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Komplextherapie hilft bei fortgeschrittenem Parkinson

Knapp 400.000 Deutsche leben mit Parkinson. Medikamente stoßen häufig an ihre Grenzen. Eine umfassendere Therapie verspricht Linderung.

Von Kornelia Noack
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Bei vielen Parkinson-Erkrankten nehmen mit der Zeit Depressionen, Schlafstörungen oder kognitive Defizite zu.
Bei vielen Parkinson-Erkrankten nehmen mit der Zeit Depressionen, Schlafstörungen oder kognitive Defizite zu. © 123rf

Bei vielen Parkinson-Patienten nehmen mit den Jahren nicht nur die motorischen Einschränkungen zu, sondern auch Depressionen, Schlafstörungen oder kognitive Defizite. Die sogenannte multimodale Parkinson-Komplexbehandlung verspricht hierbei Hilfe. Beim Leserforum erklären Ärzte ein umfassenderes Konzept.

Was versteht man unter einer multimodalen Therapie?

Multimodal bezeichnet die Kombination mehrerer Behandlungsmethoden, die je nach den Bedürfnissen des Patienten eingesetzt werden können, um die komplexen motorischen und nicht-motorischen Begleitsymptome optimal zu behandeln. Durch die Kombination verschiedener Ansätze können multimodale Therapien oft effektiver sein. Entsprechend multidisziplinär besetzt ist auch das Team: Unter der Leitung eines Facharztes für Neurologie steuern, überwachen und optimieren Ärzte und Therapeuten verschiedener Fachrichtungen gemeinsam mit spezialisierten Pflegekräften den Behandlungsverlauf.

Bei welchen Symptomen kommt eine Komplexbehandlung für Parkinsonpatienten infrage?

Immer dann, wenn Krankheitssymptome oder Folgen der Therapie ambulant nicht mehr ausreichend gut behandelt werden können. Dazu zählen eine schwankend gute Beweglichkeit, möglicherweise verbunden mit Überbewegungen, eine Häufung von Stürzen, aber auch Nebenwirkungen oder Verträglichkeitsprobleme der Therapie. Diese reichen von Schluckstörungen, Blutdruckschwankungen und Durchfall bis hin zu Halluzinationen, zunehmenden kognitiven Störungen und anderen nicht-motorischen Symptomen wie Schmerzen.

Welche Patienten profitieren besonders vor einer Komplextherapie?

All jene, die neben einer Anpassung der Medikation auch intensive und hochfrequente, übende und aktivierende Therapien benötigen, zum Beispiel Logopädie, Physio-, Ergo-, Musik- oder Sporttherapie. Sehr wichtig ist für viele Patienten auch die im ambulanten Rahmen oft nicht mögliche Verhaltensbeobachtung, sodass komplexe Probleme wie Schwankungen in der Beweglichkeit oder Ängste, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Schmerzen, besser erkannt und behandelt werden können. Bei spezifischen Problemlagen kann zusätzlich eine psychotherapeutische Betreuung oder neuropsychologische Testung angeraten sein.

Müssen Patienten die Kosten für eine Komplexbehandlung selbst tragen?

In der Regel übernehmen die Krankenkassen die Kosten. Voraussetzung ist, dass eine akutstationäre Aufnahme aufgrund der Erkrankung notwendig ist, damit eine Neueinstellung der Medikation erfolgen kann. Darum kümmern sich der behandelnde Arzt und die Klinik. Der Patient muss allerdings die gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlung leisten, das sind höchstens 28 Euro pro Kalendermonat.

Kann die Parkinson-Komplexbehandlung bei Bedarf mehrmals erfolgen?

Ja, wenn weiterhin oder erneut Symptome auftreten, die ambulant nicht zufriedenstellend beherrschbar sind.

Wer sich mehrmals pro Woche und regelmäßig körperlich betätigt, hat als Parkinsonpatient gute Chancen, bestimmte Fähigkeiten länger zu erhalten.
Wer sich mehrmals pro Woche und regelmäßig körperlich betätigt, hat als Parkinsonpatient gute Chancen, bestimmte Fähigkeiten länger zu erhalten. © Tobias Hase/dpa

Wie kann ich mir den Behandlungsverlauf konkret vorstellen?

Zu Beginn der mindestens zweiwöchigen Behandlung erfolgt eine Aufnahmeuntersuchung. In der Regel finden neben den Visiten pro Tag drei bis vier Therapien statt, manche davon in Gruppen. Zusätzlich erfolgen Schulungen und es gibt in themenspezifischen Gruppen die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen. Auch abendliche Freizeitangebote gehören dazu. Einmal pro Woche besprechen Therapeuten, Ärzte und die Pflege den Behandlungsverlauf. Falls erforderlich, wird auch eine Unterstützung durch den Sozialdienst initiiert. Anpassungen des Medikamentenplanes werden im Rahmen der täglich stattfindenden Visiten besprochen. Am Ende erfolgt eine ärztliche und therapeutische Abschlussuntersuchung mit Empfehlungen für die Weiterbehandlung zu Hause.

Kann meine Frau mich während der Therapie begleiten?

Ob das möglich ist, bedarf der Abklärung mit der jeweiligen Krankenkasse und der Klinik. In jedem Fall aber sind die Angehörigen, die oftmals auch pflegerische Aufgaben im Alltag übernehmen, einbezogen, etwa wenn es um Alltagsbewältigung, Pflege oder weitere ambulante Maßnahmen nach Ende der Komplexbehandlung geht.

Wird bei der Therapie auch überprüft, ob eine tiefe Hirnstimulation oder eine Pumpentherapie sinnvoll sind?

In der Regel wird bereits in der Frühphase der Erkrankung über das gesamte Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten informiert, auch über die tiefe Hirnstimulation und die Pumpentherapie. So haben Patienten Zeit, sich damit zu befassen, bevor sie tatsächlich eingesetzt werden können. Bei der Parkinson-Komplextherapie werden diese Optionen im Rahmen der Therapieüberprüfung bei Bedarf noch einmal genau vorgestellt und besprochen.

Wie geht es nach einer Komplexbehandlung weiter?

Nach der Rückkehr in Ihr häusliches Umfeld sollten Sie die erlernten Techniken und Therapien kontinuierlich fortführen. Bei bestehender Indikation wird Ihr behandelnder Neurologe zusätzlich ambulante Therapien anbieten. Eine besondere Rolle fällt der Einbindung der Angehörigen zu, die häufig als wichtige Säule unterstützend wirken. Als hilfreich hat sich zudem die Teilnahme an Treffen von Parkinson-Selbsthilfegruppen oder an sportlichen Gruppenangeboten speziell für Menschen mit Parkinson erwiesen.

An wen kann ich mich wenden, um mich über das Thema auszutauschen?

Innerhalb der Deutschen Parkinson Vereinigung gibt es eine Reihe von Patienten, die bei Bedarf gerne über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Komplexbehandlung mit Ihnen sprechen. Auch über das Parkinson-Forum können Sie Ansprechpartner finden.

Welche ambulanten Therapieangebote gibt es für Menschen mit fortgeschrittenem Parkinson?

Menschen mit Parkinson können im späteren Krankheitsverlauf sehr unterschiedliche Symptome und damit einen sehr individuellen Unterstützungsbedarf haben. Für sie ist zum Beispiel wichtig, dass die Angebote in der Nähe sind, sodass sie in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. Manche Behandlungen können auch bei den Betroffenen zu Hause durchgeführt werden. Besonders wichtig ist bei fortgeschrittenem Parkinson die Stimm- und Schlucktherapie: Sie verbessert die Kommunikation und senkt die Gefahr, sich an Flüssigkeiten oder Nahrung zu verschlucken.

An wen wende ich mich, wenn ich eine Komplexbehandlung in Anspruch nehmen will und wo gibt es Kliniken?

Sprechen Sie darüber mit Ihrem Neurologen. Er kann Sie über die Abläufe informieren und dann für Sie die weiteren Schritte zusammen mit der Krankenkasse einleiten. Die Deutsche Parkinson Vereinigung führt eine Liste der Kliniken, die auf die Komplexbehandlung spezialisiert sind.

Die Leserfragen beantwortet haben die Fachärzte für Neurologie Andres Ceballos-Baumann, Ilona Csoti, Björn Hauptmann, Wolfgang Jost, Pantea Pape und David Thomas sowie Friedrich-Wilhelm Mehrhoff, Geschäftsführer der Deutschen Parkinson Vereinigung.