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Heute schließen die Apotheken in Sachsen – und streiken

Sachsens Apotheker gelten als Gutverdiener. Doch sie sehen das anders. Am 14. Juni wollen sie auf ihre Situation aufmerksam machen, die auch Patienten betrifft.

Von Stephanie Wesely
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Auch die Apotheke von Göran Donner, Vizechef der Landesapothekerkammer Sachsen, in Dippoldiswalde bleibt am 14. Juni zu. Aushänge informieren über die Probleme in der Medikamentenversorgung.
Auch die Apotheke von Göran Donner, Vizechef der Landesapothekerkammer Sachsen, in Dippoldiswalde bleibt am 14. Juni zu. Aushänge informieren über die Probleme in der Medikamentenversorgung. © kairospress

Jährlich schließen in Sachsen Apotheken, weil ihr Betrieb nicht mehr wirtschaftlich ist oder es an pharmazeutischen Fachkräften fehlt. 18 waren es allein im vergangenen Jahr. 919 gibt es noch. Doch der Bestand vieler ist aus unterschiedlichen Gründen gefährdet – besonders im ländlichen Bereich, wo ohnehin die medizinische Versorgung schlechter ist als in der Stadt. Am 14. Juni wollen Apotheker auf ihre Situation aufmerksam machen – sie legen die Arbeit nieder.

Bleiben alle Apotheken an diesem Tag geschlossen?

Davon ist auszugehen, denn 90 Prozent der Apotheker befürworten diese Aktion, wie Umfragen des Berufsverbandes gezeigt haben. Für ein knappes Viertel soll dieser Streik auch nicht die einzige Protestmaßnahme bleiben.

Wie kommen Patienten an dem Tag an dringend nötige Medikamente?

Für akute Fälle ist die Versorgung über die Notdienstapotheken möglich – wie an Sonn- und Feiertagen, so Kathrin Quellmalz. Welche Apotheken den Notdienst übernehmen, kann im Internet unter www.aponet.de oder über die Rufnummer 0800 0022833 recherchiert werden. Auch an der Notdiensttafel der jeweiligen Apotheke finden Patienten diese Angaben.

Was ist der Grund für den Protest der Apotheker

„Die Apotheker streiken, weil die Arzneimittelversorgung in den letzten Jahren immer bürokratischer, regulierter und defizitärer geworden ist“, sagt Dr. Kathrin Quellmalz, Sprecherin des Sächsischen Apothekerverbandes. Für die derzeit besonders gravierenden, aber bereits seit Jahren bestehenden Lieferengpässe bei Arzneimitteln gebe es keine nachhaltigen Lösungsvorschläge.

So mussten Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder aufwendig und mit großem Personaleinsatz selbst hergestellt werden. „Auch die organisatorische Mehrarbeit, um diese Medikamente anderweitig zu beschaffen, ist enorm. Zusätzlich steigen die Gehälter der Angestellten und die Nebenkosten immer weiter“, sagt sie. Doch seit 2004 ist das Honorar pro abgegebener Packung nicht gestiegen. Im Gegenteil: Von den 8,35 Euro Honorar müssten Apotheken zwei Euro an die gesetzlichen Krankenkassen als Rabatt abführen. „Damit ist eine flächendeckende Arzneimittelversorgung bald nicht mehr möglich“, so die Sprecherin. „Wir fanden bislang bei den politisch Verantwortlichen kein Gehör und hoffen nun auf das Verständnis bei unseren Patientinnen und Patienten. Uns bleibt keine andere Wahl.“

Wie steht es um die finanzielle Situation der Apotheken?

Der Apothekenwirtschaftsbericht für das Jahr 2022 zeigt, dass bundesweit die Zahl der Apotheken um knapp 400 auf rund 18.000 zurückgegangen ist. Und die Apothekenschließungen gehen weiter: In den ersten Monaten des Jahres 2023 schlossen weitere 129, sagt Gabriela Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Das Betriebsergebnis vor Steuern für den Inhaber der Apotheke sank um 23 Prozent. Allein der Abschlag an die Krankenkassen führe im Schnitt zu einer Mehrbelastung von 6.000 Euro pro Apotheke und Jahr, so die Präsidentin.

Wie viel verdienen Inhaber von Apotheken in Sachsen?

Der durchschnittliche Gewinn vor Steuern liegt pro Apotheke bei etwa 140.000 Euro pro Jahr, bei Apotheken auf dem Land oftmals noch weit darunter, sagt Kathrin Quellmalz. Wobei dieser Betrag nicht als Bruttogehalt verstanden werden dürfe, da Apotheker und Apothekerinnen selbstständige Freiberufler seien, die davon Steuern abführen, Investitionen tätigen und die Altersvorsorge bestreiten müssten. Das Bild vom reichen Apotheker entspreche ihr zufolge längst nicht mehr der Realität, wenn man den Verdienst in anderen akademischen Berufen vergleiche. Um eine Apotheke wirtschaftlich zu führen, müsste das Honorar pro abgegebener Verpackung auf zwölf Euro erhöht werden, so die ABDA.

Haben sich Apotheker während der Pandemie nicht bereichert?

„Während und auch nach der Coronazeit gab es keine Vergünstigungen für die Apotheken“, sagt Kathrin Quellmalz. Die Teams hätten Enormes geleistet, indem Sie Desinfektionsmittel aus sehr aufwendig beschafften Grundstoffen herstellten und beispielsweise als erste in der Lage waren, die technischen Zertifikate für die Impfungen umzusetzen, um Urlaubsreisen zu ermöglichen. „Es wurden viele Überstunden geleistet, bei einer gleichzeitig enormen Doppelbelastung, denn der überwiegende Teil des Apothekenpersonals ist weiblich und damit oft auch noch für Familie und Haushalt mit verantwortlich.“ Mehr Arbeit und Leistung müsse auch im Gesundheitssektor adäquat vergütet werden. Von individueller Bereicherung könne hierbei keine Rede sein, so Kathrin Quellmalz. Das sei auch die Grundforderung, die Apotheker mit diesem Streiktag verbinden.

Ist die Nachfolge der Apotheker gesichert?

In der Stellenbörse der Sächsischen Landesapothekerkammer finden sich aktuell rund 190 Stellenangebote für Apotheker und Apothekerinnen und 140 für Pharmazeutisch-technische Assistenten, so die Referentin. Zum Vergleich schließen an der Uni Leipzig – der einzigen sächsischen Studienstätte für Pharmazie – jährlich rund 40 Absolventen ab. „Die Bundesagentur für Arbeit listet seit acht Jahren Apotheker als Engpassberuf. Der Bedarf liegt weit über den verfügbaren Fachkräften“, sagt sie. Vor allem im ländlichen Raum mussten bereits Apotheken geschlossen werden, weil keine Nachfolge gefunden werden konnte oder weil es für freie Stellen keine geeigneten Bewerber gibt. Um mehr Pharmazeutisch-Technische Assistenten (PTA) zu gewinnen, besteht seit Januar 2023 an einigen Orten die Möglichkeit, die Ausbildung in Teilzeit zu absolvieren, sagt Kathrin Quellmalz. Die Absolventen könnten zwei Tage pro Woche in einer Apotheke arbeiten, an drei Tagen findet der Unterricht an der Berufsschule statt. Sie bekommen Gehalt, aber die Ausbildungszeit verlängert sich.

Warum gibt es einen solchen Mangel an Apotheken-Fachkräften?

Die öffentliche Apotheke hat Kathrin Quellmalz zufolge keineswegs an Attraktivität verloren, denn der Großteil der Pharmazie-Absolventen gehe in die Apotheke. Nur hat sich der Bedarf aufgrund der vermehrten Arbeit in Teilzeit und weiterer Aufgaben erhöht. Es werden momentan nicht genug junge Menschen ausgebildet, um den Bedarf zu decken.