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Dresdnerin nimmt 29 Kilogramm ab: "In meinem Kopf bin ich immer noch dick"

Anne Ladisch aus Dresden wog einmal 107 Kilogramm bei 1,56 Meter Körpergröße. Sie erhielt am Städtischen Klinikum eine Magenbypass-OP. Bei weitem kein einfacher Weg für sie.

Von Theresa Hellwig
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Anne Ladisch wog 107 Kilogramm, als sie sich einer Magenbypass-Operation unterzog. Kein leichter Schritt, sagt die Dresdnerin.
Anne Ladisch wog 107 Kilogramm, als sie sich einer Magenbypass-Operation unterzog. Kein leichter Schritt, sagt die Dresdnerin. © Montage: Marion Doering, privat

Dresden. Manchmal passiert es noch immer: Anne Ladisch dreht sich zur Seite, wenn sie durch einen engeren Durchgang gehen muss. "Das ist noch immer so in mir", sagt die Dresdnerin. "In meinem Kopf bin ich immer noch dick." Dabei würde es ihr wohl kaum einer ansehen, der ihr auf der Straße begegnet: Anne Ladisch litt lange unter Adipositas.

Dabei handelt es sich um ein Krankheitsbild, das durch verschiedene Faktoren ausgelöst wird, erklären die leitende Oberärztin Dr. med. Miriam Dreßler und der Chefarzt Prof. Dr. Sören Troge Mees vom Städtischen Klinikum Dresden. "Eine große Rolle spielt Veranlagung", sagt Miriam Dreßler. Aber auch beispielsweise psychische Belastungsfaktoren oder frühkindliche Erziehung können eine Rolle spielen.

Schon im Kindheitsalter, so erzählt sie heute, sei sie "kräftig" gewesen. Diäten, eine Kur. Jojoeffekte. Kein Erfolg. Frustessen. Es sind Schlagworte, die das Leben der Dresdnerin schon sehr früh prägen. Bereits als Kind musste die heute 42-Jährige mit Mobbing umgehen; wurde als "die Fette da" bezeichnet. "Das begann im Kindergartenalter", sagt sie. "In der Schule wurde es massiver." Nein, leicht war das sicher nicht. Und dass es Spuren hinterlässt, ist nachvollziehbar.

Anne Ladisch suchte sich Hilfe im Adipositas-Zentrum

Der Auslöser, dass sich etwas änderte, stand eines Tages als Patientin in der Frauenarztpraxis, in der Anne Ladisch damals arbeitete. "Eine Patientin hatte deutlich abgenommen, da habe ich sie einfach angesprochen", berichtet sie. "Sie hat mir Mut gemacht." Mut, sich Hilfe zu suchen.

"Ich habe wirklich lange nachgedacht", sagt Anne Ladisch. "Es fiel mir so unglaublich schwer, mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauchte. Als hätte ich versagt, weil ich es nicht alleine geschafft habe."

Doch schlussendlich griff Anne Ladisch doch zum Telefonhörer und wendete sich an das Städtische Klinikum in Dresden. "Ich hatte damals große Angst vor Begleiterkrankungen", erinnert sie sich. "Ich habe mein Gewicht einfach nicht in den Griff bekommen und litt bereits unter Gelenk- und Rückenschmerzen." Ihr Partner habe sie damals zu dem Anruf bestärkt. "Er sagte zu mir: Meinetwegen musst du nicht abnehmen, aber ich mache mir Sorgen um dich."

Und im Krankenhaus wurde Anne Ladisch ernst genommen. "Ich habe ein tolles Programm bekommen", sagt sie. Gruppentherapie, Ernährungsberatung, Psychologengespräche, Sport: All das stand auf der Tagesordnung. "Besonders gut hat mir getan, zu erkennen, dass ich nicht alleine bin mit meinem Problem", berichtet sie. "Man hat so viel Hass auf sich selbst, dass man leicht depressiv wird."

"Dir wird als dicker Mensch vermiest, in der Öffentlichkeit zu sein"

Denn an Adipositas zu erkranken, bringe viele Begleiterscheinungen mit sich, an die viele sicher im ersten Moment gar nicht denken. "Das geht beim Shoppen los", sagt Anne Ladisch. "Als dicke Person geht man nicht in der Stadt shoppen. Große Größen gibt es bei Takko oder Kik", sagt sie. Etwas zu finden, in dem man sich schön fühle, sei kaum möglich.

"Es ist wirklich schwer, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wenn Stühle an den Seiten Lehnen haben. Als dicker Mensch passt man da einfach nicht mehr drauf." Ins Freibad gehen, in der Öffentlichkeit essen – es sind Dinge, die für viele Menschen alltäglich erscheinen, für die Anne Ladisch lange Zeit Ausreden benötigte, um nicht mitkommen zu müssen. "Dir wird als dicker Mensch vermiest, in der Öffentlichkeit zu sein", sagt sie.

Die leitende Oberärztin Dr. Med. Miriam Dreßler und der Chefarzt Prof. Dr. Sören Torge Mees arbeiten am Adipositas-Zentrum des Städtischen Klinikums Dresden. Dort wurde Adipositas-Patientin Anne Ladisch geholfen.
Die leitende Oberärztin Dr. Med. Miriam Dreßler und der Chefarzt Prof. Dr. Sören Torge Mees arbeiten am Adipositas-Zentrum des Städtischen Klinikums Dresden. Dort wurde Adipositas-Patientin Anne Ladisch geholfen. © Marion Doering

Im Adipositas-Programm des Städtischen Klinikums arbeitete sie an sich. Dennoch: Nachdem sie durch Sport, Ernährungsumstellung und mehr abgenommen hatte, hatte sie privat eine schwere Zeit – und nahm wieder zu. 107 Kilogramm brachte sie zu diesem Zeitpunkt auf die Waage – bei 1,56 Meter Körpergröße.

Eine weitere Überwindung stand an, doch Anne Ladisch meisterte diese – und bat noch einmal um ein Gespräch, das ihr schwerfiel. "Ich habe das alles mit meinem Partner besprochen. Aber ich habe gemerkt: Ich schaffe das einfach nicht. Deshalb habe ich nach einer Operation gefragt." Im Jahr 2021 erhielt sie eine Magenbypass-Operation.

Städtisches Klinikum Dresden-Neustadt ist Adipositas-Referenzzentrum

Anne Ladisch ist nicht die einzige in Dresden. Allein in den vergangenen drei Jahren sind nur am Städtischen Klinikum Dresden rund 665 Adipositas-Operationen durchgeführt worden, darunter Schlauchmagen- und Magenbypass-Operationen. Weil die Zahl der Operationen so hoch ist und es mittlerweile drei Chirurgen am Klinikum gibt, die sich auf das Themenfeld spezialisiert haben, ist das Klinikum als Adipositas-Referenzzentrum ausgezeichnet worden.

Nur vier solcher Zentren gibt es laut dem Klinikum in Ostdeutschland. Auch schwierige Fälle, bei denen Begleiterkrankungen eine Rolle spielen, und Revisions-Eingriffe, also Nach-Operationen, können hier durchgeführt werden.

Ein solcher Revisions-Eingriff wurde auch bei Anne Ladisch notwendig. "Ich hatte nach meiner Operation extreme Bauchschmerzen", berichtet sie. Ein zweiter Eingriff brachte Besserung.

Heute hat Anne Ladisch deutlich abgenommen. Sie wiegt nun 78 Kilogramm und trägt Kleidergröße 40. Ihre Operation hat geholfen, obgleich es bei Weitem kein einfacher Weg war. Denn – und auch das wissen viele sicher nicht – es gehen mit der Operation viele Einschränkungen einher. "Ich kann nur noch ganz kleine Portionen essen. Wenn ich zu viel esse, geht es mir ganz dreckig", sagt sie. Und Essen sei eine ganze Zeit lang ihr "Segen" gewesen; eine Lücke, die sie anders füllen muss.

Tag der Operation ist für Dresdnerin ein Feiertag

Bestimmte Medikamente und Schmerzmittel verträgt Anne Ladisch durch die Operation nicht mehr. Süßigkeiten und Kohlensäure sind tabu. Ersteres kann zu Übelkeit und Schweißausbrüchen führen, letzteres überfüllt den Magen auf schmerzhafte Weise. Geht es ihr erst einmal dreckig, muss sie durchhalten: Erbrechen kann sie auch nicht mehr.

"Auch nach der Operation ist es manchmal schwer, am öffentlichen Leben teilzunehmen", sagt Anne Ladisch. "Weihnachten, zum Beispiel, wenn die Familie sich schwertut, zu verstehen, dass ich das Menü einfach nicht mitessen kann."

Dennoch: Die 42-Jährige ist dankbar, sagt sie – und glücklich. Ihr Kopf habe zwar noch nicht realisiert, dass sie sich eben nicht mehr drehen muss, um durch enge Türen zu gehen. Aber sie könne jetzt endlich wieder Treppen steigen und laufen, ohne direkt aus der Puste zu sein. "Und ich laufe so gerne", sagt sie und strahlt. Auch shoppen gehen sei jetzt endlich möglich. "Meine Operation war am 8. März 2021", sagt sie. "Frauentag – und für mich so oder so ein Feiertag."