SZ + Leben und Stil
Merken

RS-Virus in Sachsen: Schwere Infektwelle bei Kindern bleibt bis zum Fest

Dramatische Situationen sind in Sachsens Krankenhäusern bislang ausgeblieben – der Chefarzt der Kinderklinik am Klinikum Chemnitz nennt die Gründe.

Von Stephanie Wesely
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Von der aktuellen RSV-Welle sind meist ganz kleine Kinder betroffen.
Von der aktuellen RSV-Welle sind meist ganz kleine Kinder betroffen. © dpa/Christoph Soeder

Die Infektions- und Akutstationen der Kinderkliniken sind in Sachsen komplett belegt. Allein in der Kinderklinik des Klinikums Chemnitz sind zwölf von 14 Patienten wegen einer schweren Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) in Behandlung.

Solche hohen Infektionszahlen sind selbst für Chefarzt Dr. Axel Hübler ungewöhnlich. Bislang konnte zwar jedes Kind versorgt werden. Damit das auch so bleibt, müsste in der stationären Kinderheilkunde das Fachkräfteproblem gelöst werden, sagt der Sachsensprecher der leitenden Kinderärzte in Deutschland im Gespräch mit Sächsische.de.

Herr Dr. Hübler, wie schwer sind die kleinen RSV-Patienten krank, die zu Ihnen auf Station müssen?

Es sind meist Kinder unter einem Jahr, die unsere Hilfe brauchen. Sie fiebern stark, sind apathisch, trinken nicht und bekommen sehr schwer Luft. Das kann lebensbedrohlich sein. Meist hören wir auch laute Atemgeräusche. Die Kinder bekommen dann warme, angefeuchtete Luft über eine kleine Nasenbrille zugeführt.

Diese Atemhilfe ist sehr schonend und erfolgreich, weil die Lunge dadurch besser belüftet wird. Damit können wir unseren Patienten meist eine künstliche Beatmung ersparen. Doch der Bedarf an Atemhilfen ist so groß wie nie vorher. Wir konnten zum Glück noch ungenutzte Geräte aus Coronabeständen bekommen.

Wie erklären Sie sich die starke Welle an Atemwegsinfektionen?

Den Kindern hat in den letzten beiden Wintern der normale Kontakt zu Gleichaltrigen gefehlt. Auch wenn die Kitas nicht komplett geschlossen waren, galten strenge Isolationspflichten und Quarantäneregeln. Kinder müssen sich aber gegenseitig anstecken, um ihr Immunsystem zu trainieren, auch wenn Eltern das zumeist als schlimm empfinden. Jetzt wird das nachgeholt.

Hat die RSV-Welle aus Ihrer Sicht den Höhepunkt erreicht?

Seit zwei Wochen ist die Zahl der Kinder mit RSV-Infektionen auf unserer Akutstation sehr hoch. Für Kinder, die entlassen werden, kommen sofort wieder neue Patienten. Bis Weihnachten wird das sicher so bleiben. Mit einem weiteren Anstieg rechnen wir aber nicht, eher mit einer bleibend hohen Belastung. Das zeigen auch Beispiele aus anderen Regionen. Die Weihnachtsfeiertage und die Ferienzeit werden dann für etwas Entspannung sorgen.

Diesem kleinen Patienten auf der Intensivstation der Kinderklinik im Klinikum Chemnitz geht es schon wieder besser. Chefarzt Dr. Axel Hübler kann einer Verlegung auf die Normalstation zustimmen.
Diesem kleinen Patienten auf der Intensivstation der Kinderklinik im Klinikum Chemnitz geht es schon wieder besser. Chefarzt Dr. Axel Hübler kann einer Verlegung auf die Normalstation zustimmen. © Toni Söll

Die aber im Januar dann sicher wieder zu Ende sein wird?

Das ist möglich. Die Winterwelle der Atemwegsinfektionen dauert meist von Oktober bis April an – mit unterschiedlichen Spitzenzeiten. Darauf sind wir vorbereitet.

Kinderkliniken im Westen der Republik konnten die vielen Kinder mit RSV-Infektionen gar nicht behandeln. Dort soll es zu dramatischen Situationen gekommen sein. Von Sachsen hört man das nicht. Was machen Kinderkliniken hier besser?

Die RSV-Welle hat sich diesmal von West nach Ost über Deutschland ausgebreitet. Die Kinderkliniken in den westlichen Bundesländern wurden davon zum Großteil überrascht. Wir hatten etwas länger Zeit, uns darauf vorzubereiten, das war ein Vorteil.

So konnten wir Kinder mit planbaren Untersuchungen oder Eingriffen auf eine andere unserer sieben Kinderstationen verlegen oder Behandlungen verschieben, wo das möglich war. Auch die notwendige Ausstattung, zum Beispiel die Atemhilfen, konnten wir uns besorgen.

An der wichtigsten „Ausstattung“, dem Personal, fehlt es aber dennoch?

So wie in allen Krankenhäusern und in allen Fachbereichen macht auch uns neben dem aktuell hohen Krankenstand der Fachkräftemangel zu schaffen. Wir konnten in den vergangenen Jahren Personal im ärztlichen Dienst und in der Pflege gewinnen. Qualifizierte Bewerber sind aber weiterhin sehr gefragt und werden bei entsprechender Eignung eingestellt.

Welche Atemwegsinfektionen werden neben RSV zurzeit in Ihrer Klinik behandelt?

RSV bindet in der Wintersaison die meisten Kapazitäten. Aber es gibt auch Kinder mit Influenza, der Virusgrippe. Sie leiden meist an Komplikationen durch die Grippe, zum Beispiel Lungenentzündung. Jedes Alter hat so seine speziellen Krankheitserreger. An Virusgrippe erkranken meist Kinder im jüngeren Schulalter, an RSV mehr Säuglinge. Daneben darf nicht vergessen werden, dass alle Kinder und Jugendlichen mit anderen Erkrankungen den gleichen Anspruch auf bestmögliche medizinische Versorgung haben.

Hier versuchen wir, durch Trennung von Bereichen und Verlegungen innerhalb der Klinik Lösungen zu finden, auch geplante und planbare Behandlungen medizinisch sicher durchzuführen und nicht verschieben zu müssen.

Spielt Corona noch eine Rolle?

Wir haben immer mal wieder Kinder mit einem positiven Testergebnis. Doch sie kommen dann meist mit und nicht wegen Corona zu uns.

Viele Eltern sind wegen der Weihnachtsfeiertage in Sorge, wenn Arztpraxen geschlossen sind. Müssen sie sich dann mit ihren Kindern stundenlang in die Notaufnahmen setzen?

An den Wochenenden und Festtagen gibt es den kinderärztlichen Notfalldienst. Er ist rund um die Uhr unter der bundeseinheitlichen Rufnummer 116 117 erreichbar. Wir Kinderärzte sind in diese Dienste integriert.

Die Eltern kennen ihre Kinder am besten. Sie spüren, wenn eine Situation so schlimm ist, dass sehr schnelle Hilfe nötig ist. Zum Beispiel bei Atemnot, oder wenn Kinder nicht mehr ansprechbar sind. Dann sollte der Rettungsdienst unter Rufnummer 112 gerufen werden.

Kann man denn RSV und anderen Atemwegsinfekten irgendwie vorbeugen? Durch Vitamin C und Zink vielleicht, wie jetzt oft empfohlen wird?

Gegen RSV gibt es keine aktive Impfung. Es gibt eine passive Impfung mit Antikörpern, die aber nur bei gesundheitlich vorgeschädigten Kindern Sinn hat. Gesund geborene Kinder können sich mit dem RS-Virus gut selbst auseinandersetzen. Kinder, die sich abwechslungsreich ernähren und sich so oft wie möglich an der frischen Luft bewegen, brauchen keine Nahrungsergänzungsmittel. Für Zink und Vitamin C gibt es bei Kindern keine Datengrundlage, die einen Nutzen beweist. Das Geld können sich die Eltern wirklich sparen.