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Wie neue Implantate das Hören erleichtern

Hörschäden nehmen zu, schon in jungem Alter. Eine Bautznerin und ihr Sohn profitieren von neuer Technik, die sich sogar mit dem Handy verbinden lässt.

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HNO-Ärztin Susen Lailach vom Dresdner Uniklinikum untersucht Charly aus Bautzen. Genau wie seine Mutter Marie kam der Siebenjährige mit einer Hörschädigung zur Welt.
HNO-Ärztin Susen Lailach vom Dresdner Uniklinikum untersucht Charly aus Bautzen. Genau wie seine Mutter Marie kam der Siebenjährige mit einer Hörschädigung zur Welt. © Sebastian Kahnert/dpa

Von Jörg Schurig

Menschen wie Marie Holtzsch kennen Nebengeräusche spezieller Art. Häufig sind es Vorbehalte, die Schwerhörigen am meisten zu schaffen machen. „Ich fühle mich eher behindert durch die Vorurteile anderer“, sagt die 38-Jährige aus Bautzen. „Es kommt immer auch ein wenig darauf an, wie man selber damit umgeht, was man ausstrahlt. Die einzigen Einschränkungen, die ich spüre, sind gesellschaftlicher Natur.“ Klar, als Kind sei sie schon mal gehänselt worden. Doch wenn man ein Hörgerät von klein auf trage, könne man sich besser darauf einstellen. „Ich bemitleide eher die Menschen, die später durch einen Unfall darauf angewiesen sind.“

Marie Holtzsch leidet an einer anatomisch und erblich bedingten Hörerkrankung. Der Gendefekt trat erst bei ihr sichtbar auf. „Ich habe mit fünf oder sechs Jahren mitbekommen, dass etwas nicht stimmt. Ich hatte aber eine schöne Kindheit.“ Die ersten vier Jahre ging sie in Bautzen in eine normale Grundschule. Sie trug ein Hörgerät, das wie ein Haarreif auf dem Kopf saß. Der Schall gelangte via Schädeldecke zum Innenohr. Allerdings waren auch Nebengeräusche stark hörbar. „Manchmal habe ich die Stimme des Lehrers nicht mehr gehört, das Geräusch der Kreide auf der Tafel war zu laut.“

Im Rückblick ist Holtzsch ihren Eltern dankbar, dass sie immer an dem Problem drangeblieben sind, auch wenn sie ihr Kind ab Klasse 5 deshalb auf eine Spezialschule mit Internat nach Dresden schicken mussten. Früh hätten die Eltern bei ihr auf ein Hörgerät gedrängt. „Je früher die Behandlung und Versorgung beginnt, desto größer sind die Entwicklungschancen“, erklärt die HNO-Fachärztin Susen Lailach. Sie betreut Marie Holtzsch und ihren Sohn Charly im Dresdner Universitätsklinikum. Auch der Siebenjährige kam mit einer Hörschädigung zur Welt. Seine neun Jahre alte Schwester blieb dagegen verschont.

Kaum Einschränkungen mit der "Soundbridge"

Im Alter von 14 bekam Marie ein sogenanntes BAHA-Gerät. Die Abkürzung steht für Bone Anchored Hearing Aid. Dahinter verbirgt sich ein Implantat, das den Schädelknochen zum Transport der Schallwellen nutzt. So ausgerüstet, konnte sie ihren Traumberuf erlernen. Als Medizinische Fachangestellte hat Marie Holtzsch später sogar fast zehn Jahre lang in einer HNO-Praxis gearbeitet. „Ich wusste, wie es den Patienten mit Tinnitus geht, solche Töne hatte ich selbst von Anfang an auf beiden Ohren.“ Heute trägt sie ein weiterentwickeltes BAHA-Gerät als Teilimplantat. Anders als früher muss sie nun nicht mehr ständig Antibiotika nehmen, um Knochenentzündungen zu heilen.

Regelmäßig kommt Marie Holtzsch mit Charly ans HörCentrum ins Dresdner Uniklinikum, um die Technik zu kontrollieren und bei Bedarf neu einzustellen. Charly hat eine „Soundbridge“, ein Mittelohrimplantat, das etwa bei leichter bis schwerer Innenohrschwerhörigkeit oder Schallleitungsschwerhörigkeit helfen kann. Beim Hören dringt der Schall über das Außenohr und den Hörgang bis zum Trommelfell und dann weiter über die Gehörknöchelchen Richtung Hörschnecke. Normalerweise bringt das Trommelfell die Gehörknöchelchen zum Schwingen, bei Charlys Soundbridge macht das ein Magnetschwinger. Einschränkungen bringt das für den Jungen kaum mit sich.

Charly hat eine Soundbridge, ein Mittelohrimplantat, das etwa bei leichter bis schwerer Innenohrschwerhörigkeit oder Schallleitungsschwerhörigkeit helfen kann.
Charly hat eine Soundbridge, ein Mittelohrimplantat, das etwa bei leichter bis schwerer Innenohrschwerhörigkeit oder Schallleitungsschwerhörigkeit helfen kann. © Sebastian Kahnert/dpa

„Früher hat man versucht, defekte Gehörgänge zu rekonstruieren, die Natur nachzubilden“, sagte Lailach. Das habe aber meist nicht richtig funktioniert. Deshalb würden Patienten heute mit implantierbaren Hörgeräten versorgt. „Deren Entwicklung geht immer weiter. Die Knochenleitungsimplantate werden immer leistungsstärker, auch die Prozessoren. Man kann diese Geräte heute mit dem Handy verbinden oder in der Schule digitale Signale koppeln. Was der Lehrer spricht, geht dann direkt auf die Implantate“, erklärt die Expertin. Marie Holtzsch nutzt das beispielsweise im Auto. „Ich bin technisch besser ausgerüstet als andere Autofahrer“, sagt sie und lacht.

2021 weltweit rund 1,6 Milliarden Menschen mit Hörverlust

Nach Angaben von Professor Marcus Neudert, Chef des Hörcentrums im Dresdner Uniklinikum, geht es darum, für jeden Patienten das geeignete System zu finden. „Man kann die verschiedenen Geräte nicht wie im Supermarkt auswählen, sie sind nicht einfach austauschbar. Wir müssen die jeweiligen Ursachen der Schwerhörigkeit und die anatomischen Voraussetzungen beachten.“ Deshalb sei eine komplette Versorgungsstrecke so wie am HörCentrum wichtig. „Wenn es eine Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg führt, kann man schauen, was sich sonst noch machen lässt.“

Nach einer Hochrechnung der WHO gab es 2021 weltweit rund 1,6 Milliarden Menschen mit Hörverlust. Bis 2050 könnte ihre Zahl auf fast 2,5 Milliarden steigen, wenn die ärztliche Versorgung nicht verbessert wird, schätzte die Organisation mit Blick auf die wachsende Weltbevölkerung und steigende Lebenserwartung damals ein. Rund 1,1 Milliarden junge Menschen riskierten Schäden, weil sie zu oft zu laut Musik hören. In Deutschland wird die Patientenzahl auf 5,4 Millionen beziffert.

Früherkennung muss noch effektiver werden

Damit gehört Schwerhörigkeit zu den zehn häufigsten gesundheitlichen Problemen. Jedes tausendste Kind kommt mit einem Hörschaden zur Welt. HNO-Spezialistin Lailach führt steigende Zahlen auch auf verbesserte Diagnostik zurück. Heute gebe es ein gesetzlich vorgeschriebenes Neugeborenen-Screening, da würden auffälligen Kinder herausgefischt. Mit drei Monaten müsse die Diagnose stehen. Ab einem halben Jahr kämen Hörgeräte zum Einsatz.

Lailach wünscht sich, dass die Früherkennung von Hörschäden in Sachsen noch effektiver wird. „Die Geburtskliniken machen zwar ein Screening, aber auf dem Weg zum HNO-Arzt gehen immer noch Kinder durch die Lappen. Manchmal bekommen wir Kinder erst im Alter von vier oder fünf Jahren vorgestellt, da sind sie praktisch schon taub“. Deshalb gelte das Motto „je früher, desto besser“. „Ein Kind, was taub geboren, aber zeitnah versorgt wird, geht heutzutage in die Regelschule, studiert und hat eine ganz normale Entwicklung.“ Wenn man das Problem zu spät erkenne, werde dessen Lösung immer schwieriger. (dpa)

Sprechstunden bei Hörproblemen

  • Das 2023 neu gegründete HörCentrum am Uniklinikum Dresden will die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Hörstörungen auch in den ländlichen Regionen in Ostsachsen verbessert. Dazu kooperiert es mit niedergelassenen Akustikern.
  • Für Diagnostik, Therapie und OP-Eingriffe können Patienten die Expertise am Klinikum nutzen, bei Problemen mit ihren Hörgeräten aber wohnortnah betreut werden.
  • In der Spezialsprechstunde für implantierbare Hörsysteme wird über Möglichkeiten und Grenzen der Versorgung mit teilimplantierbaren Hörsystemen beraten.
  • In der Allgemeinen Ohr- und Hörsprechstunde untersuchen und beraten die Experten zu allen Ohrerkrankungen und allen Formen der Schwerhörigkeit.
  • Die Sprechstunde für kindliche Hörstörungen deckt neben der Früherkennung und Therapie von Hörstörungen im Säuglingsalter (Neugeborenen-Hörscreening) auch die Diagnostik von Hörstörungen bei kleinen Kindern inklusive der Beurteilung des (Sprach-) Entwicklungsstandes ab. Es wird über moderne, individuelle hörverbessernde Operationen beraten.
  • Kontakt: Tel.: 0351 458/19383, Montag bis Freitag 9–12.30 Uhr, Dienstag und Donnerstag 13.30 – 15.30 Uhr, E-Mail: [email protected]