SZ + Leben und Stil
Merken

Zwei Sachsen mit Post-Vac-Syndrom: „Seit der Corona-Impfung ist nichts mehr wie es war“

Lisa und Niklas aus Sachsen wollten sich vor einer Infektion schützen und leiden nun am Post-Vac-Syndrom. Der Weg zu einer Anerkennung ihres Impfschadens ist mühsam.

Von Stephanie Wesely
 8 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Einige Menschen haben nach der Corona-Impfung  Folgeschäden.
Einige Menschen haben nach der Corona-Impfung Folgeschäden. © 123rf

Die 27-jährige Lisa kann sich nur eine Aktivität am Tag vornehmen – entweder einen Spaziergang oder ein paar Handgriffe im Haushalt. Für mehr reicht ihre Energie nicht. Seit ihrer dritten Corona-Impfung im Januar 2022 sind ihre Kräfte rapide geschwunden. „Meine Muskeln sind so schwach, ich bin schon nach wenigen Schritten völlig erschöpft. Hinzu kommen Probleme beim Sprechen, Worte zu finden und Gesprochenes zu verstehen“, sagt die junge Dresdnerin.

Die Symptome ähneln denen einer Long-Covid-Erkrankung. Doch Lisa war bis Ende 2022 nie selbst an Corona erkrankt. „Das weiß ich so genau, weil wir uns in einem sozialen Beruf mehrmals pro Woche testen mussten.“ Erst Ende 2022 infizierte sie sich mit dem Omikron-Virustyp. Doch da hatte sie bereits Beschwerden und Ausfallerscheinungen.

Auch Niklas erging es so. Nach seiner ersten Corona-Impfung im Mai 2021 litt er unter Herzrasen und bekam kaum Luft. „Ich fühlte mich wie nach zehn Tassen Kaffee“, erzählt der 21-Jährige aus Ostsachsen. Allmählich ließen die Beschwerden nach. Dann folgte die zweite Impfung, und alles ging wieder von vorn los. „Es ging auch nicht wieder weg, ich hatte oft Todesangst“, sagt Niklas. Zweimal sei er deshalb in der Notaufnahme gewesen. Sein Puls raste, der Blutdruck war viel zu hoch. Doch keiner konnte ihm wirklich helfen.

„Dann erfuhr ich von einer kardiologischen Ambulanz am Uniklinikum Marburg, die sich auf Long Covid und Post Vac spezialisiert hat. Ich bemühte mich um einen Termin, kam aber erst letzten November dran – zwei Jahre habe ich darauf gewartet“, sagt Niklas. In Marburg sei dann das erste Mal offenkundig und nachweisbar ein Zusammenhang seiner Beschwerden mit der Impfung hergestellt und schriftlich bestätigt worden.

LIsa aus Dresden leidet schon mehr als zwei Jahre an den Impffolgen, wie sie sagt.
LIsa aus Dresden leidet schon mehr als zwei Jahre an den Impffolgen, wie sie sagt. © privat

27 anerkannte Impfschäden in Sachsen

Bisher ist das Post-Vac-Syndrom als Erkrankung nicht definiert. „Die Beschwerdebilder sind zu unspezifisch. Sie können nicht eindeutig der Impfung zugeordnet werden. Für mich gibt es kein Post-Vac-Syndrom“, sagt Dr. Thomas Grünewald, Leiter der Klinik für Infektiologie am Klinikum Chemnitz und Vorsitzender der Sächsischen Impfkommission. Vielmehr sei der Name Post-Vac-Syndrom ohne wissenschaftlichen Hintergrund als Überbegriff für eine Gruppe von Beschwerden gefunden worden. „In unserer Klinik haben wir seit Beginn der Corona-Impfungen rund 700 Menschen diagnostiziert und behandelt, die vermeintlich an Impffolgen gelitten haben. Doch bei 98 von 100 Patienten haben die Erkrankungszeichen einen anderen Hintergrund. Ein Zusammenhang mit der Impfung konnte oft nur zeitlich, aber nicht ursächlich hergestellt werden“, sagt Dr. Grünewald. Allerdings und das ist das Gute daran: Den meisten Patienten habe man helfen können, auch wenn ihr Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens abgelehnt wurde.

Seit Pandemiebeginn wurden sachsenweit rund acht Millionen Corona-Impfungen verabreicht. Bei 643 Männern und Frauen traten Schädigungen auf, die über Schmerzen und Infektionen an der Einstichstelle hinausgingen. Sie haben beim Kommunalen Sozialverband Sachsen (KSV) einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens und auf eine entsprechende Entschädigung gestellt.

Auch Niklas gehört dazu. Entschieden wurden bislang 480 Fälle. 27 davon wurden als Impfschaden anerkannt, darunter auch ein Todesfall. Bundesweit stellten bei insgesamt rund 65 Millionen Geimpften knapp 12.000 Menschen einen Antrag, 467 wurden anerkannt – gemessen an der Zahl der verabreichten Corona-Impfdosen sind das sehr wenig.

Auch Niklas aus Ostsachsen leidet an Herzproblemen.
Auch Niklas aus Ostsachsen leidet an Herzproblemen. © privat

Geschädigter muss Ursache beweisen

„Damit ein Impfschaden als solcher anerkannt wird, müssen die Geschädigten zweifelsfrei nachweisen, dass die Krankheitszeichen allein von der Impfung kommen“, sagt Anne Glaser, Rechtsanwältin aus Dresden. Sie hat sich auf Medizinrecht spezialisiert und weiß, dass eine solche Beweisführung für medizinische Laien nahezu unmöglich ist. Deshalb gebe es eine Institution wie den Kommunalen Sozialverband Sachsen, der in Zusammenarbeit mit dem Versorgungsärztlichen Dienst eine gutachterliche Expertise besitzt.

Wer selbst einen Impfschaden vermutet, kann sich also an den Verband wenden. „Für den Antragsteller genügt es zunächst, den Zeitpunkt der Impfung und den verwendeten Impfstoff zu benennen. Außerdem muss er seine Beschwerden schildern und einen Ursachenzusammenhang zur Impfung herstellen“, sagt Glaser. Ärztliche Befunde über aufgetretene Krankheitszeichen könnten zusätzlich eingereicht werden. Hilfreich sei es auch, wenn der behandelnde Arzt bereits eine Verdachtsmeldung auf einen Impfschaden beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eingereicht habe. „Doch eine Verdachtsmeldung ist noch lange kein anerkannter Impfschaden“, sagt die Rechtsanwältin aus Erfahrung.

Der Kommunale Sozialverband Sachsen bezieht in seine Beurteilung aktuelle medizinische Erkenntnisse ein, ebenso die regelmäßig veröffentlichten Sicherheitsberichte des PEI. „Die Prüfung erfolgt von Amts wegen, das heißt, dass bis dahin noch keine Kosten für den Antragsteller entstehen, sofern er das Verfahren selbst, also ohne anwaltliche Hilfe, führt“, sagt Anne Glaser. Es handele sich auch ausschließlich um eine Prüfung nach Aktenlage, die Betroffenen würden nicht ärztlich untersucht.

Gegen den Bescheid vom Kommunalen Sozialverband kann Widerspruch eingelegt werden. Nach erneuter Ablehnung könne sich der Geschädigte ans Sozialgericht sowie die nächsthöheren Instanzen Landessozialgericht und Bundessozialgericht wenden, sagt die Juristin. Hier entstünden dann Kosten, zum Beispiel für Anwälte und Gutachten, die aber von Rechtsschutzversicherungen meist übernommen werden. Es gibt auch Prozesskostenhilfe

Vorerkrankungen mindern die Chancen

Und dennoch – den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zur Impfung zu erbringen, ist schwer. Auch Kläger, die Anne Glaser in Impfschadensfällen vertreten hat, hätten meist kein Recht bekommen. Ein Fall sei noch in der Verhandlung. „Das Schwierige war oft, dass die meisten Menschen schon Vorerkrankungen hatten. Bei eher unspezifischen Symptomen wie Erschöpfung und Schmerzen lässt sich ein Zusammenhang zu diesen Vorerkrankungen selten ausschließen.“ Auch wenn sich diese Anzeichen subjektiv nach der Impfung verschlimmert hätten, seien das keine klassischen Impfschäden, ergänzt Infektiologe Thomas Grünewald.

Ähnlich erging es Niklas. Sein Antrag und auch sein Widerspruch wurden abgelehnt. Seit 2023 liege sein Fall nun beim Sozialgericht Dresden zur Entscheidung, wie er sagt. Für Erkrankte wie ihn und Lisa sei die Anerkennung des Impfschadens zwar eine Bestätigung dafür, dass sie sich eben nicht alles nur einbilden und bloß zu faul seien zum Arbeiten, wie sie oft zu hören bekommen. Doch vor allem wollen sie ihr altes Leben wiederhaben und endlich wieder gesund werden.

Medikamente auf eigene Kosten

Lisa hat sich dazu an das Immundefektzentrum der Charité in Berlin gewendet, bekam jedoch keinen Termin – wegen der hohen Nachfrage, wie es hieß. Professorin Carmen Scheibenbogen leitet dort das Fatigue-Centrum und befasst sich dabei besonders intensiv mit Long Covid. Auch Studien hat sie dazu bereits geleitet. Nach den Erkenntnissen der Spezialistin würde bei vielen nach einer Infektion, seltener nach Impfungen, die Immunsteuerung des Körpers fehlgeleitet. Antikörper richteten sich gegen eigene Strukturen, zum Beispiel das Nervensystem. Betroffen seien häufig Gehirnregionen, die unabhängig vom Bewusstsein arbeiten. „Zu wenig Durchblutung in bestimmten Gehirnregionen führt zu Problemen beim Denken und Sprechen, Minderdurchblutung in den Muskeln zieht Bewegungseinschränkungen und eine schnelle Erschöpfung nach sich“, erklärte Carmen Scheibenbogen in einer TV-Reportage. Ist das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigt, käme es zu Schwindel, Kurzatmigkeit und Herzrhythmusstörungen.

Eine Behandlung mit Naltrexon und NAD+ hat in einer Studie, die auf der wissenschaftlichen Plattform sciencedirect angezeigt wird, vielversprechende Wirkungen gezeigt. Naltrexon ist ein Gegenspieler der Opioid-Rezeptoren. NAD+, was auch als Vitamin B3 gilt, verwandelt Glukose in Zellenergie. Beide wirkten gegen Erschöpfung und Schwäche. Doch als wissenschaftlicher Nachweis im Zusammenhang mit Long Covid und Post Vac genügt dieses Ergebnis nicht. Der Einsatz der Mittel erfolge deshalb außerhalb der Zulassung – und meist auf eigene Kosten.

Lisas Wochenration. Da die Medikamente für die Krankheit nicht zugelassen sind, muss sie vieles selbst bezahlen.
Lisas Wochenration. Da die Medikamente für die Krankheit nicht zugelassen sind, muss sie vieles selbst bezahlen. © privat

Finanziell Hilfe von den Eltern

„Ich hatte Glück, dass mir mein Arzt Naltrexon-Kapseln verschrieben hat“, sagt Lisa. „Außerdem nehme ich noch naturheilkundliche Mittel gegen die Nervenfunktionsstörungen und etliche Nahrungsergänzungsmittel, weil bei mir ein erheblicher Nährstoffmangel festgestellt wurde“, so die junge Dresdnerin.

Niklas hat durch Nahrungsergänzungsmittel eine Linderung seiner Beschwerden erfahren. Die Betablocker, die Puls und Blutdruck senken sollten, hätten nichts groß verändert. Er nimmt auch einen Cholesterinsenker. Doch nicht, weil seine Blutfette zu hoch sind, sondern weil diese Medikamente die überschießende Immunreaktion bremsen können. Dafür sind sie jedoch nicht zugelassen. Deshalb müssten die Medikamente zum Großteil selbst bezahlt werden, so Niklas.

Lisa und Niklas werden von ihren Eltern finanziell unterstützt. „Allein könnte ich das gar nicht bezahlen“, sagt Lisa. Ihr Arzt hat das Post-Vac-Syndrom bestätigt – besser gesagt, er hat alle anderen Ursachen für ihre Beschwerden ausgeschlossen. „Eigentlich wollte ich versuchen, mir damit meine Erkrankung als Impfschaden anerkennen zu lassen. Aber vielleicht lasse ich das auch und nutze meine Energie zum Gesundwerden“, sagt die Dresdnerin. Denn die Medikamente zeigten schon Wirkung. „Ich hoffe jetzt einfach, dass es bald wieder aufwärtsgeht.“

Diese Entschädigung gibt es bei Impffolgen

  • Geschädigte können Rentenzahlungen, Heilbehandlungen oder eine Hinterbliebenenversorgung erhalten. Mögliche Entschädigungen richten sich nach dem Bundesversorgungsgesetz, fallen bundesweit einheitlich aus und sind unabhängig von der Art der Impfung.
  • Als grundlegende Leistung wird die Grundrente bewilligt – unabhängig vom Einkommen. Diese liegt laut Infektionsschutzgesetz bei einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 bei 171 Euro pro Monat und bei einem GdS von 100 bei 891 Euro. Bei einem GdS unter 30 besteht nur ein Anspruch auf Heilbehandlung. Im Todesfall kann ein Bestattungsgeld in Höhe von 5.820 Euro bewilligt werden.