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Wie Down-Syndrom-Betroffene genannt werden wollen

Am 21. März ist Welt-Down-Syndrom-Tag. In Deutschland leben bis zu 50.000 Menschen mit Trisomie 21. Wie man über sie spricht und wie sie sich selbst bezeichnen wollen, steht immer wieder zur Debatte.

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In Deutschland gibt es kein Register für Menschen mit dem Syndrom - je nach Schätzungen leben derzeit zwischen 40.000 und 50.000 Menschen mit Trisomie 21 in der Bundesrepublik.
In Deutschland gibt es kein Register für Menschen mit dem Syndrom - je nach Schätzungen leben derzeit zwischen 40.000 und 50.000 Menschen mit Trisomie 21 in der Bundesrepublik. ©  pixabay.com

Berlin/Bonn. Wie man in der Gesellschaft genannt wird, hat etwas mit Respekt zu tun. Den erkennen Menschen mit Down-Syndrom nicht immer in ihrem Umfeld. Es fange schon bei der Anrede an: Sie würden oft geduzt, während andere es erwarteten, gesiezt zu werden, erzählen Mitglieder der "Ohrenkuss"-Redaktion. Das Kulturmagazin mit Sitz in Bonn ist etwas Besonderes: Die Menschen, die dort schreiben, haben Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt.

Eine Autorin erzählt, wie sie ungeachtet ihres Alters stets eine Wurstscheibe an der Theke gereicht bekomme. Dagegen habe sie sich gewehrt: Es reiche, sie sei kein Kind, habe sie gesagt.

Am Donnerstag (21. März) ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Weltweit sollen dann Veranstaltungen das öffentliche Bewusstsein für die Thematik steigern.

Was bedeutet Trisomie 21?

Trisomie 21 geht auf eine Besonderheit in den Erbanlagen zurück: Das Chromosom 21 ist dreimal statt wie üblich nur zweimal vorhanden. Das hat Folgen sowohl für die geistige als auch die körperliche Entwicklung. Mit zunehmendem Alter der Mutter steigt die Wahrscheinlichkeit einer Trisomie 21 des Kindes. Durch Untersuchungen während der Schwangerschaft kann prognostiziert werden, ob ein Kind mit Down-Syndrom heranwächst. Nach einer solchen pränatalen Diagnose trägt ein großer Teil der werdenden Mütter das Kind nicht aus.

In Deutschland gibt es kein Register für Menschen mit dem Syndrom - je nach Schätzungen leben derzeit zwischen 40.000 und 50.000 Menschen mit Trisomie 21 in der Bundesrepublik.

Bestimmte Krankheiten treten bei Menschen mit Down-Syndrom häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. Dazu gehören angeborene Fehlbildungen, insbesondere Herzfehler. Auch weisen die Menschen eine intellektuelle Beeinträchtigung auf, die stark von Mensch zu Mensch variiert. Betroffene sind oft sozial-intelligent und einfühlsam.

"Menschen mit ..."

Etwas geladen ist das Online-Treffen der "Ohrenkuss"-Redaktion Ende Februar. Die Mitglieder diskutieren vor ihren Monitoren, wie sie in der Gesellschaft genannt werden wollen. Ist die Bezeichnung "Menschen mit geistiger Behinderung" durch "Menschen mit intellektueller (oder kognitiver) Beeinträchtigung" zu ersetzen? Ersteres sei beleidigend, heißt es. Die zweite Formulierung nutzt unter anderem teils auch die Bundesregierung.

Das "Ohrenkuss"-Team findet keine der beiden Bezeichnungen gut. "Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung" bedeute, "dass wir krank im Kopf sind und nicht so schnell", sagt Theresa Knopp. "Wie ich aber "Ohrenkuss" kenne, denken wir sehr schnell und schreiben auch viel." Sie selbst bezeichnet sich als Aktivistin. Tagsüber arbeitet Knopp in der Küche eines Kindergartens.

Auf der Suche nach der besten Formulierung

Die Bezeichnung als "Menschen mit Down-Syndrom" wird durchaus von vielen als unproblematisch empfunden. Inwieweit sie "Menschen mit geistiger Behinderung" genannt werden sollen, darüber herrscht Uneinigkeit. Der Bundesbeauftragte für Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel (SPD), will den Begriff nicht verwenden, "da die Menschen, die so bezeichnet werden, ihn ablehnen, da sie ihn als diskriminierend und verletzend empfinden", sagt er. Jemanden als "intellektuell beeinträchtigt" zu beschreiben, stammt von der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen.

Dusel kritisiert, dass in Gesetzbüchern der Begriff der geistigen Behinderung weiterhin verwendet werde. Zusammen mit der Selbstvertretungsorganisation "Mensch zuerst" habe man einen Prozess angestoßen, um gemeinsam nach einem Begriff zu suchen, den die Betroffenengruppe als wertschätzend empfindet. Sie präferieren die Bezeichnung "Menschen mit Lernschwierigkeiten".

Das findet das "Ohrenkuss"-Team auch nicht perfekt. Am Ende der Online-Sitzung gibt es eine halbherzige Zustimmung für "Menschen mit verschiedenen Lernmöglichkeiten". Ziel sei es, Defizite oder Defekte als Teil der Bezeichnungen zu vermeiden, um Diskriminierung zu verhindern. "Der Blickwinkel wird geprägt, wenn ich nur Defizite anschaue und nur danach suche", betont Katja de Bragança, Humangenetikerin und Gründerin von "Ohrenkuss".

Warum aber auch der Blick auf das Defizit wichtig sein kann

Dusel weist auf den rechtlichen Aspekt solcher Begriffe hin: Wer eine Behinderung oder Beeinträchtigung hat, erhält unter anderem Nachteilsausgleiche etwa in Form von Steuervergünstigungen, gesonderten Parkplätzen oder kostengünstigeren Bus- und Bahntickets. Daher sei es von Vorteil, den Nachteil auch zu benennen. "Es bringt uns nichts, wenn wir Dinge sprachlich beschönigen und aus Menschen mit Behinderungen Menschen mit besonderen Herausforderungen machen", sagt der Bundesbeauftragte, der selbst eine Sehbehinderung hat. "Mir ist es gleich, ob man von Menschen mit Behinderungen oder behinderten Menschen spricht, Hauptsache, der Mensch steht im Vordergrund und man begegnet sich wertschätzend."

Elzbieta Szczebak, Leiterin des Deutschen Down-Syndrom Infocenters, stimmt Dusel zu. Zwar wäre es wünschenswert, über Menschen mit unterschiedlichen Lernfähigkeiten zu sprechen, statt immer nur das Negative zu betonen. "Wenn wir so denken würden, dann würden wir eine Hürde aus dem Weg räumen und es gäbe vielleicht weniger Vorurteile über die Menschen", sagt die Philologin. Wichtig sei aber auch: Ein finanzieller Nachteilsausgleich dürfe nicht verloren gehen, wenn man behaupte, jeder könne alles.

Für Anna-Lisa Plettenberg von "Ohrenkuss" ist es sehr schwierig, über die eigene Bezeichnung zu sprechen. Das Thema sei sehr emotional, sagt sie. Die langjährige Autorin des Magazins plädiert wie viele ihrer Kollegen und Kolleginnen für "Menschen mit Gleichberechtigung".

Es sei eine schwierige, aber spannende "Ohrenkuss"-Sitzung gewesen, heißt es aus der Runde. Johanna von Schönfeld fand sie wegen des Themas nicht besonders angenehm. "Aber ich bin abgehärtet", sagt sie. Man habe auch in der Schule viel über Inklusion geredet. "Ich bin eine lustige Rheinländerin und mache mir meine eigene Welt." Sie betont: Sie freue sich, normal zu sein, Mensch zu sein. (dpa)