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Junge Schwangere in Sachsen erkranken verstärkt an Diabetes und Depressionen

Den meisten Schwangeren in Sachsen geht es gut, zeigen aktuelle Untersuchungen der AOK Plus. Doch mehrere Entwicklungen sind besorgniserregend.

Von Sylvia Miskowiec
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Rückenschmerzen gehören bei vielen Schwangeren zum Standardprogramm.
Rückenschmerzen gehören bei vielen Schwangeren zum Standardprogramm. © 123rf

Schwangerschaftshormone, Gewichtszunahme und Stoffwechselprobleme: Der Körper von Schwangeren ist einigen Belastungen ausgesetzt. Die AOK Plus, mit fast 3,5 Millionen Versicherten die größte gesetzliche Krankenkasse in Sachsen und Thüringen, hat sich die Gesundheit der werdenden Mütter genauer angeschaut und dafür Abrechnungsdaten von 2016 bis 2021 ausgewertet. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse in Dresden vorgestellt.

Schwangerschaftsdiabetes ist Risiko für Frühgeburt

2021 kamen in Sachsen 32.548 Kinder zur Welt, davon waren 21.335 Mütter AOK-Plus versichert. „Insgesamt zeigt sich, dass Schwangere heute weitestgehend besser durch die Schwangerschaft kommen als 2016“, sagte AOK-Plus-Vorstandsvorsitzender Rainer Striebel. „Demgegenüber steht jedoch eine deutliche Zunahme bei Stoffwechselerkrankungen wie der Schwangerschaftsdiabetes.“Diese Blutzuckerstörung ist die häufigste Begleiterscheinung einer Schwangerschaft. Sie bildet sich meist nach der Entbindung zurück, erhöht aber unter anderem das Risiko für Frühgeburten sowie die Gefahr von Stoffwechselkrankheiten beim Kind. 2021 wurde bei jeder siebten werdenden Mutter in Sachsen Schwangerschaftsdiabetes diagnostiziert. 2016 war nur jede Neunte betroffen.

Meist wird Schwangerschaftsdiabetes auf ein höheres Alter der Schwangeren zurückgeführt. In Sachsen waren 2021 die Mütter bei der Geburt tatsächlich rund 1,3 Jahre älter als 2016. Doch der Grund für den Anstieg liegt woanders: „Bedenklich ist, dass besonders in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen die Diabetesfälle um 34 Prozent zugenommen haben“, so Striebel. Die meisten Betroffenen gab es 2021 in den Landkreisen Meißen (22 Prozent), Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (21 Prozent) und Görlitz (19 Prozent).

Eine Frage des Körpergewichts

„Beim Diabetesrisiko spielt neben dem Alter auch das Gewicht eine Rolle“, sagte Andrea Lesser, Gynäkologin und stellvertretende Vorsitzende des Thüringer Landesverbands des Berufsverbands der Frauenärzte „Übergewichtige Frauen haben grundsätzlich ein höheres Risiko für einen Diabetes. Ist die Gewichtszunahme insbesondere in der Schwangerschaft zu hoch, kann dies gefährliche Konsequenzen für Mutter und Kind haben.“ Laut AOK-Plus-Zahlen waren in Sachsen bereits 6,5 Prozent der Frauen vor ihrer Schwangerschaft adipös, vor allem ganz junge und ältere – Tendenz steigend.

Präeklampsie vor allem bei Älteren

Bei Vorerkrankungen wie Adipositas, Diabetes und Gefäßerkrankungen sowie bei sehr jungen Frauen und Spätgebärenden über 35 Jahren steigt außerdem das Risiko für eine schwere Präeklampsie, einer Schwangerschaftsvergiftung. Sie geht mit hohem Blutdruck in Verbindung mit Eiweiß im Urin und Ödemen einher. Jede 16. Schwangere in Sachsen erkrankte 2021 an einer Präeklampsie. Besonders häufig traf es werdende Mütter ab 40 Jahren. Diese Altersgruppe verzeichnet auch den größten Anstieg – gut neun Prozent – im Vergleich zu 2016.

Hebammen raten zu gesünderer Ernährung und Sport

Hebammen wie Stephanie Hahn-Schaffarczyk, Vorsitzende des sächsischen Hebammenverbandes, betonen angesichts dieser Entwicklung, wie wichtig gesunde Ernährung ist. „Mit einem Vorurteil muss aufgeräumt werden: Niemand muss in der Schwangerschaft für zwei essen. Das galt höchstens ganz früher, als noch nicht so viele nahrhafte Lebensmittel zur Verfügung standen wie heute.“ Zudem sei ausreichend Bewegung wichtig. „Zweieinhalb Stunden pro Woche sollten es schon sein“, so die Hebamme. Ob Frau dann durch den Park walke, Fahrrad fahre der gar ihr übliches Sportprogramm absolviere, sei weniger wichtig, Hauptsache Bewegung. „Eine Geburt ist körperlich herausfordernd, niemand sollte da untrainiert rangehen“, so Hahn-Schaffarczyk. „Es läuft ja auch keiner unvorbereitet einen Marathon.“

Tabuthema Wochenbettdepression

Die gute Vorbereitung auf die Geburt kann allerdings in manchen Fällen zur Krux werden, etwa, wenn zu viele Erwartungen an den Tag der Niederkunft gestellt und von der Realität enttäuscht werden. „Eine Traurigkeit, der Baby Blues, kurz nach der Geburt ist nicht selten, vergeht aber nach ein paar Tagen“, sagte Gynäkologin Lesser. „Kritisch sind dagegen depressive Zustände, die länger anhalten.“ Zwar bewegen sich diese sogenannten Wochenbettdepressionen auf halbwegs stabilem Niveau in Sachsen. Rund 5,5 Prozent der neuen Mütter wurden 2021 dagegen behandelt. „Sorgen macht uns, dass bei den psychischen Leiden d er Anteil in jüngeren Altersgruppen steigt“, sagte AOK-Plus-Vorstand Striebel. „2021 trat bei gut elf Prozent der 15- bis 19-Jährigen eine Wochenbettdepression ein, was einem Zuwachs von mehr als 18 Prozent im Vergleich zu 2016 entspricht. Und rund acht Prozent aller Schwangeren war schon vor der Schwangerschaft wegen einer Depression in Behandlung. Auch hier sehen wir eine steigende Tendenz.“

Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein, was auch Fachärztin Lesser bestätigte. „Für viele ist diese Erkrankung ein Tabuthema. Es herrschen noch immer zu sehr der Glaube und die Erwartung, dass die frischgebackene Mutter doch absolut glücklich und alles mit dem Neugeborenen perfekt sein muss.“ Gerade Jüngere setzten sich allein schon aufgrund des Schwangeren-Hypes in manchen sozialen Medien enorm unter Druck. „Allerdings sehe ich in meiner Praxis, dass die Akzeptanz einer Depression, der Wille sich mitzuteilen und um Hilfe zu bitten, definitiv gestiegen ist“, so Lesser.

Mehr Gelassenheit gefragt

Etwas weniger Aufregung und realitätsferne Idealisierung wünscht sich auch Hebamme Hahn-Schaffarczyk, und schließt dabei Mediziner mit ein. „Früher waren Schwangere in freudiger Erwartung, heute sind sie in anderen Umständen, ständig überwacht von High-Tech-Medizin.“ Das sei einerseits gut, könne es andererseits aber erschweren, die neun Monate nicht als Krankheit zu sehen. Lesser rät zu mehr Gelassenheit: „Manche Befindlichkeiten wie vorübergehend etwas dicke Füße, Sodbrennen oder Unwohlsein sind völlig normal.“