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Wie Kochen gegen Übergewicht helfen kann

26.500 Kinder in Sachsen sind bereits fettleibig – auch, weil sie keine Ahnung von gesundem Essen haben. Sarah Wiener und die Barmer haben dagegen ein erfolgreiches Rezept.

Von Susanne Plecher
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Sie können kochen! Und Sahne-Hafer-Kugeln machen: Marianne Hutt-Flum zeigt den Mädchen und dem Jungen ihres Koch-und Backkurses in einer Grundschule in Dresden, wie es geht.
Sie können kochen! Und Sahne-Hafer-Kugeln machen: Marianne Hutt-Flum zeigt den Mädchen und dem Jungen ihres Koch-und Backkurses in einer Grundschule in Dresden, wie es geht. © Jürgen Lösel

Die gute Nachricht zuerst: 78 Prozent der sächsischen Schulanfänger haben ein ganz normales Gewicht. Jetzt die Schlechte: Zwölf Prozent wiegen deutlich zu viel, wie die Aufnahmeuntersuchung des Sozialministeriums für das vergangene Schuljahr zeigt.

Verglichen mit den Vorjahren werden immer mehr Kinder schon im Kindergartenalter immer dicker. Kommen sie in die Pubertät, steigt der Anteil der Übergewichtigen nochmals erheblich an. 26.500 sächsische Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren sind sogar fettleibig.

Fröhliches Gewusel auf den Fluren der 148. Grundschule in Dresden. Es ist Donnerstagnachmittag, Zeit für den Koch- und Backkurs von Marianne Hutt-Flum. Vor zwei Jahren hat sie sich zur Genussbotschafterin der gemeinsamen Ernährungsinitiative der Barmer und der Sarah-Wiener-Stiftung ausbilden lassen.

Die Köchin, Autorin und EU-Abgeordnete Sarah Wiener hatte die gemeinnützige Stiftung 2007 gegründet, um das Ernährungsbewusstsein von Kindern zu fördern. „Genussbotschafterin. Das klingt doch schon toll, oder?“, sagt Marianne Hutt-Flum.

2.006 Genussbotschafter in Sachsen

Mehr als 2.000 Frauen und Männer in Sachsen haben das Zertifikat seit 2016 erworben, bundesweit sind es etwa 25.000. Sie sind Erzieher, Lehrer, Köche, Hauswirtschaftskräfte, die in Kitas, Grundschulen, Horten oder außerschulischen Lernorten mit Kindern arbeiten.

„Das sind die Orte, an denen man auch die Kinder erreicht, die zu Hause keine Chance haben, etwas über gesunde Ernährung zu erfahren“, sagt Anett Wagner. Als Präventionsexpertin der Barmer Sachsen begleitet sie die Ernährungsinitiative von Anfang an.

Weil sich kein Kind dieses schwierige Wort merken kann, es aber um die Kinder geht und darum, ihnen Lust auf gesundes Essen zu machen, dass sie sich selbst zubereiten können, heißt die Initiative schlicht: „Ich kann kochen!“. Das Ausrufezeichen steht für den Stolz, etwas selbst zu beherrschen.

Die beiden Dresdner Hortkinder Clara und Lotta formen die Hafer-Sahne Kugeln.
Die beiden Dresdner Hortkinder Clara und Lotta formen die Hafer-Sahne Kugeln. © www.loesel-photographie.de

Sieben Kinder stürmen in die große Hortküche. „Frau Hutt, was machen wir heute?“, fragen sie wie aus einem Mund. Es wird Hafer-Sahne-Kugeln mit selbst gequetschtem Hafer geben. Marianne Hutt-Flum hat Haferquetsche und Kornmühle bei der Sarah-Wiener-Stiftung ausgeliehen. Die Geräte sind für die Teilnehmer kostenlos, genau wie Weiterbildung und Aufbaufortbildungen.

Am Tisch sitzt Schulleiterin Angelika Guder. Sie kann sich ein Lächeln nicht verdrücken, wird dann aber ernst. Etwa ein Drittel ihrer Grundschüler sei zu dick, sagt sie. „Die meisten schon in der ersten Klasse.“ Und das im Dresdner Szeneviertel Neustadt, wo die Dichte der Bioläden und veganen Restaurants so hoch ist wie nirgends sonst in der Landeshauptstadt. „Das Ernährungsbewusstsein braucht auch hier Nachhilfe“, sagt sie.

Lotta liest die Zutaten vor, darunter Sahne und Zucker. Sonderlich gesund sind diese beiden aber nicht, oder? „Ja, das stimmt, aber die Zutaten sind nur wenig verarbeitet und die Haferflocken enthalten viele Kohlenhydrate, ungesättigte Fettsäuren, Zink, Eisen und Magnesium. Das macht die Kugeln zu einer gesunden Nascherei“, erklärt die Genussbotschafterin.

Sie gibt den Kindern einige Haferkörner in die Hände. Sie riechen daran, versuchen, sie zu zerdrücken, kosten. „Das ist Nackthafer“ – Gekicher – „der ist weicher und man kann schöne Haferflocken daraus machen.“

Clara darf 200 Gramm davon abwiegen, dann wird die Quetsche angestellt. Lars und Isabella schlagen die Sahne auf.

„Das gefällt mir als Lehrerin gut, dass hier viele Dinge angewendet und geübt werden: Lesen, Mengenlehre, Abmessen“, sagt Schulleiterin Guder. Und die Feinmotorik, denn, nachdem Sahne und Zutaten vermischt wurden und 15 Minuten im Kühlschrank geruht haben, formen die Kinder aus der Masse kleine Kugeln, die am Ende in Kokosraspeln gewälzt werden.

Den Drittklässlern gelingt das besser als den Erstklässlern. Aber dem Geschmack tut es keinen Abbruch. Die Rezepte sammeln die Kinder in einem Hefter. Im Idealfall kochen sie sie mit ihren Eltern daheim nach.

Sahne-Hafer-Kugeln:

Zutaten: 200 g Haferflocken, 4 EL Kokosraspel, 1 TL Vanillinzucker, 200 ml süße Sahne, 2 EL Zucker

Zubereitung: Sahne schlagen, Haferflocken, Zucker und Vanillinzucker unterheben, 15 min kühl stellen. Kleine Kugeln formen und in Kokos wälzen.

Den besonderen Geschmackskick erhalten die Sahne-Hafer-Kugeln durch die Kokosraspeln, in denen sie am Ende gewälzt werden.
Den besonderen Geschmackskick erhalten die Sahne-Hafer-Kugeln durch die Kokosraspeln, in denen sie am Ende gewälzt werden. © www.loesel-photographie.de

Eine Umfrage der Barmer unter 1.000 Familien mit minderjährigen Kindern hat ergeben, dass nur jede zweite täglich miteinander isst. Die aktuelle AOK-Familienstudie zeigt, dass mehr als die Hälfte der Eltern stark übergewichtiger Kinder „eine unzureichende Ernährungskompetenz“ besitzen.

Insgesamt wünschen sich 85 Prozent der von der AOK befragten Familien mehr Orientierung beim Einkaufen: Auf jeder Lebensmittelpackung sollte einfach und schnell erkennbar sein, ob ein Produkt gesund ist. Laut Barmer-Umfrage möchte sich fast jede zweite Familie gerne neue Kochtechniken aneignen und 47 Prozent ihr Rezeptrepertoire erweitern.

Annas Familie hat das schon getan. „Die Kürbissuppe war so lecker, die haben wir daheim auch gekocht“, sagt die Erstklässlerin aus dem Dresdner Koch- und Backkurs. Und das, obwohl Kokosmilch darin war, von der sie vorher gar nicht dachte, dass sie ihr überhaupt schmecken könnte.

Barmer und Sarah-Wiener-Stiftung haben als Konsequenz der Umfrage mit „Familienküche“ ein digitales Kochbuch für Eltern und Kinder zusammengestellt. „Unter anderem erhalten Eltern leicht umzusetzende Rezepte und Tipps, die auch mit einem kleinen Geldbeutel machbar sind“, erklärt Barmer-Sprecherin Claudia Szymula. Die 55 familientauglichen Rezepte und elf Wochenpläne helfen, den Kochalltag besser zu planen und zu organisieren.

Finanzspritze für Lebensmitteleinkauf

Gleich neben dem Kühlschrank der Hortküche steht ein Regal mit Vorräten. Etliche davon hat sich die Schule von der Barmer erstatten lassen. „Mehl, Öl, Kichererbsen, Gewürze, Nudeln“, zählt Marianne Hutt-Flum auf. Die Kasse fördert Einrichtungen mit einmalig bis zu 500 Euro pro Lebensmitteleinkauf, wenn sich wenigstens eine ihrer pädagogischen Fachkräfte zum Genussbotschafter weitergebildet hat.

„Wir wollen befördern, dass die Einrichtungen ins Tun und Handeln kommen“, sagt Anett Wagner. Die Anschubfinanzierung soll den Genussbotschaftern helfen, ihre Ernährungsprojekte nachhaltig in den Einrichtungen zu etablieren.

„Das hat sehr geholfen“, dankt Schulleiterin Angela Guder. Neben ihrer Schule haben bislang 128 sächsische Einrichtungen diese Möglichkeit genutzt. 45.400 Euro hat die Barmer insgesamt dafür gezahlt – ein Sahnehäubchen auf der Erfolgsgeschichte dieser Ernährungsinitiative.

1.057 Kitas, Grundschulen und Horte in Sachsen hat sie bislang erreicht und hilft damit, Kindern mehr Wissen über Aussehen und Zubereitung gesunden Essens zu vermitteln und sie an unbekannte Produkte und Geschmacksvarianten heranzuführen.

Und ans Abwaschen. „Darauf lege ich großen Wert: Küche aufräumen und abwaschen gehört für mich dazu“, sagt Genussbotschafterin Hutt-Flum und zeigt mit Engelsgeduld, wie die Kokosraspeln besser an den Hafer-Sahne-Kugeln haften.

© Verbraucherzentrale

Buchtipp zum Thema:

Familienküche. Ganz entspannt: Planen, einkaufen, kochen. Claudia Krüger. Verbraucherzentrale, 208 S., 19,90 Euro.