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Ingo Froböses Selbsthilfeprogramm für den Rücken

Rücken-Papst Professor Ingo Froböse erklärt in seinem neuen Buch die wahren Schmerzursachen, räumt mit Mythen über Bandscheiben auf und zeigt, was oft besser hilft als eine OP.

Von Stephanie Wesely
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Sportwissenschaftler und Rückenpapst Professor Ingo Froböse
Sportwissenschaftler und Rückenpapst Professor Ingo Froböse © Sebastian Bahr

Zwei von drei Erwachsenen in Deutschland leiden einer Umfrage des Robert Koch-Instituts zufolge an Rückenschmerzen. 140.000-mal im Jahr operieren Chirurgen deswegen an den Bandscheiben. Ingo Froböse, Universitätsprofessor an der Deutschen Sporthochschule Köln, zeigt in seinem am Montag erscheinenden Buch, dass es auch anders geht. Die SZ sprach mit Froböse, der über Prävention und Sporttherapie forscht und viele Krankenkassen wissenschaftlich berät.

Herr Professor Froböse, Rückenschmerzen schieben viele auf das Alter. Haben sie recht damit?

Nein. Zwar altert in der Tat auch unser Rücken, und unsere Bandscheibe franst ein wenig aus, aber das führt noch lange nicht zu Beschwerden. Es handelt sich dabei um ganz normale Veränderungen. Sie haben keinesfalls etwas mit der Zunahme von Rückenschmerzen im Alter zu tun, auch wenn Röntgenbilder oder CT-Aufnahmen Auffälligkeiten zeigen. Ganz im Gegenteil: Rückenschmerzen treten am häufigsten im Alter zwischen 30 und 55 Jahren auf.

Lassen sich viele Menschen da zu schnell an den Bandscheiben operieren?

Oh ja, das geschieht leider viel zu oft. Denn häufig wird nur ein Computerbild operiert, ohne dass wirklich die Schmerzursache klar ist. Es gibt aber auch klare OP-Indikationen, wo man nicht warten darf.

Welche sind das?

Bei einem akuten Bandscheibenvorfall sind das schwere Störungen des Nervengewebes mit Lähmungserscheinungen. Dies ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass es hier zu einem Druckereignis auf sensibles Nervengewebe kommt. Nur das ist ein Notfall. In allen anderen Fällen heißt es, Ruhe zu bewahren. Meistens verschwinden die Schmerzen nach vier Wochen von ganz alleine wieder.

Heißt so ein Notfall immer gleich Operation?

Das ist von der Symptomatik abhängig. Der Arzt entscheidet, welche Maßnahme ergriffen werden muss. In der Regel versucht er erst einmal, die Muskulatur medikamentös zu entspannen und Schmerzen zu reduzieren. Wichtig ist nämlich, dass sich kein Schmerzgedächtnis entwickelt und der Patient möglichst schnell wieder zur normalen Alltagsaktivität übergehen kann. Eine Chronifizierung des Rückenschmerzes lässt sich so vermeiden.

Wie lassen sich denn Bandscheibenvorfälle ohne OP behandeln?

Bandscheiben können heilen! Das ist ein ganz wichtiger Grundsatz. Deshalb sollten wir selbst bei einem diagnostizierten Vorfall immer erst einmal dem Organismus Zeit geben. Es gibt sogar Menschen, die ihre Bandscheibenvorfälle gar nicht merken. Daran sieht man, dass der Vorfall alleine noch lange nicht für Schmerzen verantwortlich sein muss. Der Vorfall tut nur dann weh, wenn es gleichzeitig zu einer massiven Belastung des Nervengewebes kommt. Das ist in vielen Fällen aber nicht gegeben. Also sollten dringend erst einmal alle konservativen Maßnahmen wie Physiotherapie, Muskeltraining, Wärme oder Kälte, auch medikamentöse Therapien, ausprobiert werden. Der Griff zum Skalpell ist die allerletzte Alternative.

Aber selbst nach Bandscheiben-OPs haben viele Patienten immer noch Schmerzen. Warum?

Das liegt einfach daran, dass die Bandscheibe in nur zwei bis drei Prozent aller Fälle wirklich verantwortlich ist für den Rückenschmerz. Insofern ist die OP häufig keine Lösung. Im Gegenteil! Aus der OP entwickeln sich oft direkt weitere negative Folgen, wie die Bildung von Narbengewebe, was dann nicht selten zu viel intensiveren und größeren Problemen führt.

Wenn die Bandscheiben nicht die Hauptursache für den Schmerz sind, welche sind es dann?

Die häufigste Ursache von Rückenschmerzen nennen wir „unspezifisch“. Das heißt, dass wir gar keine eindeutige Struktur dafür verantwortlich machen können. Wir wissen also gar nicht, wie wir diesen Schmerz gezielt und effektiv behandeln können. Muskeln, Bänder, Bindegewebe wie Faszien oder selbst die winzigen kleinen Gelenke an den Wirbelkörpern lassen sich kaum diagnostisch so analysieren, dass wir schmerzverursachende Veränderungen erkennen. Insofern sollten wir wirklich sehr umsichtig und vorsichtig in die Therapie und die Behandlung eines Rückenschmerzes einsteigen.

Wo sind die Schwachstellen des Rückens?

Die Schwachstelle ist eindeutig die Muskulatur und das zugehörige Bindegewebe. Meistens sind die Muskeln in ihrer Länge verkürzt. Das Bindegewebe verfilzt und verklebt, was die Beweglichkeit beeinträchtigt. Das tut weh. Und wenn man sich deshalb immer weniger bewegt und belastet, nimmt die Schwächung und Unterversorgung der Strukturen des Rückens weiter zu. Man muss sich nur einmal vorstellen, dass auf den Rücken alleine 150 Muskeln wirken. Ein Verlust an Muskelmasse und an Muskelkraft hat massive Auswirkungen auf die Filigranstruktur der Wirbelsäule. Gerade die direkt an der Wirbelsäule anliegenden Muskeln, wir sprechen dabei von den tiefen Muskeln, schützen vor Rückenschmerzen – aber nur, wenn sie gut trainiert sind. Dann wird die Wirbelsäule bei allen Bewegungen optimal geführt, sodass es nicht zur Fehlhaltung kommt. Genau deswegen ist Passivität für den Rücken die falsche Maßnahme, denn sie schwächt die Muskeln, und der Teufelskreis aus Schmerz und Bewegungsarmut verstärkt sich.

Der Schulterkuss: Entspannung für Schulter und Nacken
Der Schulterkuss: Entspannung für Schulter und Nacken © GU/Johannes Rodach
Der Taucher: Dehnung für die Brustwirbelsäule
Der Taucher: Dehnung für die Brustwirbelsäule © GU/ Johannes Rodach
Der Anlehner: Entspannung für die Lendenwirbelsäule
Der Anlehner: Entspannung für die Lendenwirbelsäule © GU/ Johannes Rodach

Sie sprechen in Ihrem Buch von der Atemnot der Muskelzellen als Schmerzursache. Was ist das? Wie kann man gegenwirken?

Wenn Muskeln zu schwach sind, werden sie im Alltag relativ schnell überlastet. Wer viel am Schreibtisch arbeitet, braucht eigentlich eine sehr gut entwickelte Schulter- und Nackenmuskulatur. Sonst führt das dauerhafte Hochhalten der Arme zu einer Daueranspannung und damit zu einer mechanischen Überlastung. Die Auswirkungen sind eine schlechtere Durchblutung sowie ein Mangel an Nährstoffen und Sauerstoff. Das ist die Atemnot, die ich beschrieben habe. Und genau deswegen braucht die Muskulatur immer mal wieder Ruhepausen, damit die Einzelmuskelzelle, ausreichend Nähr- und Vitalstoffe wie Sauerstoff erhält.

Aber das ist doch ein Widerspruch. Sie sagten doch, dass wir uns zu wenig bewegen. Warum empfehlen Sie Ruhe?

Das ist gar kein Widerspruch. Muskeln brauchen auch Ruhepausen. Das hat aber nichts mit Passivität zu tun. Die zunehmende Ermüdung aufgrund einseitiger Daueranspannung muss regelmäßig wieder aufgelöst werden. Das geschieht durch natürlich-leichtes Bewegen, weil das dynamisch ist und die Durchblutung aktiv erhöht. Es geht aber auch umgedreht: Mit speziellen Übungen versucht man, eine maximale Anspannung der Schulter- und Nackenmuskulatur zu erreichen. Die sich anschließende Schreibtischarbeit entspannt den Muskel wieder. Der lokale Stoffwechsel der Muskelzelle wird angeregt.

Welche Übungen empfehlen Sie für das tägliche Training? Was halten Sie vom Trampolinspringen?

Trampolinspringen ist eine wunderbare Möglichkeit, die Bandscheiben in Bewegung zu halten, weil sie dabei zusammengepresst werden und sich danach wieder vollsaugen. Vor allen Dingen macht diese Bewegung aber Freude. Und das ist wichtig, um Bewegung in den Alltag zu integrieren. Wer kein Trampolin hat oder es sich nicht zutraut, dem helfen auch straffes Gehen, Radfahren oder auch das Kraulschwimmen. Strecken und Recken, leichtes kontrolliertes Drehen nach rechts und links, das Neigen nach vorne und hinten sind ideal für eine gesunde Wirbelsäule. In einigen Filmen zeige ich die richtigen Bewegungsabläufe.

Gibt es eine rücken- und bandscheibenfreundliche Ernährung? Brauche ich da Nahrungsergänzungsmittel?

Nein, ich brauche keine spezielle Ernährung oder Nahrungsergänzungen. Das wichtigste für den Rücken und die Bandscheiben ist ausreichend Flüssigkeit. 30 Milliliter Wasser pro Kilogramm Körpergewicht sollten es im Tagesverlauf schon sein. Denn die Bandscheibe besteht zu einem Großteil aus Wasser. Sie sollte niemals austrocknen. Eine gesunde Bandscheibe sieht aus wie eine gut gefüllte pralle Weintraube. Für die Knochen empfiehlt sich gerade mit zunehmendem Alter, auf eine ausreichende Kalziumzufuhr zu achten. Dazu ist es wichtig, säuernde Lebensmittel zu meiden, zum Beispiel Fisch oder Fleisch, aber auch Alkohol oder Limonade mit viel Zucker. Das wichtigste Lebensmittel für den Rücken und die Wirbelsäule ist und bleibt aber die Bewegung.

Im Buch "Bandscheibenakuttraining" verrät Ingo Froböse Mythen und Wahrheiten über die Bandscheiben. Es erscheint am 4. September erscheint (Verlag Gräfe & Unzer, 15,99 Euro).