagen wirkt beruhigend, angstlösend und schlaffördernd. Außerdem hat es vermutlich einen vorteilhaften Einfluss auf den Knochenaufbau, teilt Besins Healthcare, ein Hormonpräparatehersteller, mit.

Wer zu den 20 Prozent der Frauen gehört, die kaum unter der Hormonumstellung leiden, kann sich glücklich schätzen. Doch auch die restlichen vier Fünftel müssen all die Beschwerden nicht einfach nur ertragen. Zähne zusammenbeißen und irgendwie da durchkommen – das war einmal. Oder sollte einmal gewesen sein, wenn es nach den Fachleuten geht.

Hitzewellen nerven. Sie sind das Hauptsymptom der Wechseljahre, die generell alles andere sind als sexy.
Hitzewellen nerven. Sie sind das Hauptsymptom der Wechseljahre, die generell alles andere sind als sexy. © Astellas Pharma GmbH

Um die Beschwerden zu lindern, könne man zunächst homöopathische Präparate ausprobieren, rät Pauline Wimberger. „Auch Arzneipflanzen wie Traubensilberkerze und Mönchspfeffer haben eine lindernde Wirkung“, sagt Maret Hoffmann von der Sächsischen Landesapothekerkammer. Bei Schlafstörungen helfe Baldrian, auch kombiniert mit Passionsblume, Hopfen oder Melisse, gegen depressive Verstimmungen Johanniskraut. Yoga, Akupunktur oder Hypnose können Anneliese Schwenkhagen zufolge positive Effekte haben. Für alle gut ist eine Anpassung des Lebensstils, ist Pauline Wimberger überzeugt. Körperliche Aktivität, frische Luft, ausreichend Entspannung, Schlaf, ausgewogene Ernährung, gute Hautpflege und Kneippanwendungen können helfen. „Schränken Sie Koffeinkonsum und scharfe Speisen ein. Das Rauchen ist ungünstig“, sagt sie.

Greift das alles nichts, „kann eine Hormonersatztherapie angeboten werden, aber die Frauen müssen darüber gut aufgeklärt werden“, so Wimberger. In Deutschland werden nur noch bioidentische Hormone verschrieben, die als Pflaster, Gel oder Tablette angewendet werden können. Frauen mit Hitzewallungen soll die Therapie sogar angeboten werden, wenn sie keinen hormonabhängigen Brustkrebs haben. Das legt die Deutsche Leitlinie zur Behandlung der Wechseljahre von 2020 fest. Frauen, die keine Gebärmutter mehr haben, können demnach eine reine Östrogentherapie erhalten. Frauen mit Gebärmutter müssen zusätzlich ein Gestagen einnehmen. „Das ist eine hocheffektive Maßnahme. Sie ist als absolut positiv zu bewerten“, sagt Anneliese Schwenkhagen.

Fehlinterpretation von Studie zur Hormonersatztherapie

Doch in Deutschland gibt es ein „Hormon-Dilemma“, wie Gynäkologin Schaudig es nennt. „Die Frauen haben eine Höllenangst vor der Hormoneinnahme.“ Das liegt an der WHI-Studie (Women‘s Health Initiative zur Hormonersatztherapie), deren Ergebnisse 2002 publiziert wurden. Es ist die größte und mit 750 Millionen Dollar teuerste Studie, die jemals zum Thema durchgeführt wurde. Man wollte herausfinden, inwieweit Hormongaben Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems vorbeugen könnten. 16.000 Frauen zwischen 50 und 79 Jahren hatten daran teilgenommen, das Durchschnittsalter lag bei 63. Etwa die Hälfte litt bereits an Adipositas und Bluthochdruck oder rauchte. Zum Teil existierten Vorerkrankungen wie Diabetes oder koronare Herzerkrankungen.

Die Ergebnisse zeigten unter anderem, dass es unter 10.000 Frauen mit Hormonersatztherapie pro Jahr sieben Herzinfarkte, acht Schlaganfälle, 18 Thrombosen und acht Brustkrebserkrankungen mehr gab. Allerdings erkrankten sechs Frauen weniger an Darmkrebs, fünf weniger erlitten eine Hüftfraktur. „Das sind wirklich sehr niedrige Werte“, so Schaudig. Doch, was sich in den Köpfen festsetzte, war: Hormongaben erhöhen das Brustkrebsrisiko. Das schreckte sowohl die Patientinnen als auch die Ärzte ab. Ein Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse zeigt, dass im Jahr 2000 noch etwa 37 Prozent der Frauen mit Wechseljahresbeschwerden Hormone eingenommen haben. 2022 waren es sechs Prozent – sehr viel weniger also, als Beschwerden haben.

2016 ruderten die Autoren der Studie zurück und bedauerten die Fehlinterpretation. Der Nutzen der Ersatzbehandlung übersteige bei Weitem die möglichen Risiken, schrieben JoAnn E. Manson und Andrew M. Kaunitz im New England Journal of Medicine, wie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe berichtete. Doch: „Schlechte Nachrichten auszumerzen, ist fast unmöglich. Das hallt nach“, sagt Katrin Schaudig.

Die Hormone haben eine schützende Wirkung, sagt Sheila de Liz. „Zwei Drittel der Brustkrebserkrankungen treten erst nach den Wechseljahren auf, ein Drittel davor. Das sagt ja auch etwas aus.“ Zudem erhalte die Hormonersatztherapie die Knochendichte, das Risiko für osteoporosebedingte Brüche sinke signifikant. „Die alles entscheidende Frage ist: Wie hoch ist der Leidensdruck?“, sagt Anneliese Schwenkhagen. In jedem Fall müsse die Frau gemeinsam mit ihrem Arzt entscheiden, ob Hormongaben sinnvoll sind – und wie lange sie die Präparate nehmen sollte. Denn auch da gehen die Meinungen weit auseinander. „So kurz und gering dosiert wie möglich“, sagt Pauline Wimberger, „bis zum Lebensende“, sagt Sheila de Liz.

Eine neue Studie über den Hormoneinsatz würde viele Unsicherheiten klären. Aber die ist wegen der hohen Kosten nicht in Sicht. Deshalb fordert die DMG, dass die Politik sich bewegen und mehr Forschung unterstützen muss. Schließlich geht es um die Hälfte der Bevölkerung. Berufsverbände sollten auch Allgemeinärzte, Internisten, Kardiologen und Orthopäden weiterbilden. „Es sollte am Ende so ähnlich sein wie bei einer auffälligen Hautveränderung. Da wird der Hausarzt auch zum Hautarzt überweisen“, sagt Sheila de Liz. Davon würden alle profitieren – die Patientinnen, die Ärzte und das Gesundheitssystem.

  • Im MDR-Podcast „Hormongesteuert“ erklärt Dr. Katrin Schaudig die vielfältigen Symptome der Wechseljahre.
  • Die nächste kostenlose Infoveranstaltung der DMG gibt es am 18. Januar 2024 von 18 bis 19 Uhr: „Geht die Menopause in die Knochen?“ Den Zoom-Link gibt es kurz davor auf der Website